Belangloses Sandkorn Mensch

17.02.2012
In "Land der roten Steine" erforscht Walter Kappacher Satz für Satz die zerklüfteten Felsen der Wüste Uthas. Dorthin hat es den österreichischen Helden seines neuen Romans verschlagen: einen Arzt im Ruhestand auf der Suche nach dem Sinn des Lebens.
Seit Langem wünscht Wessely sich, in den amerikanischen Canyonlands Nationalpark zu reisen. Einmal ist der pensionierte Arzt aus Bad Gastein dort schon gewesen. Und er wusste gleich, er muss einmal wiederkommen, um hier nicht nur schauen, sondern sein zu können.

Wessely ist allein. Sehr allein. Und bald schon alt. Das Leben wird kürzer. Kann er für sich noch einmal ein neues Leben (er)finden, um darin glücklich zu werden? Könnte nicht diese Reise ihm den Weg weisen? Ihn von Unruhe und Fragen erlösen?

"Vita nuova". "De vita beata". "La vita breve" - heißen die Kapitelüberschriften des neuen Romans von Walter Kappacher. Vom neuen, vom glückseligen, vom kurzen Leben. Seneca hat fraglos Pate gestanden.

Und so schickt Kappacher den sehnsüchtigen Wessely nach Utah, ins Land der roten Steine. Und hat einen atemberaubend schönen Hoffnungsort gefunden. Einen Ort, an dem Wessely hoffen konnte, einmal nur zu sein. Tafelberge und bizarre Felsen, Weite und Einsamkeit, grandiose Blicke, mächtige Steinskulpturen wie von Menschenhand geformt, knorpelige, Wacholderbüsche, glühende Hitze, Stille, Schluchten, –und immer wieder die rote Farbe der Steine, die in der Sonne zu glühen beginnt.

Hier lässt Kappacher seinen Wessely über 70 Seiten lang schauen, sehen, staunen - als wolle er ihn vor dem Blick in den Abgrund der Sinnlosigkeit des Lebens bewahren. Es ist eine Erfahrung der Leere zwischen Bezauberung und Schaudern. Einmal ist sein schon älterer und gesundheitlich angeschlagener Fahrer allein aufgebrochen zu einer Wanderung. Und wenn er nicht zurückkommt?

Wie aufregend auf einmal eine Krähe sein kann, die von einem Baum zum anderen fliegt. Ein krächzendes Lebewesen.

Es sind erregend träge Stunden und Tage, in denen wir mit Wessely immer wieder in Trance geraten angesichts der überwältigenden - vermutlich zwei- bis dreihundert Millionen Jahre alten - steinernen Monumente. Wie klein der Mensch doch ist in diesem Panorama. Und wie fast lächerlich kurz die Menschheitsgeschichte.

Wieder einmal erweist sich Kappacher als ein Meister des ereignislosen Erzählens. Der Satz für Satz, Sediment für Sediment schroffe Felsen und zerklüftete Täler erforscht. In neugieriger Ruhe Worte sucht und findet.

Und fast ist man enttäuscht, wenn er den Kosmos seiner radikalen Konzentration verlässt und auch schreibt über indianische Weisheiten oder Umweltzerstörung.

Die Rückkehr Wesselys nach Bad Gastein ist ernüchternd. Seine Canyon Glücksgefühle verschwinden im Alltag. Und er muss einsehen, dass er sich weder entkommen ist noch sich gefunden hat auf der Reise. Sein Ich hat ihn getreulich begleitet. Nervös und fast ein wenig betulich dümpelt er durch sein Leben, und sein Autor dümpelt mit ihm. Als wisse auch er nicht genau, ob es weise Bescheidung oder müde Resignation ist, wenn der erträumte Aufbruch in sanft lähmende Melancholie umschlägt. So verliert auch die Lektüre an Intensität. Und man fragt sich, hat Kappacher hier versagt oder altersklug lächelnd erkannt, welch belangloses Sandkorn der Mensch doch ist angesichts der berauschenden Größe der Natur im Land der roten Steine.

Besprochen von Gabriele von Arnim

Walter Kappacher: Land der roten Steine
Roman
Hanser Verlag, München 2012
159 Seiten, 17,90 Euro
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