Bejubelt und weggejagt

Von Claus Menzel · 27.01.2009
Schwadroneur und Schwärmer, Kriegsherr und launischer Tunichtgut - Kaiser Wilhelm II. gehört zu den am meisten umstrittenen Figuren der deutschen Geschichte. Über seine Verantwortung für die Beteiligung Deutschlands am Ersten Weltkrieg wird bis heute gestritten. Als er 1918 ins Exil ging, endete die deutsche Monarchie. Vor 150 Jahren wurde Wilhelm II. geboren.
Er schwärmte und schwadronierte wie kaum ein deutscher Herrscher zuvor. Drei Jahrzehnte lang hat Kaiser Wilhelm II., also Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen, geboren am 27. Januar 1859, die Deutschen regiert, und schon deswegen auch bezaubert, weil er so auftrat, wie sie ihn sehen wollten. Was Wunder folglich, dass viele seiner Untertanen, als er nach der deutschen Niederlage 1918 abdankte, die Welt nicht mehr verstanden.

Tatsächlich verloren sie mit der Herrschaft dieses Kaisers nicht allein die Monarchie. Beendet war auch eine Zeit, in der sich Deutschlands Bürgertum noch darauf verlassen konnte, dass oben eben oben und unten eben unten war. Nicht einen Tag lang, notierte jedenfalls der Industrielle und spätere Außenminister Walter Rathenau…

"…nicht einen Tag lang hätte in Deutschland regiert werden können wie regiert worden ist ohne Zustimmung des Volkes."

Wohl wahr. Dabei hatte, als dieser gerade mal 29 Jahre alte Spross des Hauses Hohenzollern 1888 Kaiser geworden war, selbst ein Skeptiker wie der Schriftsteller Theodor Fontane gehofft, der junge Monarch werde das Abgelebte, Abgetane im deutschen Reich endlich aufgeben. Und wirklich hat Wilhelm II. seine Untertanen mit Sozialreformen überrascht, die, wie die Aussicht, mit 65 Jahren eine Rente zu erhalten, Arbeitern und Angestellten die Angst vor Alter und Armut nahmen. Er sah sich nun einmal als gütiger Patriarch, der sich durchaus um das Wohl seiner Landeskinder kümmerte - solange dies Wohl als Gnade gewährt und nicht als Recht gefordert werden kann. Konflikte gab es nicht - nur das satte Behagen an dem, was ist.

"Hart sein im Schmerz, nicht wünschen, was unerreichbar oder wertlos, zufrieden mit dem Tag wie er kommt, in allem das Gute suchen und Freude an der Natur und an den Menschen haben, wie sie nun einmal sind. Für tausend bittere Stunden sich mit einer einzigen trösten, welche schön ist und an Herz und Können immer sein Bestes geben, wenn es auch keinen Dank erfährt. Wer das lernt und kann, der ist ein Glücklicher, Freier und Stolzer, immer schön wird sein Leben sein."

Wo manche in ihm die Verkörperung des deutschen Imperialismus, Machtstrebens und Größenwahns sahen, halten ihn andere eher für einen unglücklichen und unfähigen, aber keineswegs besonders aggressiven Herrscher.

Kaum etwas spricht denn auch dafür, dass er den Ersten Weltkrieg gewollt hat - alles aber deutet darauf hin, dass er ihn mehr oder weniger billigend in Kauf nahm.

Wilhelm II. litt seit seiner Geburt unter einer Missbildung des linken Armes und mimte nun einmal gern den Draufgänger, den Haudegen, den Schlagetot. Auch als er am 6. August 1914 zu seinen jubelnden Untertanen sprach.

"Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf zu den Waffen. Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterlande. Um Sein und Nichtsein unseres Reiches handelt es sich, das unsere Väter sich neu gründeten. Noch nie war Deutschland überwunden, wenn es einig war. Vorwärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er es mit den Vätern war."

Nachdem das Reich sich dann beim Griff nach der Weltmacht gehörig die Finger verbrannt hatte, geruhten Seine Majestät in Holland um Asyl zu bitten, bekam es auch, verbrachte fortan viel Zeit mit spektakulärem Holzhacken und setzte noch ein paar Sprüche in die Welt - über die moderne Kunst, die Sozialisten, die Juden, die Demokratie. Das war es dann. Ernst nahm ihn bald niemand mehr. Am 4. Juni 1941 ist er gestorben.