"Berlin Alexanderplatz"

Bis Migration keine Rolle mehr spielt

09:40 Minuten
Ein schwarzer und ein weißer Mann mit Clownsmasken schauen sich an.
Mit seiner Adaption von "Berlin Alexanderplatz" habe Regisseur Burhan Ghurbani einen "urdeutschen Stoff" in das heutige Berlin gebracht, sagt Amin Farzanefar. © Sommerhaus/eOne Germany/Wolfgang Ennenbach
Amin Farzanefar im Gespräch mit Gesa Ufer · 16.07.2020
Audio herunterladen
„Berlin Alexanderplatz“ ist nicht der einzige aktuelle Film, der eine neue, diversere deutsche Wirklichkeit widerspiegelt. 2020 sei ein guter Jahrgang auf dem Weg hin zu einer neuen Normalität, sagt Filmjournalist und Kurator Amin Farzanefar.
Eindimensionale Frauenfiguren, Klischeerollen für Schwarze Menschen und Migrantinnen, Oscar-Nominierungen exklusiv für männliche Regisseure: Die Film- und Fernsehbranche wird seit Jahren dafür kritisiert, zu wenig für Diversität zu tun – auch und gerade in Deutschland.
Doch es gibt sie: neue Filme, die in dieser Hinsicht Hoffnung machen. Diese Woche startet "Berlin Alexanderplatz", eine bildgewaltige Adaption des 1929 erschienen Romans von Alfred Döblin.
Das Neue: Der Regisseur Burhan Ghurbani passe den Stoff an das heutige Berlin an, in dem er zum Beispiel die Hauptperson Franz Biberkopf durch einen Geflüchteten aus dem Senegal ersetzt, sagt Filmjournalist Amin Farzanefar. "Francis" heiße dieser zu Beginn und werde später ebenfalls "Franz" genannt. Der "urdeutsche Roman" habe so eine "migrantische Perspektive" bekommen.

Vorabendserien im Mittelstandsmilieu

Beim Deutschen Filmpreis 2020 habe sich bereits eine starke Präsenz "postmigrantischer Filmemacher" erkennen lassen, sagt Farzanefar. Der Deutschiraner Faraz Shariat war mit seinem Berlinale-Beitrag "Futur Drei" vornominiert, die Deutschtürken Ilker Çatak ("Es gilt das gesprochene Wort") und "Fuck you, Goethe!"-Regisseur Bora Dağtekin ("Das perfekte Geheimnis") erhielten Auszeichnungen.
"Das sind Filme, die sind stilistisch total unterschiedlich. Aber das einzig einigende ist, dass die Autoren, die Filmemacher einen Migrationshintergrund haben."
Bei den Vorabendserien im Fernsehen sehe das dagegen noch anders aus. Die würden immer noch im "klassischen deutschen Mittelstandsmilieu" spielen. Doch es gebe auch gute Beispiele von Filmen mit einem deutschen Stoff, der divers angelegt seien, sagt Farzanefar. Der große Gewinner des Deutschen Filmpreises zum Beispiel: "Systemsprenger" von Nora Fingscheid.
In dem Film ist der bekannte Comedian Tedros Teclebrhan in einer Nebenrolle zu sehen. Sein eritreischer Hintergrund spiele dabei gar keine Rolle. Daneben ist die Schauspielerin Maryam Zaree zu sehen, die einen Charakter namens Elli Heller spielt. Auch bei ihr werde nicht verhandelt, dass sie vielleicht einen Migrationshintergrund hat, sagt Farzanefar.

Die Forderung nach einer neuen Normalität

Seit dem Anwerben türkischer Arbeiterinnen und Arbeiter im Jahr 1961 habe es immer Versuche gegeben, jenseits der Klischees individuellere Geschichten zu erzählen, sagt Farzanefar. Aber erst Ende der 90er-Jahre und Anfang der 2000er-Jahre habe sich wirklich etwas geändert – mit einer neuen Generation von Filmemachern wie Fatih Akin.
Akin allein sei jedoch lange als Repräsentant dieser Entwicklung gesehen worden und habe in dieser Rolle eine Menge Projektionen abfangen müssen: "Deswegen ist die Forderung nach einer neuen Normalität, wo der ethnische Hintergrund, der nationale Hintergrund, der Migrationshintergrund nicht mehr so eine Rolle spielt, ganz dringend und berechtigt."
(sed)
Mehr zum Thema