Berlinale: Junge deutsche Filme

Aktivistisches Popcornkino

04:58 Minuten
Filmstill aus "Futur Drei": Zwei Männer sitzen nebeneinander auf Stufen.
Der junge Regisseur Faraz Shariat macht aktivistisches Popcornkino, wie er sagt. In seinem Film „Futur Drei“ geht es um Ausgrenzungserfahrungen und unterhaltsam erzählte Gegenbilder. © Edition Salzgeber, Jünglinge Film
Von Christian Berndt · 23.02.2020
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Junge deutsche Filmemacher zeigen biografische Perspektiven auf das Land, in dem sie leben. Gleichzeitig setzen sie es ins Verhältnis zur aktuellen politischen Lage in der Welt. Es geht um existenzielle Krisen - mitunter lustig erzählt.
Parvis ist beim Ladendiebstahl erwischt worden, deshalb leistet er Sozialstunden in einer Flüchtlingsunterkunft ab. Er wird auch als Übersetzer eingesetzt, weil seine Eltern aus dem Iran stammen. Die Jungs hier machen sich über den exzentrischen, schwulen jungen Mann lustig - bis auf Amon.
Der Panorama-Spielfilm "Futur Drei" ist autobiografisch geprägt. Auch die Eltern des jungen Regisseurs Faraz Shariat kommen aus dem Iran, sie spielen im Film sogar Parvis' Eltern, und Shariat hat selbst Sozialstunden in einer Unterkunft für Geflüchtete geleistet.
Shariat sagt: "Was für mich am absurdesten war, ist, dass ich mit Leuten gesprochen habe, die gar nicht so anders sind als ich, dass aber doch unsere Situationen sich existenziell unterscheiden. Ich als jemand, der hier geboren ist, und die, die gerade angekommen sind. Als könnte ich gerade mit einer anderen Version von mir selbst mich unterhalten, denn es hätte ja auch sein können, dass meine Eltern im Iran bleiben und ich dort aufwachse und jetzt hier stehe."

Gegenbilder formulieren

Im Film entdeckt Parvis Gemeinsamkeiten mit Amon. Er teilt die Erfahrung, als Fremder stigmatisiert zu werden - sogar beim Sex-Date. Von den Ausgrenzungserfahrungen erzählt der Debütfilm mit Witz, aber auch mit einer Sinnlichkeit, die mal poetisch, mal sexuell explizit sein kann:
"Wir haben das 'aktivistisches Popcornkino' genannt, weil wir schon das Bedürfnis haben, etwas zu verändern und Strukturen, seien es nun Rassismus, Sexismus oder Queer-Phobie, aufzuzeigen und Gegenbilder zu formulieren. Gleichzeitig wollten wir so zugänglich und so unterhaltsam wie möglich sein, um möglichst viele Menschen zu erreichen", erklärt Faraz Shariat.

Ein Kriegsdrama über widerstreitende Loyalitäten

Heimat und Identität sind dieses Jahr auch Thema in den Filmen der "Perspektive Deutsches Kino". Im Spielfilm "Im Feuer" muss sich die Heldin notgedrungen mit der Herkunft ihrer Familie auseinandersetzen.
Die kurdischstämmige Bundeswehrsoldatin Rojda meldet sich für einen Einsatz im Irak, sie will dort nach ihrer Schwester suchen, die sich Kämpfern gegen den IS angeschlossen hat. Ein Kriegsdrama über widerstreitende Loyalitäten, das den Blick in eine völlig andere Welt richtet, aber ins Zentrum deutscher Debatten zielt.

Ein Fünf-Generationen-Porträt über Frauen

Eine erstaunliche Heimatgeschichte erzählt der Dokumentarfilm "Walchensee Forever". Regisseurin Janna Ji Wonders porträtiert die Frauen ihrer Familie über fünf Generationen. 1920 eröffneten die Urgroßeltern ein Ausflugscafé am bayerischen Walchensee. Die Uroma führte das Haus mit harter Hand, die Oma kuschte. Wonders' Mutter und ihre Schwester dagegen brachen aus und führten als Gesangsduo im Kalifornien der 60er Jahre ein abenteuerliches Hippieleben.
Der Film spreizt unglaublich weit entfernte Welten auf und bebildert diese Geschichte mit umfangreichem Filmmaterial aus der Familie. Man erlebt eine polyglotte, aber auch tragische Familienerzählung, die sich zum deutschen Sittenbild der letzten hundert Jahre weitet.

Ein Dokumentarfilm über Leiharbeit bei Audi

Ein sehr deutsches Thema behandelt der Dokumentarfilm "Automotive". Regisseur Jonas Heldt hat bei Audi in Ingolstadt gefilmt, im Zentrum stehen die Headhunterin Eva und Leiharbeiterin Seda. Sie ist stolz darauf, bei Audi zu arbeiten, aber: "Ich bin Leiharbeiter, ich kann jederzeit abgemeldet werden."
Es gibt verschiedene Welten bei Audi, erzählt Jonas Heldt: "Den Audianern geht es ja gut, da werden Häuser gebaut, Kredite aufgenommen, und Ingolstadt war 2018 die Stadt mit dem höchsten Durchschnittseinkommen in ganz Deutschland. Aber es gibt sehr viele Menschen, die ich auch gesehen habe, die nie genau wissen, wie lange sie Arbeit haben, die auch ihre Zukunft nicht planen können."

"Pessimistische Filme helfen niemandem weiter"

Auch Headhunterin Eva weiß nicht, ob sie irgendwann durch Algorithmen ersetzt wird. Aber der Film ist nicht trist, er beobachtet nüchtern und porträtiert zwei sehr vitale Heldinnen. Sedas Begeisterung für Autos steht in völligem Kontrast zu den kalten Optimierungsstrategien der Firmenführung.
"Ich denke, pessimistische Filme helfen niemandem weiter, wenn man schwarz malt. Ich finde es immer wichtig, dass ein Film lebensbejahend ist", erklärt Jan Heldt.

Existenzielle Krisen - mitunter lustig erzählt

Die jungen deutschen Filme werfen genaue Blicke auf ein Land im rasanten Wandel, aber rücken zugleich auf sehr interessante Weise seine Beziehung zur Welt in den Fokus. Dieses Jahr dominieren nicht die sonst im Nachwuchsfilm oft verhandelten Befindlichkeitsthemen über die Sorgen junger Kreativer.
Zwar wählen auch diesjährige Filmemacher biografische Perspektiven, weiten sie aber zu einem stark politisierten Blick aufs Land. Die beschriebenen Krisen wirken in diesem Jahrgang sehr existenziell – auch wenn es mitunter ziemlich lustig zugehen kann.
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