Aus den Feuilletons

Mit Shakespeare in der Gegenwart ankommen

Der Schweizer Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Adolf Muschg am 10.05.2015 in Lübeck (Schleswig-Holstein) bei einem Empfang vor der Gedenkfeier für Günter Grass im Günter Grass-Haus. Foto: Christian Charisius/dpa
Der Schweizer Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Adolf Muschg hielt die Eröffnungsrede der Zürcher Festspiele. © picture-alliance / dpa / Christian Charisius
Von Adelheid Wedel · 14.06.2015
Theaterstücke, lebendig wie am ersten Tag: Mit einer Lobrede auf Shakespeare hat der Schweizer Dichter Adolf Muschg die Zürcher Festspiele eröffnet, schreibt die "NZZ". Der englische Dramatiker setze bis heute mit seiner Kunst ungeheuere Energie frei.
"Shakespeare hat in und mit seinen Dichtungen eine Freiheit geschaffen, für die seinerzeit die Vorstellung noch fehlte."
Der Schriftsteller Adolf Muschg eröffnete mit diesem Gedanken am Sonnabend die Zürcher Festspiele. Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG druckt Auszüge aus der Rede, die sich nicht 400 Jahre zurück wendet, sondern mit Shakespeare gemeinsam in der Gegenwart ankommt. Muschg sagt:
"Wir reden vom Bruch und Aufbruch der Moderne: dass der Mensch endlich ist."
Und: "Die gemessene Zeit zugleich zum Maß aller Dinge wird. Die große Spielverderberin, die Zeit, ist es nun, die das Spiel bestimmt, und sie wird die nächsten Jahrhunderte nicht ruhen, bis sie die Einheit der Welt – Stichwort: Globalisierung – jedenfalls monetär wieder hergestellt hat."
Shakespeares Zwischenstellung hat nichts von einem Kompromiss
Muschg ordnet Shakespeare "dazwischen" ein und meint:
"Ganz in dieser Welt, die eine des Rechnens ist, lebt Shakespeare noch nicht; ganz in jener Welt, die eine des Glaubens war, nicht mehr. Aber seine Zwischenstellung hat nichts von einem Kompromiss, im Gegenteil. Sie verstärkt den Widerspruch zum Zusammenstoß. Sie lebt von der ungeheuren Energie, die er freisetzt, sodass wir glauben, die Sprache des Menschen noch nie in solcher Freiheit gehört zu haben."
Und so kommt es, dass Muschg behaupten kann:
"Shakespeares Stücke leben wie am ersten Tag, das heißt: Sie stellen unter allen Umständen das Wunder ihrer Gegenwart wieder her."
Das geschieht nach Meinung des Schriftstellers vor allem deswegen:
"Die Kunst muss frei sein, um nicht nur jeden Zweck zu erfüllen, sondern keinen; alles andere ist keine Kunst."
Glanz und Elend des Theaters
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG äußert sich die Bühnenvereinschefin Barbara Kisseler "über Glanz und Elend des deutschen Theaters" und klagt über "schrumpfende Ensembles und verarmte Künstler".Mancherorts muss die Daseinsberechtigung des Stadttheaters immer neu erkämpft werden. Als unrühmliches Beispiel wird eine Aktion in Bonn erwähnt:
"Dort haben Eltern ihre Kinder in T-Shirts mit dem Slogan 'Ich will ins Schwimmbad, nicht in die Oper' gegen die Hochkultur auf die Straße geschickt."
Kisseler, seit 2011 auch Hamburgs Kultursenatorin, nennt "diese Instrumentalisierung von Kindern verantwortungslos, die ganze Polemik maßlos". Sie sagt, "ich könnte auf vieles verzichten, auf Theater will ich nicht verzichten, ich brauche es".Und kritisch gibt sie zu bedenken:
"Wir haben uns alle ein bisschen zu sehr daran gewöhnt, dass das kreative Freiberuflertum einhergeht mit sozial unverantwortbaren Lebensverhältnissen. Das kann auf keinen Fall so bleiben."
Hochkultur für Niedriglohn darf keine Option sein.
Merkwürdige Big-Data-Rede der Kanzlerin
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG beschäftigt sich Constanze Kurz Rede, die Angela Merkel bei dem der CDU nahestehenden Unternehmerverband mit dem Namen Wirtschaftsrat hielt. Darin ließ die Bundeskanzlerin, wie die Autorin betont,
"in einer für ihre Gewohnheiten emotionsgeladenen Wutrede Dampf ab über diejenigen, die als Big-Data-Skeptiker und Innovationsverhinderer nerven. Sie wünscht sich der Wirtschaft zuliebe, den schwunghaften Datenhandel noch zu befördern. Im Big-Data-Stil sollen die überall auflaufenden Informationen und Datenhäppchen weiterhin abgeschöpft, verglichen, gefiltert, kombiniert werden, bis die datengebende Person in jeder Hinsicht kategorisiert, ihr Lebensstil erfasst ist und dann das Profil zu 25 Cent je Mensch verschachert werden kann."
Mehrfach betonte die Kanzlerinin dieser nachMeinung der Autorin in der FAZ
"äußerst seltsamen Rede die Wertschöpfung, die sich gerade aus individuell erforschten Kundendaten ziehen lässt. Merkel stellt das als alternativlos dar und gibt uns mit auf den digitalen Weg, endlich 'ein positives Verhältnis zum Phänomen von Daten' zu entwickeln."
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