Berlinale-Eröffnungsfilm "The Kindness of Strangers"

Ein "Mitfühlzeichen" in kalten Zeiten

Filmszene aus "The Kindness Of Strangers".
Zoe Kazan spielt Clara, die mit ihren Kindern vor ihrem Ehemann nach New York fliehen muss. © Alamode Film
Patrick Wellinski im Gespräch mit Marietta Schwarz · 07.02.2019
Mit "The Kindness of Strangers" der dänischen Regisseurin Lone Scherfig hat am Donnerstagabend die 69. Berlinale begonnen. Unser Kritiker Patrick Wellinski hat den Eröffnungsfilm gesehen und sich über diesen "klassischen Oldschool-Film" gefreut.
Der Film "The Kindness of Strangers" trage sein Manifest im Titel, erklärt Patrick Wellinski im Deutschlandfunk Kultur. Dieses sei der Figur Blanche DuBois aus Tennesse Williams' "Endstation Sehnsucht" entlehnt, wo DuBois gegen Ende, "als sie in die Psychiatrie abgeführt wird, sagt: 'Danke, dass Sie hier sind. Ich konnte mich ja schon immer auf die Freundlichkeit von Fremden verlassen.'" Das Stück wurde 1951 von Elia Kazan verfilmt.
In "The Kindness of Strangers" spielt Kazans Enkelin Zoe eine junge Mutter, die planlos mit ihren Kindern vor ihrem gewalttätigen Ehemann nach New York flieht. Sie haben kein Geld, verwahrlosen, werden obdachlos, der Winter setzt ein, die Kinder werden krank. Parallel werden Geschichten von einsamen Menschen in New York erzählt. Diese versammeln sich in einem russischen Restaurant, wo sie alle so tun, als seien sie Russen. "Und all diese Menschen helfen Clara, damit sie wieder auf die Füße kommt – eben die Freundlichkeit von Fremden."

Die Stärke der Schwachen

Der Film zeige ein Amerika, in dem das Individuum es nicht alleine schaffen könne, fasst Wellinksi seine Eindrücke zusammen. Es gebe keine sozialen Netze, keine Institutionen, die einen auffangen könnten, sodass die Familie letztlich verstoßen und vergessen, ja, obdachlos werde. Interessant sei, dass auch die anderen leicht abrutschen. Auf der anderen Seite werde aber ein Amerika gezeigt, das "community-minded" sei, wo man sich umeinander kümmere. Sodass am Ende vieles ein bisschen, aber eben nicht alles besser werde.
Auch wenn der Film für die meisten eher eine "kitschige Schnulze" sei, ist dieser "klassische Oldschool-Film" für unseren Kritiker gerade "in diesen kalten Zeiten" voll des Zynismus ein willkommenes "Mitfühlzeichen". Der Film setze seine Figuren nie harsch der Realität aus: "Scherfig umhüllt ihre Figuren mit so einem sehr wohligen Glanz, sodass auch wenn schlimme Dinge passieren, wir immer wissen: Es passiert eigentlich nichts Schlimmes mit Clara. Sie wird es irgendwie schaffen. Dann setzen die Streicher ein." Hieße Lone Scherfig Frank Capra und hätte diesen Film 1933 in Hollywood gedreht, würde er sicher als "großes humanistisches Meisterwerk" gelten, meint Wellinski.
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