Berlinale goes Kiez

Von Jürgen Stratmann · 18.02.2010
Vor gut zwei Wochen, auf der Vorab-Pressekonferenz im Bundespress-Amt, wollte ein Reporter des türkischen Senders TRT vom Festivalleiter wissen, warum denn kein einziger türkischer Film im Wettbewerb laufe ...
"... wie sehen Sie die Entwicklung neuer türkischer Filme? Wie sehen Sie das von Deutschland aus?"

... worauf Herr Dieter Kosslick dem Herrn ernsthaft erklärte ...

"Also, es ist in der Zwischenzeit so, dass wir sehr viele türkische Filme hier selbst herstellen …"

... was den Reporter sicher freute - und darüber hinaus vielleicht auch ausdrücken sollte: Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah? Berlin hat Vieles selbst - Vietnam in Lichtenberg, Türkei in Neukölln und Schwaben überall - nur: Die Bewohner dieser Gegenden bekommen von der Berlinale nie besonders viel mit - fragen Sie mal außerhalb des Festival-Zentrums Berlin-Mitte jemanden ...

"Was ist los in der Stadt zur Zeit?
Bei uns hier? Gerade recht wenig!
...ick happet jestern im Fernsehen jesehn, aber ich weiß nicht jenau was! Irgend so ´ne Verleihung oder wat? Irgend so´n Higllight, hier ..."

Gut, manche wissen schon Bescheid, freuen sich über ...

"Filme über Filme - Prominenz über Prominenz - das strahlt uns doch überall an."

Allerdings:

"Ich wohne aber nicht hier, ich komm vom Alexanderplatz - da ist vielleicht´n bisschen mehr los!"

Zum großen Jubliläum wollte die Berlinale nun aber mal von allen Berlinern bemerkt werden, also wurde das Motto ausgegeben: Berlinale goes Kiez! Im Programm heißt es dazu:

"Mit 'Berlinale Goes Kiez' bringt das Festival den Fliegenden Roten Teppich in die Programmkinos der Berliner Kieze: Das Publikum erhält so die einmalige Gelegenheit, im eigenen Kiez-Kino Berlinale-Filme und deren Stars zu sehen und vor der eigenen Haustür Festivalatmosphäre zu schnuppern."

Besonders reizvoll versprach dann die Veranstaltung im Neuköllner Programm-Kino "Neues Off" zu werden - dort gab's für Neuköllner einen Film von Neuköllnern mit dem schönen Titel: "Neukölln Unlimited" - die Story in Kürze zusammengefasst vom Hauptdarsteller Hassan Akkouch wie folgt:

"Ich muss viel ertragen mit meinen 18 Jahren. Ich bin das Spiegelbild der Berliner Straßen. Sie wollen mich abschieben. Es macht mich kaputt. Mein Leben zerfällt zu Asche und Schutt."

Erzählt wird also eine Geschichte, die sicher auch viele Nachbarn des Kiezkinos kennen - eine Migranten-Familie, ständig von Ausweisung bedroht, muss irgendwie im komplizierten Alltag klarkommen - nur: von diesen Leuten war im Kino nicht viel zu sehen:

"Nein! Neinneinnein..."

... sagt Joe, der Film-Vorführer aus dem "Neuen -Off"-Kino...

"... Also, von meinem Eindruck her: Interessierte, Intellektuelle, vielleicht mal der eine oder andere Lehrer aus'm Kiez - also überwiegend kulturell interessiertes Publikum."

Vielleicht aber auch ein Publikum, das Glanz und Gloria vom Potsdamer Platz mal tollkühn verlassen, und sich ins schmutzige Grau des berüchtigten Viertels vorwagen wollte? Vielleicht, um dort auf echte, ehrliche, harte Underdogs, auf authentisches Milieu zu treffen? Man weiß es nicht, aber die Helden des Films, die Geschwister Akkouch, haben sich offensichtlich amüsiert - und sich von der Bande schön feiern lassen:

"Ja, vielleicht könntet Ihr alle aufstehen? (dreckiges Gelächter) Das wär'n schönes Bild für uns - damit ich euch alle seh - okay ..."

Riesen-Applaus

Und es ist wirklich niemand sitzen geblieben! - Standing Ovations auf Kommando! - Starkult im Kiez - Keine schlechte Sache, oder?