Bergbau in Armenien

Kampf um Transparenz in Kadscharan

Mit Schnee verdeckte Berge in Kadscharan, Armenien
Der Bergbau gibt vielen Menschen in Kadscharan Arbeit. © Deutschlandradio / Christian Siepmann
Von Tigran Petrosyan und Christian Siepmann · 06.10.2015
Umweltschutz-Pioniere verlangen von den Betreibern des größten Bergwerkes in Armenien mehr Transparenz. Ihre Messungen in Kadscharan zeigen eine hohe Schwermetall-Belastung der dortigen Kulturpflanzen. Der Minen-Betreiber widerspricht und hat Rückendeckung der Regierung.
Tonne um Tonne holen die riesigen Speziallaster das Gestein aus der Grube von Kadscharan. Randvoll sind die gelben Fünfzigtonner beladen. Das Transportgut: Erzgestein mit Molybdän und Kupfer. Diese Rohstoffe braucht jede Industriegesellschaft der Welt. Molybdän macht Stahl noch härter. Kupfer ist ein guter Stromleiter.
In Kadscharan gibt der Bergbau mehr als 3000 Menschen Arbeit. Und gute Jobs sind rar in Armenien. Die Arbeitslosenquote beträgt offiziell fast 18 Prozent. Trotzdem ist Levon Galstyan mit dem Bergbau nicht einverstanden. Er sitzt 300 Kilometer von Kadscharan entfernt in seinem Büro in der Hauptstadt Jerewan und schimpft.
"Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass in Kadscharan, in Kapan und anderen Orten die Belastung mit Schwermetall hoch ist: Sie sind überall, im Wasser, in der Erde. Alle Kulturpflanzen, die in der Region wachsen, z. B Kartoffeln, aber auch die regionale Milch, enthalten zu viele Schwermetalle."
Levon Galstyan ist Geograf und einer der Pioniere des Umweltschutzes in Armenien. Beschwerde um Beschwerde hat er wegen des Bergwerks an Ministerien und Behörden gerichtet.
Levon Galstyan
Levon Galstyan© Deutschlandradio / Christian Siepmann
Wenn er überhaupt Antworten bekommt, sind die stets ausweichend und nichtssagend. Einen ganzen Schreibtischcontainer hat er damit gefüllt.
"Wir fordern von den Ministerien, dass sie auf ihrer Webseite relevante Informationen publizieren. Unsere Mitbürger wollen wissen, was mit unserer Umwelt passiert. Doch die Antworten der Ministerien verzögern sich oder sie antworten überhaupt nicht. Oft wollen sie uns keine Informationen geben, obwohl wir per Gesetz ein Recht darauf haben."
Für die Regierung hat der Bergbau Priorität
Für Armeniens Regierung besitzt der Bergbau Priorität. Seit der Unabhängigkeit 1991 definierten alle Kabinette ihre Politik ausdrücklich als bergbaufreundlich. Die Mine von Kadscharan ist die größte von fast 870 im ganzen Land. Das betreibende Kombinat ist einer der größten Einzelsteuerzahler in Armenien. Entsprechend sind die Umwelt-Gesetze für den Bergbau bis heute äußerst lax und ob sie eingehalten werden, wird kaum kontrolliert. Hinzu kommt die wuchernde Korruption.
Das Bergwerk Kadscharan, ein ehemaliger Staatsbetrieb, wurde 2004 privatisiert. Neuer Mehrheitseigentümer ist ein deutsches Familienunternehmen: Cronimet aus Karlsruhe. Als Kaufpreis kursiert die Summe von 132 Millionen US-Dollar.
Ein schlechtes Geschäft, mein Hrant Bagratyan. Der bullige Mann war Mitte der 90er Jahre Premierminister Armeniens. Nun sitzt er in einem Jerewaner Restaurant.
Abgeordneter der Oppositionspartei ist er immer noch. Außerdem arbeitet er als Wirtschaftsprofessor. In den 90er-Jahren trieb Bagratyan die Privatisierungen voran. Aber den Verkauf von Kadscharan durch seine Nachfolger hält er für ein schlechtes Geschäft. Nur wenige würden profitieren.
"Das war nicht transparent. Das habe ich kritisiert und ich kritisiere es noch immer. Von seiner Kapazität her könnte Kadscharan ein Fünftel oder ein Sechstel des Wertes des aserbaidschanischen Öls liefern. Die Mine hat das Potenzial, eine Milliarde Dollar im Jahr zu verdienen. Heute sind es meinen Informationen zufolge 250 oder 300 Millionen."

Von der Hauptstadt Jerewan bis nach Kadscharan im Südwesten des Landes fährt man sechs Stunden mit dem Auto. Die Straße windet sich spektakulär durch die armenische Hochebene. Sie erklimmt hohe Berge in engen Serpentinen. Dann stürzt sie sich wieder in tiefe Schluchten.

Diese Strecke ist ein Schaufenster der Schönheiten des Landes. Aber auch ein repräsentatives Beispiel für den Zustand seiner Infrastruktur. Als Kadscharan immer näher kommt, erzählt der Fahrer Valeri Sargsyan ein Anekdote. In der Gegend sei sie sehr beliebt, sagt er:
"Im verstrahlten Sperrgebiet um das havarierte Atomkraftwerk Tschernobyl sitzen ein paar Männer unter freiem Himmel an einem Tisch. Sie trinken Wasser aus den Quellen der Gegend, sie essen Gemüse aus den Gärten. "Was macht ihr da? Das ist alles verseucht!", werden sie gewarnt. "Uns macht das nichts. Wir sind aus Kadscharan", antworten sie."
Kadscharan, so heißen eine Stadt und auch ein kleines Dorf. Beide liegen direkt an der Mine. Fast jeder hier lebt irgendwie vom Bergbau.
Reden mag in der Gegend kaum jemand. Erst recht nicht mit Journalisten. Es fehlt das Vertrauen. Es scheint, als regiere hier Angst. Auch der Mann, der auf der Dorfstraße von Kadscharan durch den Schnee stapft, will zunächst nicht sprechen. An seiner Hand tappst ein kleiner Junge.
Dann fasst er sich ein Herz. Er will aber nur seinen Vornamen sagen: Vrej. Er ist 46 Jahre alt: "Ich bin vor acht Jahren hierher gezogen. Ich habe vier Kinder und meine Schwester wohnt auch bei uns. Also sind sieben Personen in unserer Familien abhängig vom Kombinat. Mein jüngstes Kind hier ist drei Jahre alt, die anderen sind Schüler und Studenten. Von der Landwirtschaft können wir nicht leben. Es gibt einfach nichts hier, außer der Arbeit im Kombinat. Die Gesundheit der Kinder ist wichtig, aber ich muss erst daran denken, dass ich das Essen für meine Familie verdienen muss. Es gibt hier keine Alternative."

Furchtlos gibt sich im Dorf Kadscharan einzig der Dorfvorsteher. Rafik Atayan ist ein fülliger Mann. Er trägt eine Fellweste und empfängt im heruntergekommenen Rathaus. Von Beruf ist Atayan Bauer. Aber er sagt, politisch verstehe er sich als Soldat, der seine Stellung verteidigt.

Das meint Atayan wörtlich. Denn wirtschaftlich ist die Mine zwar für ganz Armenien wichtig. Für das kleine Dorf Kadscharan aber ist sie eine permanente Bedrohung. Bis vor kurzem sollte der Ort verschwinden. Darunter werden reiche Erzadern vermutet. Aber die Anwohner haben sich gewehrt – nun ist der Plan erstmal vom Tisch. Das Misstrauen gegenüber dem Bergwerksbetreiber aber ist geblieben: "Sie wollten das ganze Dorf mit Gewalt brechen. Meine Dorfleute haben zum Krieg gegen das Kombinat gedrängt. Sie haben eine Blockade errichtet. (...) Die Menschen hier bekamen keine Arbeit im Kombinat. Und diejenigen, die dort arbeiteten, bekamen keinen Lohn."
Plötzlich empfängt man auf der Chefetage auch Journalisten
Vom Rathaus des Dorfes Kadscharan sind es nicht einmal zwei Kilometer bis zur Verwaltung der Mine. Ein schlichter, dreistöckiger Flachbau. Das Büro des Minendirektors liegt im dritten Stock.
Hinter seinem Schreibtisch sitzt dort Neil Stevenson. Ein freundlicher Australier, erst seit kurzer Zeit ist er der Direktor. An seiner Seite sitzt Mger Poloskov, einer der Top-Manager von Cronimet – dem deutschen Mehrheitseigentümer. Ein bulliger Mann mit kurzem Bürstenhaarschnitt.
Neil Stevenson
Neil Stevenson© Deutschlandradio / Christian Siepmann
Lange hat man Journalisten hier nicht empfangen. Nun aber lautet die Devise: Transparenz. Eine westliche Unternehmensberatung hatte das Bergwerk unter die Lupe genommen. Jetzt soll sich alles ändern, erklärt Direktor Stevenson:
"Leider gab es viele Mängel. Sie haben einen Plan für uns erarbeitet, was wir tun müssen, damit wir die Standards der Weltbank-Organisation IFC erfüllen. Diesen Prozess haben wir in den vergangenen sechs Monaten begonnen."

IFC-Standards, das sind Empfehlungen, die die Weltbank für Rohstoffabbau entwickelt hat, so Neil Stevenson. Dabei geht es vor allem um Transparenz. An Recht und Gesetz Armeniens habe man sich ohnehin immer gehalten, versichert die Werksleitung. Das allerdings ist auch nicht sonderlich schwer in dem bergbaufreundlichen Land.
Dennoch: Die Vorwürfe der Umweltschützer in Jerewan seien blanker Unsinn, erklärt Top-Manager Poloskov:
"Das ist Quatsch. Sie wollen auch Quecksilber im Wasser gefunden haben. In allen Proben, die wir nach Deutschland gesendet haben, war absolut kein Quecksilber. Es gibt auch kein Quecksilber in unseren Erzvorräten. Sie arbeiten einfach nicht ordentlich."
Poloskov versichert auch, dass der Dorfvorsteher Rafik Atayan keine Angst mehr haben muss. Vorerst jedenfalls nicht. Wolle man das Dorf irgendwann in Zukunft einmal umsiedeln, werde man das nur nach einer Einigung mit den Bewohnern tun.
Manager Poloskov pendelt zwischen Armenien und der deutschen Konzernzentrale in Karlsruhe. Die zahlreichen Gerüchte über Korruption in Kadscharan weist er freundlich, aber scharf zurück. Dafür spricht er sogar auf Deutsch:
"Keine Staatsangestellten von heute oder von gestern sind irgendwie involviert in die Gesellschafterstruktur hier. Es gibt Gerede, aber das hat meiner Meinung nach nichts mit uns zu tun. Sie sollten sich die Situation im Land anschauen. Vielleicht gibt es hier Raum für Gerüchte. Das hat nichts mit uns zu tun, sondern mit der Gesamtsituation im Land."
Was Poloskov und Minendirektor Stevenson nicht bestreiten: Bergbau bedeutet immer einen Eingriff in die Natur. Wer vom Verwaltungsgebäude der Mine aus mit einem Jeep herauffährt an den Rand des Tagebaus, bekommt einen guten Eindruck davon.
Im Dorf gedeiht kein Obst mehr
Sprengung um Sprengung frisst der Mensch sich hier in den Berg. Immer tiefer und breiter wird das Loch. Unter schneebedeckten Gipfeln gibt es keine natürlichen Berghänge mehr. Stattdessen hat man Terrassen in das Idyll getrieben. Und im Minutentakt holen die 50-Tonner immer mehr Schätze aus dem Boden.
Wer aber erkunden will, wie schädlich der Bergbau womöglich für die Gesundheit der Menschen ist, muss dort suchen, wo die Abfälle landen. Wenn das Erz vom Gestein getrennt wird, bleibt ein feinkörniges Pulver zurück. Es ist eine Art Schlamm.
Von Kadscharan aus wird er über Kanäle hinfort geschwemmt. Er landet 30 Kilometer entfernt in einem Gewässer. Das ist der Schlämmteich beim Ort Artsvanik. In der Sonne glitzert er wie eine türkise Perle. Ein paar hundert Meter hangaufwärts lebt Аnahit Zakaryan auf ihrem Hof.
Die 64-Jährige füttert die Hühner in ihrem Garten. Sie hält sie für die Eier und das Fleisch. Auch von ihren Obstbäumen isst sie selbst. Aber seit Jahren schon wollen die Bäume nicht mehr richtig tragen. Für Zakaryan liegt es nahe, dass das etwas mit den Minen-Abfällen zu tun haben muss:

"Das Molybdän und der ganze Schlämmteich wirken sich auf die Vegetation hier negativ aus. Früher hatten wir in unseren Gärten viele Apfelbäume. Wir haben immer reiche Ernte eingebracht. Und heute gedeiht in unserem Dorf fast kein Obst mehr: Es wird schwarz und fällt vom Baum. Der Wind trägt die Luft mit dem Molybdän-Pulver bis an unsere Häuser. Wir atmen ihn ein. Der Staub ist überall, auf den Bäumen und Büschen."
Аnahit Zakaryan war selbst schwer krank: Sie hatte Krebs. Sie wirbelt in ihrer ärmlichen Küche, kocht Kaffee auf der Gasflamme.

Durch die Bäume glitzert aus dem Tal die Oberfläche des Schlämmteichs. Fast jede Familie in dem Dorf klage über eine schwere Krankheit von einem oder mehreren Mitgliedern. Аnahit Zakaryan mag da nicht an Zufälle glauben:
"Vor allem Krebskrankheiten sind bei uns häufig. Ich selbst hatte Gebärmutterhalskrebs. Viele Menschen in unserem Dorf hatten Brust- und Leberkrebs. Mein Mann ist an Leberzirrhose gestorben. Fakt ist, dass es diese Krankheiten hier heute gibt. Früher hatte niemand so etwas, aber heute fast jeder. Deswegen vermute ich, dass der Grund dafür der Teich sein könnte."
In Artsvanik ernten viele sogar noch näher am Wasser als Zakaryan. Vieh weidet direkt am Schlämmteich, am Ufer gibt es Gärten. Es werden Weizen und Gerste hier geerntet. Aber die Ackerflächen werden immer kleiner. Denn der Teich wächst und wächst und begräbt Jahr für Jahr immer mehr Boden unter sich.
Der Schlämmteich von Artsvanik in Armenien 
Der Schlämmteich von Artsvanik© Deutschlandradio / Christian Siepmann
Genau das droht auch dem Garten von Borik Gevorgyan. Nur noch wenige hundert Meter ist das Wasser von seinen Maulbeerbäumen entfernt. Gevorgyans Gesicht ist von Sonne und Wind gegerbt. Über der Schulter trägt er eine rostige Sichel.
"Der Schlämmteich stinkt. Darin sind alle möglichen Schwermetalle, besonders Arsen. Unser Garten verfällt seit letztem Jahr. Wegen der Wärmestrahlung des Schlämmteichs blühen die Bäume früher. Aber dann macht der Schnee sie sofort wieder kaputt."
Auch Gevorgyan klagt über gesundheitliche Beschwerden. Und auch er hat den Verdacht, dass irgendetwas im Wasser das auslösen könnte.
"Nur in unserem Dorf und im gegenüberliegenden Dorf Sevakar habe ich Bluthochdruck. Natürlich muss das wegen des Schlämmteichs sein. In anderen Dörfern, wo die Luft sauber ist, habe ich nie Probleme mit dem Blutdruck."
So steht also Aussage gegen Aussage. Auf der einen Seite die der Menschen in Artsvanik. Sie glauben, dass die Abfälle im Teich aus dem nahen Bergbau sie krank machen. Auf der anderen Seite die Bergwerksleitung. Sie pocht darauf, dass der Abbau um Kadscharan ungefährlich sei und Proben immer im Normalbereich gelegen hätten. Als einer der größten Einzelsteuerzahler in Armenien genießt das Kombinat auch den Rückhalt der Regierung. Die Ängste der Menschen vor Ort konnte das Milliarden-Unternehmen aber bisher nicht beseitigen.

Die Recherche der Autoren wurde von der Robert Bosch Stiftung im Rahmen des Förderprogramms "Journalisten vor Ort" gefördert.

Mehr zum Thema