Belarus ein Jahr nach der Wahl

"Lukaschenko hält die Gesellschaft in Geiselhaft"

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Eine Demonstrantin protestiert gegen Alexander Lukaschenko und das Vorgehen der Regierung in Belarus gegen die Opposition.
Ein Jahr nach der gefälschten Präsidentenwahl in Belarus gab es vor allem im Ausland Proteste gegen das Regime, im Land lässt die Repression keine Demonstrationen mehr zu. © picture alliance / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt
Maryna Rakhlei im Gespräch mit Dieter Kassel  · 09.08.2021
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Mit Gewalt und Repression unterdrückt Machthaber Alexander Lukaschenko die Protestbewegung in Belarus. Trotzdem gebe es eine beeindruckende Solidarität im Land, sagt Maryna Rakhlei vom German Marshall Fund.
Ein Jahr nach der gefälschten Präsidentenwahl in Belarus hat Präsident Alexander Lukaschenko die über Monate andauernden landesweiten Proteste gewaltsam zum Verstummen gebracht. Rund 600 politische Gefangene sitzen im Gefängnis, Tausende Menschen flüchteten ins Exil.

Schon vor dem Urnengang sei im Sommer 2020 zu spüren gewesen, dass die Menschen nicht mehr hinnehmen wollten, dass es keine wirkliche Wahl gibt, sagt Maryna Rakhlei. Sie hat selbst vor elf Jahren ihre Heimat verlassen und arbeitet in Berlin als Belarus-Expertin für den German Marshall Fund.

Leben in Geiselhaft

Heute sei die Mehrheit der Gesellschaft in Geiselhaft des Machthabers Alexander Lukaschenko. Die Menschen wünschten sich Rechtsstaatlichkeit, freie Medien und Versammlungsfreiheit, aber das passiere nicht. "Es ändert sich auch nichts an der Art und Weise, wie die Belarusen protestieren, es bleibt nur friedlich und deswegen gewinnt man auch nicht."

Der Opposition in Belarus eine Stimme geben

Das deutsche PEN-Zentrum hat die Veröffentlichung eines Buchprojekts unterstützt, das Texte von Autorinnen und Autoren aus Belarus versammelt. Das Buch erscheint zweisprachig. Manche Verfasser wollten lieber anonym bleiben aus Angst vor weiteren Repressionen, sagt Ralf Nestmeyer, Vizepräsident des deutschen PEN-Zentrums. Die Angst sei sehr groß derzeit in Belarus.

Ein Demonstrant hält die belarussische Flagge vor der versammelten Polizei.
© picture alliance / Sergei Grits
Dass trotz der Repression immer noch Menschen wagen, vereinzelt zu protestieren, erklärt Rakhlei damit, dass die Leute die Lage satthätten und wirklich etwas verändern wollten. "Die Solidarität und Unterstützung in der Gesellschaft ist auch enorm", sagt sie. "Ich habe das Gefühl, dass die Belarusen im Lande, aber auch außerhalb Hände halten." Es gebe ein gemeinsames Ziel und es gehe darum, einander zu unterstützen, um dieses Ziel zu erreichen.
Trotz dieser Lage könne man in Belarus auch weiter ein normales Leben führen. "Wenn man keine Protestsymbole trägt und sich nicht an manchen Aktivitäten beteiligt, dann ist es schon relativ safe", so Rakhlei.

Bedrohung auch im Exil

Viele Menschen seien ins Exil getrieben worden, so Rakhlei. "Das ist eine Entscheidung, die jeder für sich trifft, ob man im Lande bleibt und da weitermacht oder dann von außerhalb." Das Lukaschenko-Regime verfolge auch das Ziel, dass sich Menschen auch im Exil nicht sicher fühlen könnten.
Das zeige der Tod des belarusischen Aktivisten Witali Schischow, aber auch die Entführung des Flugzeugs mit dem Blogger Roman Protasevich an Bord nach Minsk. "Das Regime ist noch da, Lukaschenko ist noch da und deswegen sehen sich sehr viele dazu verpflichtet, einfach weiter zu machen."
Es sei schwer zu sagen, wie es Belarus mit dem Lukaschenko-Regime weitergehe, sagt Rakhlei. "Das kann heute zu Ende gehen oder vielleicht in drei, vier oder fünf Jahren."
Mit den Protesten hätte so etwas wie ein "Erwachen der Nation" stattgefunden, sagt Rakhlei. Die Menschen in Belarus hätten das eigene Schicksal selbst in die Hand genommen. "Das kann Belarus jetzt keiner mehr wegnehmen."

Bei den Protesten in Belarus hat sich der "Freie Chor von Minsk" gebildet: Ein Zusammenschluss von Musikerinnen und Musikern, die mittlerweile aus dem Land fliehen mussten, aber aus dem Exil weiter gegen Lukaschenko demonstrieren. Wir haben mit ihnen gesprochen. [AUDIO]

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