Aus den Feuilletons

Der Kampf um die Meinungsfreiheit

Vor der jüdischen Synagoge in Kopenhagen liegen nach dem Anschlag tausende Blumen; einige Menschen haben auch kleine Fahnen von Israel, Dänemark und Deutschland in das Blumenmeer gesteckt.
Vor der jüdischen Synagoge in Kopenhagen liegen nach dem Anschlag Blumen. © dpa / picture-alliance / Bax Lindhardt
Von Hans von Trotha · 16.02.2015
In Kopenhagen haben am Montag Zehntausende Menschen bei einer Gedenkstunde der beiden Opfer der Terroranschläge bedacht. In den Feuilletons eskaliert vor dem Hintergrund der Anschläge die Frage nach der Meinungsfreiheit.
"Die Lage eskaliert", sagt T.C. Boyle im WELT-Interview. Er meint die Spirale von Amokläufern und Nachahmungstätern in den USA, die Diagnose passt aber auch zur Lage hier.
Boyles neuer Roman "Hart auf Hart" handelt von fundamentalistischer Gewalt. Auf die Frage, ob die Attentate von Kopenhagen ein Déjà-vu für ihn waren, antwortet er:
"Sicher. Aber traurigerweise ist das ungefähr die achte Bluttat, seit ich den Roman abgeschlossen habe. Auch wenn es einen Unterschied gibt zwischen islamistischen Fundamentalisten, die uns einbläuen wollen, dass es in westlichen Demokratien doch keine Redefreiheit gibt, und dem Fall, den ich im Roman schildere. Das Programm der islamistischen Fundamentalisten ist furchtbar, aber sie haben eines."
In den Feuilletons eskaliert vor diesem Hintergrund die Frage nach der Meinungsfreiheit. In der NZZ schreibt Martin Meyer zu den Anschlägen von Kopenhagen:
"Man kann solche Strategie als das Veto des Mörders bezeichnen. Unter diesem Titel - 'Defying the Assassin's Veto' - hat der Historiker Timothy Garton Ash in der jüngsten Ausgabe der 'New York Review of Books' einen interessanten Essay verfasst. ... Garton Ash ... hatte angeregt, eine Woche der Solidarität zu gestalten, während deren prominente Zeitungen eine Auswahl der Karikaturen von 'Charlie Hebdo' nachdrucken würden. ... Wenige Zeitungen entsprachen dem Aufruf; die meisten aber verzichteten aus Gründen der Sicherheit darauf."
Die Journalistin Jana Sinram, sie hat über den dänischen Karikaturen-Streit promoviert, hält das ohnehin für den falschen Ansatz, wie sie im TAZ-Interview betont:
"Als solidarische Reaktion finde ich dies nicht gelungen, auch wenn das Bedürfnis nach Unterstützung für 'Charlie Hebdo' nach dem furchtbaren Anschlag natürlich verständlich ist. Aber dafür gibt es sicher bessere Wege als den Abdruck der Karikaturen. Eine 'Jetzt erst recht'-Haltung führt niemanden weiter, weil sie ohnehin starke Emotionen auf beiden Seiten weiter verstärkt."
Freiheit birgt auch Verantwortung
Auf die Frage, wie weit Pressefreiheit gehen darf, sagt Sinram:
"Die Pressefreiheit muss unbegrenzt sein, aber diese Freiheit birgt auch eine gewisse Verantwortung. Man muss nicht immer alles umsetzen, was man tun darf."
In ihrer Dissertation hat sie darauf verzichtet, die Karikaturen abzudrucken, um die es geht.
Thomas Steinfeld wird in der SÜDDEUTSCHEN deutlicher:
"Die Schüsse von Kopenhagen waren kaum verhallt, als Lars Vilks mit der schwedischen Tageszeitung 'Svenska Dag-bladet' sprach: 'Ich bin schon lange im Geschäft' (wörtlich: 'Ich nehme schon lange an diesem Spiel teil', sagte er, 'und wenn das ein Anhänger des Dschihad war, ist es nur logisch, dass ich das Hauptziel war.' Was der Täter wirklich wollte, wird man nie erfahren, denn er ist tot. Kein Zweifel hingegen kann daran herrschen, dass das Attentat von Kopenhagen für Lars Vilks eine Bestätigung seines künstlerischen Projekts ist.
Als der Komponist Karl Heinz Stockhausen nach den Anschlägen vom11. September 2001 im SPIEGEL!erklärte, dieses Ereignis sei 'das größte Kunstwerk, das es überhaupt gibt für den ganzen Kosmos' und sich dazu bekannte, die Attentäter um ihre 'Aufführung' zu beneiden, schlug eine Welle der Empörung über ihm zusammen.
Auch Lars Vilks schließt die Kunst mit der öffentlichen Erregung und die öffentliche Erregung mit einem Mord zusammen. Es empört sich aber keiner, weil dieser Mann auf der richtigen Seite zu stehen scheint, auf der Seite der Meinungsfreiheit. Das stimmt aber nicht, denn seine Seite ist nicht die Seite der Freiheit, sondern die Seite des Spektakels."
In der FAZ meint der dänische Schriftsteller Carsten Jensen:
"Das Problem der Meinungsfreiheit in Dänemark war nie, dass sie missbraucht worden ist. Das Problem besteht darin, dass sie nicht ausreichend genutzt wird. Dass nicht genügend Dänen Einspruch erheben. Wenn Politiker des rechten dänischen Flügels zu den schlimmsten Demagogen Europas zählen, ist das kein Problem der Meinungsfreiheit. Es ist vielmehr ein Problem für die Würde und die Verantwortung, die immer mit einem demokratisch gewählten Amt einhergehen sollte."
So tobt im Feuilleton der Kampf um die Meinungsfreiheit als Frage, was Meinungsfreiheit ist. Und auch hier, man merkt es am Ton, gilt:
"Die Lage eskaliert."
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