Bebel Gilberto: "Agora"

Flirrende Sounds - geprägt von Traurigkeit

06:13 Minuten
Bebel Gilberto singt im The Plaza Hotel am 16. Oktober 2018 in New York City.
Bebel Gilberto überzeugt auf „Agora“: Ein subtiles, raffiniertes Album, auf dem sich persönliche Erfahrungen in poetische Bilder und flirrende Sounds verwandelt haben. © Getty Images / Gonzalo Marroquin / Patrick McMullan
Von Olga Hochweis · 20.08.2020
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Mit elektronischer Bossa-Clubmusik war Bebel Gilberto zu Beginn der Nullerjahre in Brasilien eine der erfolgreichsten Musikerinnen. Ihr neues Album „Agora“ ist eher schwermütig als leichtfüßig, voller bizarrer Ideen, wie aus einer anderen Welt.
Melancholisch und verspielt: So sieht sich Bebel Gilberto, als Mensch wie auch als Künstlerin. Ihr neues Album hat sie "Agora" genannt. Es ist das portugiesische Wort für "Jetzt". "Agora" sei eines der meistbenutzten Worte ihres Albums sei, sagt Bebel Giberto.
Ein anderes Wort, "Amar" für die Liebe, taucht nicht ganz so oft auf. Inhaltlich aber kreist darum fast alles auf "Agora". Da ist der Blitzschlag erster Verliebtheit, die Kraft der Verführung, der bittere Trennungsschmerz.
"Ich habe gelebt, bin Single gewesen, erwachsen geworden", erzählt sie. "Jetzt bin ich 54, kein Kind mehr – überhaupt ist das ja sehr lang her mit dem Kindsein. Ich sehe Dinge heute anders als früher. Und diese Erfahrung wollte ich teilen."

Inspirierend und wunderschön

Erste Songs schrieb Bebel Gilberto in selbstgewählter Isolation in Italien. So richtig in Fahrt aber kam das Album in New York, dank der Zusammenarbeit mit Thomas Bartlett.
Auf den jüngsten Alben von David Byrne oder The National hat sich der Enddreißiger als Mann an den Tasten ebenso einen Namen gemacht wie als Produzent für Yoko Ono oder St.Vincent. Eher zufällig ergab sich die Zusammenarbeit mit Bebel Gilberto.
"Es war nicht so, dass ich ihn gewählt hätte", sagt sie. "Wir haben einander gewählt. Ich habe einfach ein paar Aufnahmen mit ihm gemacht, und Songs mit ihm geschrieben – und die waren so wunderschön, so inspirierend. Da haben wir uns einfach entschieden, ein ganzes Album gemeinsam zu machen. Das war ein völlig normaler Prozess, so smooth, so cool."

Perfektion des Gefühls

Die "Vibes" zwischen Bebel Gilberto und Thomas Bartlett waren wohl auch so etwas wie Liebe. "Tao Bom" - "So gut" heißt der programmatische Eröffnungstitel.
"Tao Bom war das erste Lied, das ich geschrieben hatte. Es ist ein Liebeslied für Thomas. Darin sage ich ihm, wie gut es ist, bei ihm zu sein, sich mit ihm treffen zu können, so viel Zeit mit ihm verbringen zu können – ganz ungeplant."
Um Perfektion sei es bei diesem Album nicht gegangen. Wohl aber um die Perfektion des Gefühls. Mit Bartlett an den elektronischen Reglern und an fast allen Instrumenten, vom Piano bis zum Mellotron.
Bebel Gilberto setzte eigenwillige Ideen durch: eine Kirmes-Atmo aus dem Off. Dann wieder den imitierten Klang einer Posaune, den sie mit den Lippen durch einen Pulloverärmel hindurch pustete. Bizarre Klänge wie aus einer anderen Welt.

Eigener "Bebel-Sound"

Rhythmisch tänzerisch, dann wieder sphärisch-dunkel und voller Abgründe klingt das Album "Agora". Sehr viel schwerblütiger als die leichtfüßigen Bossa-und Samba-Rhythmen vorangegangener Bebel-Gilberto-Alben. Definitiv kein Cocktail-Begleitsound für heiße Sommerabende.
"Ich mag dieses Label Bossa Nova Elektronik nicht", sagt sie. "Genauso wie ich es falsch finde, meinen Vater nur den Schöpfer des Bossa Nova zu nennen. Denn er war so viel mehr! Ich versuche, dieses Label zu vermeiden, denn ich habe einen eigenen Bebel-Sound geschaffen – und der ist so viel größer und stärker. Hoffentlich klingt das nicht zu protzig."

Persönliche Erfahrungen, poetische Bilder

Bebel Gilberto überzeugt auf "Agora": Ein subtiles, raffiniertes Album, auf dem sich persönliche Erfahrungen in poetische Bilder und flirrende Sounds verwandelt haben.
Getränkt von Erfahrungen von Verlust und Trauer, konkret vom Tod der berühmten Eltern, der Mutter Miucha, Sängerin und Komponistin und des Vaters Joao Gilberto, der Ikone der brasilianischen Musik.
"Ich wusste, meine Eltern würden bald sterben, vor allem meine Mutter, die schwer an Krebs litt", erzählt Bebel Gilberto. "Da war also viel Traurigkeit, die das Album prägte. Ich schrieb dieses eine Lied für meinen Vater, 'Was noch nicht gesagt wurde'. Darin versuche ich, ihm zu erklären, warum es notwendig war, eine Vollmacht über ihn zu bekommen - um mich auf diese Weise um ihn kümmern zu können. Es ist mir gelungen, diese Last von meinem Herzen zu schaffen. Denn man leidet natürlich, wenn man solche Dinge tut."
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