Nachhilfe in Botanik

Schlaues Grünzeug

Unzählige grüne Grashalme in der Nahaufnahme in einem Weizenfeld. Es wird für die Keimblätter der gleichen Weizenpflanze vorbereitet.
Grüne Grashalme in einem Weizenfeld: Pflanzen informieren sich ständig über Lichtverhältnisse, Schwerkraft, Temperatur, Zugriff auf Wasser und Mineralien. © imago / Science Photo Library
Von Michael Lange · 15.07.2015
Pflanzen sind keine Möbelstücke, sondern hochbegabt. Stefano Mancuso führt in "Die Intelligenz der Pflanzen" eindrücklich vor Augen, was Pflanzen alles können. Mit seiner Theorie von der "intelligenten Pflanze" konnte er sich aber bisher nicht durchsetzen.
Für Aristoteles bildeten Pflanzen eine Art Zwischenglied zwischen toter Materie und den Lebewesen. Und noch heute gelten Pflanzen verglichen mit Tieren als primitive Lebensform. Dabei können sie ihre Umwelt wahrnehmen, Signale versenden, Informationen verarbeiten und sogar kommunizieren. Der italienische Botaniker Stefano Mancuso sieht deshalb die Kriterien für Intelligenz erfüllt.
Leicht verständlich und getragen von einer Begeisterung für alles Pflanzliche präsentiert der Wissenschaftler gemeinsam mit der Journalistin Alessandra Viola eine fremde Welt. Wir glauben sie zu kennen, aber wir beachten sie nicht. Denn intuitiv betrachten Menschen Pflanzen nicht mit der gleichen Aufmerksamkeit wie Tiere. Wir übersehen sie einfach. Die meisten pflanzlichen Bewegungen sind so langsam, dass wir Pflanzen für unbeweglich halten, wie Steine oder Möbelstücke. Und diese Missachtung scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Die hektischen Bewegungen und Ortsveränderungen von Tier und Mensch interessieren die Pflanzen nicht. Was uns wie ein Tag vorkommt, sind im Pflanzenleben nur Augenblicke.
Dabei besitzt das Grünzeug jede Menge Möglichkeiten der Wahrnehmung. Pflanzen informieren sich stets über die Lichtverhältnisse, die Schwerkraft, die Temperatur sowie das Vorhandensein von Wasser und Mineralien. Sie verarbeiten die verschiedenen Informationen und wägen ab: Wie soll der Stängel wachsen? Wie richten sich die Blätter am besten aus? Wohin und wie stark soll die Wurzel ins Erdreich vordringen? Ist es sinnvoll, Gift- oder Bitterstoffe zur Abwehr von Feinden zu produzieren? Und sogar Kommunikation findet statt. Einzelne Blätter und verschiedene Pflanzen informieren sich laufend über Schädlinge, so dass die Empfänger der Nachrichten Gegenmaßnahmen ergreifen können.
Keine Organe, kein Gehirn, kein Nervensystem
Obwohl Pflanzen alle diese Leistungen erbringen, besitzen sie weder Gehirn noch irgendeine Form von Nervensystem. Sie kommen sogar völlig ohne spezialisierte Organe aus. Lediglich Wurzeln und Blätter lassen sich deutlich unterscheiden. Im Gegensatz zu Tieren sind Pflanzen modular aufgebaut, ohne Hierarchie. Jede Funktion ist verteilt, und jedes Gewebe ist ersetzbar. Daraus folgert der Botaniker Stefano Mancuso, dass auch die pflanzliche Intelligenz verteilt ist. So wie eine Ameisenkolonie als Gesamtheit intelligenter ist als die einzelne Ameise, entsteht die Intelligenz der Pflanzen aus dem Zusammenspiel von einzelnen Zellen und Geweben – als eine Form der Schwarmintelligenz.
Während die Leistungen der Pflanzenwelt, die Stefano Mancuso beschreibt, in der Fachwelt bekannt und anerkannt sind, ist der Begriff "Pflanzliche Intelligenz" unter seinen Fachkollegen umstritten. Seine Gegner werden sich durch dieses kleine Büchlein sicher nicht überzeugen lassen. Stattdessen bietet es Einsteigern eine leicht verständliche Einführung in eine Welt, die uns Menschen fremd erscheint. Es ist, als ob man plötzlich Außerirdische wahrnimmt, die bisher unerkannt mitten unter uns lebten.

Stefano Mancuso und Alessandra Viola: "Die Intelligenz der Pflanzen"
Aus dem Italienischen von Christine Ammann
Verlag Antje Kunstmann, 172 Seiten, 19,95 Euro

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