Berlinale

Liebeserklärung an Berlin

Der brasilianische Regisseur Karim Ainouz verfolgt am 11.02.2014 in Berlin während der 64. Internationalen Filmfestspiele die Pressekonferenz für "Praia do futuro".
Der brasilianische Regisseur Karim Ainouz © dpa / picture alliance / Daniel Naupold
Moderation: Britta Bürger · 12.02.2014
In dem Film "Praia do Futuro" setzt Karim Ainouz seiner Wahlheimat Berlin ein Denkmal. Die Stadt sei "keine Liebe auf den ersten Blick", sagt er. Gefesselt habe ihn aber die Geschichte, die "auch in der Architektur sichtbar" sei.
Britta Bürger: In Brasilia hat er Architektur studiert, in New York dann Film, mittlerweile lebt er in Berlin: Der Regisseur Karim Ainouz hat es mit seinem neuen Film in den Wettbewerb der Berlinale geschafft, "Praia do Futuro" heißt der, wie er selbst sagt, ein männliches Melodrama ohne Schurken, gedreht in Berlin und an einem Strand in Brasilien.
Berlin, die Stadt, die die heimliche Hauptdarstellerin ist – denn ansonsten sind es, wie wir gehört haben, drei Männer, die Karim Ainouz in seinem Berlinale-Wettbewerbsfilm in den Mittelpunkt stellt. Der Brasilianer lebt selbst seit drei Jahren in Berlin und hat einen ganz eigenen Blick auf den Charakter der Stadt. Deswegen wollten wir mit ihm nicht über Homosexualität im Film oder männliche Helden im Kino sprechen als vielmehr über die Stadt als Akteur. Warum hat er Berlin als Wahlheimat und als Drehort gewählt?
Karim Ainouz: Also meine Liebesgeschichte mit Berlin begann schon in den 80er-Jahren, und ich kann es nicht mal genau artikulieren, warum das so ist. Ich war das erste mal 2004 hier und ein Jahr in Berlin, weil ich als Künstler mich hier aufhalten durfte, und da habe ich die Stadt wirklich für mich entdeckt. Ich bin dann 2005 zurück nach Brasilien gegangen, habe aber Berlin irgendwo vermisst.
Berlin war schon tief in meinem Herzen. Und dann habe ich einfach auch gemerkt, wie lebendig diese Stadt ist, wie viele Veränderungen sie durchgemacht hat – hier geschieht immer irgendetwas Neues. Und das habe ich eben auch versucht, in meinem Film auszudrücken: Da korrespondiert eben dieses Gefühl auch mit der Stadt, wie ich sie zeige. Und viele in Brasilien fragen mich immer: Ja, aber wie machst du das mit dem Wetter? Das ist immer so kalt! Und es stimmt: Da, wo ich herkomme in Brasilien, da sind immer 30 Grad, das ganze Jahr lang, und hier gibt es diese Jahreszeiten, aber ehrlich gesagt, ich mag die Jahreszeiten, ich mag auch die Kälte. Und deswegen habe ich Berlin einfach vermisst. Und ich bin zurückgekehrt für diesen Film, um jetzt für immer hierzubleiben.
Berlin ist wie "ein alter Mann in einem jungen Körper"
Bürger: In einigen Notizen zum Film, da haben Sie gesagt, die Stadt sei wie ein alter Mann, der in einem jungen Körper gefangen sei. Wie kam Ihnen dieses Bild, was fasziniert Sie daran?
Ainouz: Ja, als ich das gesagt habe, ein alter Mann in einem jungen Körper, da habe ich darauf angespielt, dass Berlin als Stadt wirklich sehr viel durchgemacht hat. Es ist ja eigentlich keine alte Stadt in dem Sinne, aber die Veränderungen, die Berlin erlebt hat, waren wirklich traumatisch – der Erste und der Zweite Weltkrieg, die Mauer –, und trotzdem hat sich Berlin eine Art Frische, eine Art Optimismus bewahrt, obwohl man so viel hier durchgemacht hat – das ist vielleicht auch so eine Metapher fürs Leben, wenn man sehr viel durchmacht, sehr viel erlebt hat.
Und Berlin war eine Stadt, die komplett zerstört worden ist und die man wieder aufgebaut hat, und deswegen gibt es hier so eine Reibung zwischen dem Alten und dem Neuen, und trotzdem hat man irgendwie das Gefühl, je älter man wird, dass alles irgendwie möglich ist, und das gibt einem auch so etwas Entspanntes, was diese Stadt eben auch ausstrahlt und das ich persönlich mit Freiheit verbinde. Ich weiß nicht, ob es dafür im Deutschen ein Wort gibt, aber was mich an der Stadt so beeindruckt ist diese Art von Bescheidenheit. Das ist keine Stadt, die dich sofort anspringt, die so unglaublich schön ist, sondern es ist diese Bescheidenheit, die mich sehr beeindruckt.
Bürger: Manchmal habe ich auch den Eindruck, dass Menschen wie Sie, die hierher kommen, diese Schönheit - Sie sagen, Bescheidenheit -, viel deutlicher eben auch als was Schönes erkennen als so mancher Berliner. Bevor Sie in New York Film studiert haben, haben Sie ja in Brasilia bereits ein Architekturstudium hinter sich gehabt. Wie hat das Ihren Blick auf die Stadt vielleicht auch geprägt? Was sehen Sie, was andere gar nicht wahrnehmen?
Ainouz: Was mich hier an Berlin so interessiert, ist, dass man die Schichten der Geschichte sehen kann, sie sind sichtbar. Die sind auch in der Architektur sichtbar, welche Veränderungen Berlin durchgemacht hat. Sie haben sich sozusagen eingewoben in diese Stadt. Und wenn ich einen Stadtteil nehme wie Kreuzberg 61 beispielsweise, der mehr so das letzte Jahrhundert darstellt, und dann den Kontrast hier zum Potsdamer Platz mit dieser eher modernen Architektur oder aber die sowjetische Periode, die in der DDR stattfand, dann sieht man ganz unterschiedliche Dinge. Und Berlin ist nicht eine Stadt, in die man sich sofort verliebt, das ist keine Liebe auf den ersten Blick, sie erscheint einem nicht auf den ersten Anblick als besonders schön, aber es ist eine ganz besondere Stadt, eine ganz einmalige Stadt, die eben – das ist das wirklich Interessante –, die den Kapitalismus genauso gekannt hat wie den Kommunismus, die mit beiden Systemen gelebt hat. Und das ist wirklich einmalig.
Und dass ich an diesem Prozess teilhaben kann, wie das jetzt irgendwie zusammengeht, das gefällt mir sehr, das finde ich sehr interessant. Und wir sind uns dessen bewusst, dass der Spätkapitalismus, wie er jetzt stattfindet in den letzten zehn Jahren, eine absolute Katastrophe, ein Desaster ist. Aber Berlin hat eben auch noch eine andere Tradition, hat eben auch eine Geschichte, die mit dem Kommunismus und der Sowjetunion zu verbinden ist, und dadurch eine Vielfalt gefunden und versucht jetzt auch, einen neuen Weg zu gehen. Das Interessante ist natürlich, dass die Berliner selbst sich oft beschweren. Es gibt die Ostalgiker, es gibt die Nostalgiker des Westens, viele beschweren sich auch, es gibt jetzt viel zu viele Touristen – aber letztendlich wird die Stadt dadurch toleranter, sie ist viel weltgewandter geworden und ich glaube, ich erlebe hier zurzeit wirklich einen ganz besonderen Moment.
"Ich bin ein großer Fan der Berliner Schule"
Bürger: Sie treten mit dem Film in die Fußstapfen der sogenannten Berliner Schule, also Regisseure wie Christian Petzold, Thomas Arslan, Angela Schanelec, deren Filme die Stadt ja sehr, sehr kühl ausleuchten und inszenieren.
Ainouz: Ich bin durchaus ein großer Fan der Berliner Schule, also gerade Petzold ist ein Filmemacher, den ich wirklich sehr schätze. Ich finde, er ist ein großer Meister, gerade in seiner Präzision, und das beeindruckt mich sehr und ich bewundere das auch, gerade dieses Präzise in seiner Arbeit. Aber vielleicht stehe ich emotional jemandem wie Fassbinder näher, der ja auch Emotionen in seinem Kino zugelassen hat, man kann sogar von Sentimentalismus vielleicht sprechen. Und ich stehe auch dazu, dass ich sentimental bin und gefühlsmäßig mich einbringe.
Aber das Interessante ist, dass mein Kameramann auch der Kameramann von Christoph Hochhäusler war und einen Film wie "Milchwald" gedreht hat, und dadurch hat sich diese Berliner Schule mit ihrer Präzision vielleicht auch ein bisschen in meinen Film hineingeschlichen. Und ich bin sehr neugierig, wie das jetzt aufgenommen wird. Aber es sind Filme von Fassbinder, wie "Angst essen Seele auf", die auch wirklich zu Drama und zu Melodrama tendieren, die mich eben besonders interessiert haben. Und ich stehe auch wirklich dazu, da sehr viel sentimentaler und gefühlsmäßiger als Filmemacher zu sein. Aber das ist eben ein Teil von mir und das ist auch Teil meiner Kultur, aus der ich stamme.
Bürger: "Praia do Futuro", Strand der Zukunft, der brasilianische Filmemacher Kerim Ainouz hat zwei seiner Lebensorte als Schauplatz für seinen Film gewählt, und darüber sprechen wir hier im Deutschlandradio Kultur. Sie haben sehr schöne Drehorte ausgewählt in Berlin, zum Beispiel verdient der Rettungsschwimmer Donato in Berlin Geld, indem er den AquaDom, dieses riesige Aquarium im Domcarré in Berlin-Mitte, putzt. Also er ist nur ein Putzmann, aber an einem spektakulären Ort - tolle Bilder! Dieses Salzwasseraquarium ist ja auch eine von mehreren Verbindungen zum Strand der Zukunft in Brasilien, also das Salzwasser. Sie sind in den 60er-, 70er-Jahren ganz in der Nähe von diesem Strand aufgewachsen. Was bedeutet dieser Ort für Sie?
Ainouz: Es gibt einen Ort in Brasilien, der wirklich so heißt, "Strand der Zukunft", das ist ein Viertel, in dem ich aufgewachsen bin, das in den 70er-Jahren hochgezogen wurde und mit sehr viel Hoffnungen begleitet wurde, weil man das Gefühl oder die Hoffnung hatte, dass sich die Stadt so weiterentwickeln kann. Allerdings – durch gerade das viele Salz sind die Häuser dann irgendwie auch in sich zusammengefallen, vieles ist gerostet, konnte mit dem technischen Fortschritt nicht mithalten, und dieses Versprechen einer Zukunft konnte so nie wirklich eingelöst werden. Und Brasilien ist in gewisser Weise noch ein sehr neues Land, wo auch die Natur gewisse Zwänge den Menschen auferlegt und auch den Gebäuden. Also das, was einmal so für die Zukunft stand, hat sich dann eben nicht wirklich als Zukunft erwiesen. Und Berlin im Gegensatz dazu ist vielleicht dieser Strand der Zukunft, auch wenn es hier kein Wasser und kein Meer gibt. Vielleicht darf man Strand auch nicht nur als Strand betrachten, sondern auch als einen Horizont, und diesen Horizont möchte man versuchen, zu überqueren. Und vielleicht steht Berlin für so einen Strand der Zukunft.
Bürger: Karim Ainouz, multo obrigado!
Ainouz: Multo obrigado!
Bürger: Danke!
Ainouz: Vielen Dank!
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