Belletristik

Studien über die Sinnsuche und Sehnsüchte

Blick über eine durch Dauerfrost (Permafrost) gezeichnete Landschaft auf der zur Russland gehörenden Bolschewik Insel, während im Vordergrund noch Packeis herrscht ist im Hintergrund die Landschaft schon aufgetaut und schlammig.
In ihrer Geschichte über ein Dorf im russischen Permafrost skizziert Ilma Rakusa einen hoffnungslosen Lebensort. © picture alliance / dpa / Foto: Hinrich Bäsemann
Von Stefan May · 23.04.2014
An 14 Orte und durch menschliche Seelen reist Ilma Rakusa im Roman, und trägt einiges an Träumen, Schicksalen und Verlusten zusammen. So auch eine heimatverbundene Geigenspielerin in Ungarn und hoffnungslose Russen im Dauerfrost.
Auf 14 Reisen geht die Autorin in ihrem Buch: Sieben Reisen durch Orte und sieben durch die menschliche Seele. Und so tragen die Titel der einen Hälfte ihrer Erzählungen Namen von Personen, die der anderen Hälfte Ortsnamen. Gemäß dem Bild von Arthur Schnitzler, wonach die Seele ein weites Land ist, sind es ausgedehnte, aber behutsame Ausflüge, die Rakusa macht: Zu und mit Menschen, deren mitunter rollendes "R" sie als Reisende ausmacht, als Menschen, die sich ein neues Daheim, eine neue Sprache aneigneten oder aneignen mussten.
Rakusa kennt diese Menschen von früher oder begegnet ihnen zufällig. So wie der jungen Geigenspielerin aus Ungarn, die eine enge Bindung zu ihrer Mutter und ihrem Dorf hat und dennoch der Musik und ihrer Violinenpartnerin wegen dieses verlässt, um sich in der Stadt im Musizieren zu vervollkommnen. Dennoch ist am Ende ihre ursprüngliche Bindung stärker.
Aufbegehren gegen die Umstände
Andere, wie Sam, sind unfreiwillig von daheim weggegangen. Warum, das lässt Rakusa im Dunkeln, wie so manches in ihren Erzählungen. Sie berichtet nur so viel wie nötig ist, um das Psychogramm der geschilderten Person zu skizzieren. Einige ziehen auf der Suche durch die Welt, nach dem Sinn, nach sich selbst, oder sind auf der Flucht – vor sich selbst. So wie Lou, die ein Leben lang nicht mit dem Ertrinkungstod ihrer kleinen Schwester zurechtkommt. Ilma Rakusa beschreibt die Menschen diskret, stellt sie nicht bloß, zeigt Verständnis für ihr mitunter revoltierendes Aufbegehren gegen die Umstände und sich, ist den Freunden stets beruhigende und ausgleichende Stimme, ist diejenige, die dem Leben das Positive abgewinnt.
Letztlich eint alle beschriebenen Personen etwas: Eine Einsamkeit im Herzen, ausgelöst durch verschiedene Faktoren: Verlust von Heimat oder Kindheit, unbefriedigte Sehnsüchte oder Verlust eines Menschen. So ist es etwa bei Josip, der unter dem Tod seiner Frau leidet. In dieser Geschichte spielt aber das Dorf in dem er lebt, die Hauptrolle: Ein kleiner Ort am Hang des slowenischen Karst. So wie den Menschen tritt Ilma Rakusa in ihren Ortsbeschreibungen der Landschaft gegenüber: Sanft und bildreich beschreibend. Man atmet den Thymianduft der Provence, die Föhren in Slowenien, folgt der Autorin versonnen in verborgene Ecken von Zürich.
Mischt kräftig deftige Farben
Dabei bedient sie sich einer knappen, aber poesievollen Sprache mit kurzen, assoziativen Sätzen. Nur in ihrer letzten Geschichte über ein Dorf im russischen Permafrost verlässt sie die über die Kapitel gebreitete Farbgebung. Nicht mit feinen Pinselstrichen skizziert sie da einen Lebensort, sondern mischt kräftig deftige Farben, zeigt deutlich die Hoffnungslosigkeit einer in Kälte und Alkohol versunkenen Mikro-Gesellschaft, deren widerwillige Ergebenheit in ihr Schicksal, was sogar ein eindrücklicheres Bild als die vorhergehenden Kapitel zu hinterlassen vermag.
"Leben, das wäre was", schreibt sie über die Sehnsüchte der Dorfbewohner im Schnee. Doch mit einem Ortswechsel, einem Wechsel der Verhältnisse, wäre es wohl nicht getan. Das beweisen die anderen Geschichten: Alle Protagonisten ist eigen, dass sie gern anders, vielleicht auch anderswo leben möchten und es doch nicht schaffen.
Ilma Rakusa: Einsamkeit mit rollendem "r"
Droschl, Graz/Östereich 2014
160 Seiten, 18,00 Euro
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