"Beach House" mit "Depression Cherry"

Kultivierte Traurigkeit in Perfektion

Die Musiker Victoria Legrand und Alex Scally von "Beach House" bei einem Konzert am 15.3.2013 in Madrid -
Die Musiker Victoria Legrand und Alex Scally von "Beach House" bei einem Konzert in Madrid © picture alliance / dpa / Kiko Huesa
Von Christoph Reimann · 02.09.2015
Die Musik von "Beach House" steht für einen bestimmten melancholischen, süßlichen Sound: Weltschmerz, verpackt in Dream-Pop. Auf ihrem fünften Album "Depression Cherry" zeigen sie sich in Höchstform, meint unser Kritiker.
Man nehme einen flächigen Synthesizer, ein gesampletes Schlagzeug, gerne auch gemischt mit einem echten. Dazu noch eine verhallte Gitarre und schließlich: die sonore Stimme von Victoria Legrand.
Seit rund zehn Jahren machen "Beach House" aus diesen Zutaten feinsten Dreampop. Auch auf dem neuen Album "Depression Cherry" ist das so. Wo andere Bands versuchen, ihren Sound zu erweitern, arbeiten "Beach House" an der Perfektionierung ihrer eigenen Formel. Von Stillstand wollen die beiden Musiker aus Baltimore aber nichts wissen. Die Sängerin und Keyboarderin Legrand:
"Ich denke nicht, dass uns unser Sound einschränkt. Im Gegenteil: Er macht uns kreativer. Und wenn wir etwas Neues ausprobieren wollen, dann machen wir das, zum Beispiel indem wir mit anderen Musikern zusammenarbeiten. Wir zeigen sehr viel Eigeninitiative. Da treten wir wirklich nicht auf der Stelle."
Fakt ist: Bei den Veränderungen auf der neuen Platte handelt es sich um Nuancen, erkennbar vor allem für den Fan. Hier ein anderer Orgelsound, dort etwas mehr Volumen im Gesang, dazu, wie immer, eingängige Melodien. Legrand über diese Musik:
"Wir haben unsere alten Instrumente und auch ein paar neue Keyboards verwendet. Viel mehr ist aber auch gar nicht nötig – weil man sich selbst verändert und die neuen Ideen bereits in sich trägt. Da muss man gar nicht so hart arbeiten, man muss nur zuhören können."
Verträumte Songs, offene Texte
Keine großen Innovationen also auf dem fünften Album von "Beach House". Warum nur funktioniert die Platte trotzdem so gut? Das liegt daran, weil die Songs so verträumt und die Texte so offen sind, dass wir unsere Erinnerungen und Assoziationen in sie hineinlegen können. Wo waren wir, als wir den Song zum ersten Mal gehört haben – und mit wem?
"Beach House" sind bei weitem nicht die einzigen Musiker, die in ihren Songs vage bleiben, aber sie haben dieses Prinzip auf dieser Platte perfektioniert. Da ist es dann sogar von Vorteil, dass sich die beiden Musiker selbst offenbar gar nicht so viele Gedanken gemacht haben. Zum Beispiel bei dem Song mit dem Titel "PPP", den Legrand so erklärt:
"Das ist ein Arbeitstitel, der einfach geblieben ist. PPP bedeutet einfach nur PPP. Man kann im Leben nicht alles erklären. Und eine Überschrift muss nicht immer besonders poetisch sein."
Melancholie aus Ausdruck einer diffusen Sehnsucht
Recht hat Victoria Legrand, die übrigens genauso wie ihr Bandkollege Alex Scally im Gespräch nicht halb so melancholisch ist, wie es die Musik der beiden vermuten lässt. Ob sie sich erklären können, woher diese süßliche Schwermut rührt, die sich durch alle ihre Songs zieht? Victoria Legrand meint:
"Nein, kann ich nicht."
Die Melancholie in den Songs von "Beach House" ist nicht unbedingt einer konkreten Verstimmung geschuldet. Sie ist Ausdruck einer diffusen Sehnsucht, die vor 100 Jahren noch einer bürgerlichen Oberschicht vorbehalten war. In den westlichen Industrieländern zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist sie aber fast schon zum allgemeinen Lebensgefühl einer weit ins Erwachsenenalter verlängerten Jugend geworden.
"Beach House" übertragen diesen Weltschmerz im Kleinen in das bestimmende musikalische Format ihrer Zeit: in Popsongs. Und das machen sie so geschickt wie kaum eine zweite Band ihres Genres. Anlass zur kultivierten Traurigkeit wird es für sie weiterhin geben. Insofern haben "Beach House" wohl auch keinen Grund, mal etwas wirklich Neues auszuprobieren.

Beach House: Depression Cherry
Label: Sub Pop, Bella Union
14,99 Euro

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