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Wegen Kooperation in der Flüchtlingspolitik
EU weitet Beitrittsverhandlungen mit Türkei aus

Erstmals seit zwei Jahren weitet die EU die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aus. Am Abend gaben die EU-Staaten in Brüssel grünes Licht für die Eröffnung des Kapitels zur Wirtschafts- und Währungspolitik. Ankara hatte weitere Verhandlungen zur Voraussetzung für eine Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise gemacht.

Von Annette Riedel | 14.12.2015
    Die türkische Staatsflagge weht neben der Europafahne.
    Die türkische Staatsflagge weht neben der Europafahne. (picture alliance / dpa / Matthias Schrader)
    Die Beziehungen der EU zur Türkei spielten heute beim Treffen der EU-Außenminister eine wesentliche Rolle. Der türkische Außenminister Cavusoglu war beim Arbeits-Mittagessen seiner europäischen Amtskollegen dabei.
    "Die Anwesenheit unseres türkischen Kollegen haben wir natürlich genutzt, um Eskalationen der letzten Tage und Wochen zu diskutieren: das Verhältnis der Türkei zu Russland, nach dem Abschuss des russischen Flugzeugs."
    Zu besprechen gab es auch über das von Bundesaußenminister Steinmeier Genannte hinaus mehr als genug. Die EU-Außenbeauftragte Mogherini:
    "Außenpolitisches und regionale Themen – also: Syrien, der Kampf gegen den 'Islamischen Staat', vor allem beim Umgang mit Dschihadisten des IS, die aus Europa stammen."
    Die EU braucht die Zusammenarbeit mit der Türkei dafür. Mindestens so sehr wie bei der Flüchtlingsfrage. Und nicht zuletzt deshalb wird am Abend im Umfeld des Außenministertreffens zusammen mit der EU-Kommission offiziell ein neues Kapitel der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei eröffnet. Neben der Zusage finanzieller Unterstützung ist das ein wesentlicher Teil der Verabredungen mit der Türkei, um sie zu motivieren, das ihrige zu tun, den Flüchtlingsstrom Richtung EU zu begrenzen.
    Verhandlungen seit elf Jahren
    Richtig findet es der luxemburgische Außenminister Asselborn, die Beitrittsverhandlungen, die lange auf Sparflamme köchelten, zu beleben.
    "Ich war dabei, 2004, als wir angefangen haben mit der Türkei. Wir sind jetzt elf Jahre danach. Was die Verhandlungen angeht, braucht man Geduld. Man darf nur einen Fehler nicht machen: Das ist Abbrechen."
    Nicht abbrechen: Ja. Beschleunigen: Ja. Aber nicht um jeden Preis, meint der österreichische Außenminister Kurz.
    "Aus meiner Sicht ist ganz entscheidend, dass diese Verhandlungen zwar geführt werden können, dass man aber keinesfalls jetzt aufgrund der Flüchtlingskrise bei anderen Themen, wie zum Beispiel bei der Kurden-Problematik oder bei der menschenrechtlich noch immer sehr schwierigen Situation, wegsehen soll."
    Das neue Kapitel, das zu verhandeln begonnen werden soll, ist das Kapitel 17 über Wirtschafts- und Währungsfragen. Zwar ist dieses Kapitel vielleicht weniger brisant, als wenn man über die Justiz oder über Bürgerrechte, Medienfreiheit oder ähnliches zu verhandeln beginnen würde. Aber ein leichtes Verhandlungsthema ist es damit keineswegs, sagt der politische Analyst der Brüsseler Denkfabrik Carnegie Europe, Jan Techau:
    "Da steckt etwas ganz, ganz Zentrales drin: Es ist erst einige Wochen her, dass die Türkei per Gesetz die Unabhängigkeit ihrer Zentralbank abgeschafft hat. Und das ist ja eine der großen, wichtigen Voraussetzungen für den EU-Beitritt, dass eine unabhängige Zentralbank existiert - eine, auf die die Politik keinen direkten Einfluss nehmen kann. Erdogan hat das sozusagen einkassiert. Und so steckt also in dieser Wirtschafts- und Finanzfrage ein ganz, ganz harter Kern."
    Gefährliche Abhängigkeit
    Beitrittsverhandlungen sind aus Sicht Techaus der einzige Hebel, den die EU aktuell hat, um auf die Türkei einwirken zu können. Das gilt allerdings nur, so lange es innerhalb des Landes noch Kräfte gibt - wenn auch tendenziell weniger als zu Beginn der Beitrittsverhandlungen 2004 - denen an einer Integration in die EU als mittel- oder langfristige Perspektive gelegen ist.
    Techau: "Da besinnt man sich jetzt im Moment der Krise zurück auf das einzige Instrument, das bleibt: die Beitrittsverhandlungen. Das sieht vordergründig erst mal aus wie eine Niederlage - das ist es zum Teil auch. Aber es ist, wenn man es klug spielt, mittel- und langfristig, wie man wieder einen Hebel kriegen kann, mit dem man die Türkei sozusagen auch 'kriegt'."
    Dass nicht jedem in der EU wohl dabei ist, dass die Zusammenarbeit mit der Türkei Erdogans über der Flüchtlingskrise und im Zusammenhang mit der Terrorbekämpfung eine so spürbar gesteigerte Bedeutung bekommen hat, das hörte man heute allerdings in Brüssel nicht nur aus den Worten des österreichischen Außenministers heraus.
    Kurz: "Ich glaube, dass es sinnvoll sein kann, in einigen Bereichen zu kooperieren, wie zum Beispiel bei der Rückstellung von Flüchtlingen. Ich glaube aber, dass es auch Bereiche gibt, die wir selbst erledigen sollten - wie die Sicherung der EU-Außengrenzen. Wenn wir das nicht selbst zusammenbringen, dann begeben wir uns in eine Abhängigkeit, die gefährlich ist."