Elizabeth Harrower: "In gewissen Kreisen"

Die Liebe - ein höchst unsicheres Terrain

Ein gebrochenes Herz aus Eis mit einer roten Rose in der Mitte.
Elizabeth Harrower porträtiert in "In gewissen Kreisen" vier Menschen, , die einander suchen und finden, die sich verfehlen und verletzten, die nicht zueinander passen und schon gar nicht miteinander über die entscheidenden Dinge sprechen. © dpa/ picture-alliance/ B1861_Lehtikuva_Oy
Von Manuela Reichart · 27.05.2016
40 Jahre lag "In gewissen Kreisen" von Elizabeth Harrower in der Schublade. Vor zwei Jahren wurde die Liebes- und Leidensgeschichte von zwei Geschwisterpaaren erst verlegt und seitdem zu Recht gefeiert. Nun ist der Roman auf Deutsch erschienen.
Der Bruder bringt ein seltsames Geschwisterpaar mit ins intellektuell offene Elternhaus. Seine jüngere Schwester Zoe fühlt sich angezogen von dem neuen Freund, der so gar nichts gemein hat mit anderen Gleichaltrigen. Er buhlt nicht um ihre Gunst, ist nicht beeindruckt von den lockeren Konversationen, dem aufgeschlossenen Geist, der hier selbstverständlich herrscht. Er muss Geld verdienen, arbeitet als Vertreter, um für den Lebensunterhalt seiner kleinen Schwester zu sorgen. Die Beiden sind Waisen, aufgewachsen bei einem Onkel und seiner verrückten Frau, sie sind gezeichnet und verstört fürs ganze Leben. Zwei Geschwisterpaare, die unterschiedlicher nicht sein könnten, treffen aufeinander - und werden für immer verbunden sein.

Eine kluge Frau, die sich von ihrem Mann einschüchtern lässt

Im Zentrum des ersten Teils dieses spannenden Romans steht die kluge und vielseitig begabte 17-jährige Zoe: "Schon früh hatte sie von ihren Eltern und deren Freunden gelernt, dass sie bemerkenswert war." Sie geht nach Paris, wird Fotografin und dort als vielversprechendes Talent der Filmbranche gehandelt. Als Mittzwanzigerin kehrt sie nach Australien zurück und heiratet den schwierigen Freund des ehrgeizlosen, liebenswürdigen Bruders.
Sie stürzt sich euphorisch und entschieden in diese Liebe, aber nichts wird, wie sie es sich vorgestellt hat. Sie verkümmert in der Ehe, ihr Mann treibt ihr alle persönlichen Ambitionen aus. Mit 40 steht sie vor den Trümmern ihrer Träume, krank und eingeschüchtert. Aus der verdrucksten kleinen Schwester ihres Ehemannes ist dagegen nach einigen Umwegen eine zwar nicht glückliche, aber selbstständige Künstlerin geworden.

"In gewissen Kreisen": Zorn und Traurigkeit der 50er und 60er

Elizabeth Harrower war in den 1950er und 1960er Jahren als vielversprechendes literarisches Talent gehandelt worden. Sie hatte vier Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht, - dann aber nach dem Tod ihrer Mutter die literarische Karriere abrupt beendet. Dieser 1971 fertig gestellte Roman blieb mehr als vier Jahrzehnte in der Schublade. Vor zwei Jahren erst wurde er verlegt und rückte die hochbetagte Autorin wieder ins Blicklicht, denn sie erzählt hier auf höchst moderne und dramaturgisch vielschichtige Weise von vier Menschen, die einander suchen und finden, die sich verfehlen und verletzten, die nicht zueinander passen und schon gar nicht miteinander über die entscheidenden Dinge sprechen. Dabei geht ihre Jugend vorbei, die Hoffnungen werden begraben. Die Liebe erweist sich als höchst unsicheres Terrain.
Als das Buch vor zwei Jahren in Amerika erschien, hieß es in der Zeitschrift New Yorker, die - euphorisch gefeierte - Autorin verstünde es auf unvergleichliche Weise, dem Zorn ein literarisches Gesicht zu geben und der Unvereinbarkeit männlicher und weiblicher Träume.
Am Ende dieses verschachtelt erzählten Romans, der ein Vierteljahrhundert umfasst, bleibt nur die Trennung. Kühl, beinahe nebenbei verhandelt Elizabeth Harrower die Dramen und Abstürze, die Irrtümer und Unvereinbarkeiten. Sie porträtiert nicht nur den Zorn jener Jahre, sondern vor allem die Traurigkeit, die über den verlorenen Träumen liegt - und die Frauen, die kurze Zeit später in "gewissen Kreisen" beschlossen, den Aufbruch zu wagen.

Elizabeth Harrower: "In gewissen Kreisen"
Aus dem Englischen übersetzt und mit einem Nachwort von Alissa Walser
Aufbau Verlag, Berlin 2016
279 Seiten, 22,95 Euro

Mehr zum Thema