Berlin vor 50 Jahren

Zehn Telefonleitungen nach "jenseits der Mauer"

06:50 Minuten
Schwarz-Weiß-Bild: Frauen stecken in Westberlin im Januar 1971 Kabel in Apparaturen, mit deren Hilfe man Telefonvebindungen herstellen kann.
Die Leitungen nach Ostberlin waren so knapp, dass sie nicht fürs Selbstwählen freigegeben werden konnten. © IMAGO / ZUMA / Keystone
Von Thomas Klug · 29.01.2021
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Fast 20 Jahre lang konnten Ost- und Westberlin nicht miteinander telefonieren: Die DDR hatte die Leitungen gekappt. Ende Januar 1971 gab es dann ganze zehn Leitungen. Gespräche wurden handvermittelt - den Redebedarf deckte das nicht.
"Im handvermittelten Dienst gilt für die DDR die Nummer 010. Was wählt man, wenn man mit Ostberlin telefonieren will?", wird im Rundfunk im amerikanischen Sektor, RIAS, im Januar 1971 gefragt. Die Antwort: "Dann bitten wir unsere Berliner, 10 zu wählen. Wir werden diese Nummer einschalten, um damit Ostberlin zu erreichen."
Ostberlin ist wieder erreichbar. Das ist eine gute Nachricht.
"Für den heutigen Tag, Herr Breier, ist die Gesprächskapazität bereits wieder ausgebucht", heißt es Ende Januar im RIAS. "Ja, wir mussten um 10:02 Uhr die Rufnummer 10 zumachen und das Band auflegen, dass man für heute keine Gespräche mehr annehmen kann. Denn wir hatten bis zu diesem Zeitpunkt 1247 Gespräche, Gesprächsanmeldungen entgegengenommen."

1952 wurden Telefonleitungen gekappt

Es ist das Jahr 1971. Telefonieren ist auf dem Weg, selbstverständlich zu werden. Eigentlich. Doch manche Anrufe sind nicht erwünscht, nicht zwischen Ost und West. Nicht in Berlin. Noch bevor 1961 die Mauer gebaut wurde, hatte Ostberlin 1952 die Telefonleitungen zwischen Ost und West gekappt.
Lioba Nägele vom Museum für Kommunikation Frankfurt am Main:
"Zwischen den 50er- und den 70er-Jahren ist es ja nicht so, dass man da überhaupt nicht hätte telefonieren können. Die Post hat ja einen irrsinnigen Aufwand betrieben, um solche Telefongespräche zu ermöglichen, indem sie sozusagen von Berlin aus über Funkverbindungen Verbindungen in die damalige Bundesrepublik hergestellt hat."
Der besondere politische Status von Westberlin. Die DDR kontrolliert nicht nur Zufahrtswege, sondern auch Leitungen. Für direkten Kontakt bedarf es langer Leitungen – sprich einiger Umwege:
"Es liegt eben in der Logik des damaligen Netzes. Es gab mehrere Fernvermittlungsstellen in Frankfurt, in Hannover, in Köln, in Hamburg. Und die dienten dann, um von Berlin aus in eine dieser Kopfstellen wieder dann nach Berlin Ost oder in die DDR Verbindungen herzustellen."
Kratzen, knistern, rauschen. Es gibt viele Geräusche, die eine Telefonleitung aufbieten kann. Da muss noch nicht einmal jemand sprechen. Es tönt, knarrt, gurgelt. Und es ist egal. Hauptsache die Leitung steht und es gibt irgendeine Reaktion, wenn man den eigenen Namen ins Telefon brüllt.
Und dann versichert man sich gegenseitig, dass man einander hören kann. Oder was erzählte man sich sonst so? "Sie wissen, das Fernmeldegeheimnis…"

Telefonleitungen als politisches Ereignis

Neue Telefonleitungen in einer Stadt. 1971 ist das weniger ein technisches, mehr ein politisches Ereignis. Da äußert sich zum Beispiel Egon Bahr.
Zu der Eröffnung von zehn Telefonleitungen machte er aber einige Bemerkungen als Staatssekretär im Bundeskanzleramt:
"Ich glaube zunächst einmal, dass man die Schaltung dieser Telefonleitungen überhaupt nicht im Zusammenhang mit den Viermächte-Gesprächen sehen kann, jedenfalls nicht sehen sollte."
In Bonn spricht Egon Bahr und in Westberlin besucht der Regierende Bürgermeister Klaus Schütz eine Telefonzentrale im Stadtbezirk Schöneberg:
"Hier geht es um einen ganz kleinen Schritt, höchstwahrscheinlich bezeichne ich es am besten als den Beginn eines Anfangs, dass man zumindest wieder telefonieren kann - in der geteilten Stadt."

Kapazitäten schnell ausgebucht

Telefonieren 1971: Telefone besitzen Wählscheiben. Und es gibt die "Fräulein" vom Amt, junge Frauen, die in Telefonzentralen sitzen und irgendwelche Leitungen aus- und einstöpseln, um Verbindungen herzustellen. Lioba Nägele vom Museum für Kommunikation Frankfurt am Main:
"Das waren Handvermittlungsstellen, zu einem Zeitpunkt, wo natürlich die Wählscheibe längst erfunden und der automatische Verkehr, also der Wählbetrieb natürlich längst eingeführt war. Aber bei diesen knappen Leitungen konnte man das nicht für die Selbstwahl freigeben, sondern es waren Gespräche, die über Fräuleins vermittelt worden. Es waren ungefähr 750 Gespräche am Tag möglich. Und man bediente sich einer alten Technik, nämlich dem sogenannten Rückwärtsaufbau. Das heißt, der Anrufer bekam seine Verbindung, wenn erfolgreich alle Stellen bereit waren, dass man nicht die gesamte Wartezeit bezahlen musste."
Schon nach kurzer Zeit sind die Kapazitäten ausgebucht. Ein Sprecher der Deutschen Post, die für das Telefonnetz zuständig war, erklärt:
"Gestern hatten wir 838 Gesprächsanmeldungen entgegengenommen, wir fingen aber erst um 6 Uhr an und mussten um Mitternacht 114 streichen. Der Rest, den konnten wir ausführen, allerdings 506 echte Gespräche. In 218 Fällen da meldete sich entweder der Teilnehmer drüben nicht oder aber die Rufnummer stimmte nicht."

Mehr Leitungen und halb automatische Vermittlung

Der 31. Januar 1971 zeigt: Der Redebedarf zwischen Ost und West ist groß. Redemöglichkeiten gibt es viel zu wenige.
"Dieser Startschuss, diese fünf Leitungen, dabei blieb es ja zum Glück nicht", erzählt Lioba Nägele. "Bis Ende des Jahres wurden 120 zusätzliche Leitungen in Betrieb genommen und bis Ende 1971 gab es auch in der Vermittlungstechnik weitere Verbesserungen. Es gab den sogenannten halb automatischen Verkehr."
Neue Telefonleitungen zwischen Ost und West. Es ist klar, dass sich die Berliner darüber freuen. Es ist klar, dass die Berliner darüber nicht so viel lästern wie üblich.
"Dass die Westberliner schimpfen und dass das alles viel zu wenig sei. Der Berliner an sich schimpft ja sowieso gerne, oder?", sagt Lioba Nägele und lacht ausgiebig.
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