Benachteiligte Stadtteile

Eine Quote gegen die Ghettobildung

08:27 Minuten
Das Foto zeigt einen Plattenbau in Potsdam.
Wohnen in Potsdam: Auch in der brandenburgischen Hauptstadt gibt es Wohnlagen, die von Wohlhabenden gemieden werden. © picture alliance / dpa / Soeren Stache
Reinhold Sackmann im Gespräch mit Dieter Kassel · 10.01.2020
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Arme und reiche Menschen wohnen in Deutschland inzwischen selten Tür an Tür. Es drohen echte Ghettos, in denen nur noch Empfänger staatlicher Hilfen leben. Der Soziologe Reinhold Sackmann hat eine Idee, wie man gegensteuern könnte.
"Die Konzentration von Armut hat zugenommen, weil wir sie behördlich produzieren": Das ist das ernüchternde Fazit des Soziologen Reinhold Sackmann, der sich unter anderem mit der Ghetto-Bildung in Städten beschäftigt. Arme Menschen würden gezwungen, in bestimmte Stadtteile zu ziehen, kritisiert er - wenn das Amt beispielsweise befindet, dass die derzeitige Miete zu hoch ist.
In manchen Stadtvierteln, berichtet Sackmann, seien inzwischen rund 70 Prozent der Kinder von staatlichen Hilfen wie Hartz IV abhängig. "Das sind extreme Werte - in der Wissenschaft geht man davon aus, dass Werte über 30 Prozent bereits negative Folgen haben für die Kinder."
Mit einer 50-Prozent-Quote von Empfängern, die Hilfen nach dem zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) erhalten, würde man wenigstens "in die Bekämpfung dieser negativen Folgen" einsteigen, sagt Sackmann, der Soziologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg lehrt. Wenn diese Quote erreicht ist, so seine Idee, sollen die Kommunen Hilfebedürftigen auch teurere Wohnungen in anderen Stadtteilen bezahlen.

Auch das derzeitige System produziert Kosten

Die Kosten würden natürlich steigen, aber nicht extrem, wie der Soziologe betont. Denn es gehe ja nicht darum, Wohnungen in Villenvierteln, sondern im Stadtteil nebenan zu finanzieren.
Auf der anderen Seite produziert das derzeitige System ebenfalls langfristig Kosten, die aber nicht mitgerechnet werden: Indem Kinder nun in einem Umfeld aufwüchsen, das problematisch ist. Wenn alle arm seien, "erzieht man sich natürlich auch wechselseitig und lernt relativ früh, dass sich Leistung nicht lohnt, dass bestimmte Verhaltensweisen normal sind, die wir sonst in der Gesellschaft nicht als normal ansehen", so Sackmann. Das präge die Lebenswege der Kinder langfristig.
Man müsse die extreme Armutskonzentration verhindern, fordert er - und verweist darauf, dass seine Quote auch gegen bestimmte Vermieter wirken würde, die sich inzwischen darauf spezialisiert hätten, schlechte Wohnungen zu vermieten. Denn die Miete kommt sicher, wenn sie vom Amt kommt. Solche Vermieter hätten es bereits geschafft, den Abriss von maroden Gebäuden zu verhindern, berichtet er.
Die andere Möglichkeit: Gebäude sanieren, neue Wohnungen bauen, "um ein anderes Publikum anzusprechen". Auf die Weise sei es auch schon gelungen, Stadtteile wieder aufzuwerten.
(ahe)
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