Comicbibliothek "Renate" vor dem Aus

In Frankreich bekäme sie einen Riesenscheck

05:24 Minuten
Der Künstler Jim Avignon steht vor seinem Werk an der East Side Gallery. Im Hintergrund sein Kunstwerk auf dem längsten noch erhaltenen Teilstück der Berliner Mauer.
East Side Gallery in Berlin: Nach dem Mauerfall bemalte Jim Avignon die Mauer, in den frühen 90er-Jahren traf er auf die Comicszene um die "Renate“. © picture alliance / dpa / Arne Immanuel Bänsch
Jim Avignon im Gespräch mit Massimo Maio · 15.04.2021
Audio herunterladen
Die Berliner Comicbibliothek "Renate" ist ein wichtiger Ort für die deutsche Szene. Zu ihren Fans zählt der Künstler Jim Avignon. Er sagt, die Stadt müsse das Überleben der bedrohten Comicinstitution sichern.
In der Tucholskystraße in Berlin-Mitte steht die einzige öffentliche, deutsche Comicbibliothek. Die "Renate", benannt nach einem Comic-Fanzine, das Frauenmagazine wie "Brigitte" oder "Marie Claire" veralbern sollte, wurde im Lauf von gut 30 Jahren zum Treff- und Anlaufpunkt der Comicszene.
Jetzt bangt sie um ihre Zukunft, weil der Laden, mit dem sie Geld für den Unterhalt der Bibliothek erwirtschaftet, in der Coronapandemie weniger Umsatz macht.

Nukleus der Berliner Comicszene

Der Maler und Musiker Jim Avignon sagt, als er die "Renate" Anfang der 90er-Jahre kennengelernt habe, sei er überrascht gewesen, dass es so etwas wie eine Comicbibliothek überhaupt gebe.
Zudem sei es ein wichtiger Ort fürs Kennenlernen gewesen: "Es war für mich als Wessi eine der ersten Möglichkeiten, irgendwie mit seelenverwandten Ossis in Kontakt zu kommen. Die Leute, die die Renate gemacht haben – CX Huth, Atak, Nettmann, Auge – da hatte man das Gefühl, man tickt irgendwie ähnlich. Sie sind von anderen Seite, aber man kann sich über das Medium Comic einfach problemlos verständigen und näherkommen."
Damals sei die Renate einer der vielen 90er-Jahre Hang-Out-Läden gewesen. "Ich habe dort immer wieder auch mal bei Aktionen mitgemacht, war bei Heften dabei, habe im Laden selber auch Aktionen gemacht – und die Renate ist mir aus dieser Zeit einfach als ursympathischer und auch wichtiger Ort für die Berliner Subkultur in Erinnerung geblieben."

Riesiges Comicarchiv in der Renate

Der Laden habe die Comicszene geprägt und sei auch heute noch wichtig, macht Pop-Art-Künstler Avignon klar: einerseits für die Comic-Fans, andererseits auch für die Schöpfer von Comics und Graphic Novels.
Bei den Fans hätten nicht alle das Geld, sich die ganzen Hefte zu kaufen: Mit der Bibliothek gebe es ein riesengroßes Archiv, "wo man einfach auch mal gucken kann, was der oder die Künstlerin vor 15 Jahren gemacht hat." Oft seien die Publikationen ja nach einem Jahr ausverkauft und vergriffen.
"Für diese ganze Szene von Comic-Fans ist diese Bibliothek wirklich wahnsinnig wichtig und unbedingt erhaltenswert", sagt der 54-jährige Avignon.
Sympathischer Zug der Renate übrigens: "Bis zum 1.5.2021 gewähren wir wegen der unregelmäßigen Regelungen und Öffnungszeiten ein Verspätungsmoratium für alle verspäteten Rückgaben mit Generalamnestie", heißt es auf der Website.

Ort des Austauschs der Comiczeichner

Für ihn und seine Künstlerkollegen wiederum sei die Renate ein Ort des Austauschs: So eine Art Stammtisch, wo man sich einfach mit anderen Zeichnern trifft, sei auch wichtig, um "über die, sagen wir mal typischen, Zeichnerprobleme zu quatschen und sich auszutauschen".
Er hebt hervor, dass dies von selbst entstanden sei, nicht von oben gesteuert. "Ein paar Leute, die selber Zeichner sind, haben sich einfach gesagt, wir machen jetzt mal so einen Ort als Service an die Gemeinschaft."
Avignon fände es gut, wenn jetzt auch öffentliche Gelder flössen: "Ich würde mal sagen, per se sind Comiczeichner nicht die Art von Leuten, die sofort Bescheid wissen, wo sie sich Unterstützungskohle herholen", sagt er.
"Wenn die Renate in Frankreich wäre, wäre es überhaupt keine Frage: Dann würden die sofort einen Riesenscheck bekommen, damit sie weitermachen können."
Er sei sich sicher, dass der Moment komme, an dem sich die Renate wieder alleine helfen könne. "Aber wenn da jetzt irgendwie ein paar Monate überbrückt werden müssen, mit Miete oder was weiß ich: Dann sollte das wirklich selbstverständlich sein, dass die Stadt einspringt", fordert der Künstler.
(mfu)
Mehr zum Thema