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Theatertreffen in Berlin
Enttäuschender Stückemarkt

Im diesjährigen Stückemarkt sollten nicht mehr nur neue Texte von Dramatikern vorstellt werden, sondern internationale Nachwuchskünstler, die neue Formen theatraler Sprache und performative Erzählweisen entwickeln. Doch die erste Ausgaben des neuen Stückemarktes war eine große Enttäuschung.

Von Hartmut Krug | 14.05.2014
    Ein roter Theatervorhang
    Das Theatertreffen in Berlin findet bis zum 18. Mai 2014 statt. (picture alliance / dpa - Marcus Brandt)
    Es ist ein bunter, wilder und sinnfreier Comic, den die belgische bildende Künstlerin Miet Warlop mit "Mystery Magnet" auf die Bühne bringt. Inhaltlich entzieht er sich jeder genaueren Beschreibung. Weil es keine klare Geschichte gibt, sondern nur eine Folge surreal komischer Bilder. Vor einer weißen Wand pustet ein dick ausgestopfter Mann Luftballons auf. Dann stöckelt eine Figur herein, deren Kopf völlig unter einer rosa Zottelmähne verborgen ist.
    Immer mehr Figuren, die mit ihren farbigen Mähnen wie Wischmops auf Beinen ausschauen, toben sich auf der Bühne aus. Sie schlagen mit den Köpfen durch die Wand und schütten dabei wahre Farbströme aus. Oder sie lassen aus Reagenzgläsern Farbfontänen sprudeln. Es ist ein sehr gekonntes und komisches Spektakel, das zu tieferen Analysen keinen Anlass bietet, aber eine von Farben überschwemmte Bühne zurück lässt. Das Ganze: eine zwei Jahre alte, oft gespielte Art moderner Varieté-Show. Vorgeschlagen von der Dramatikerin Katie Mitchell für den Stückemarkt, der im 36. Jahr seines Bestehens nicht mehr neue Texte von Dramatikern vorstellt, sondern, so die Ankündigung, "drei internationale Theater-Nachwuchskünstler und -Gruppen, die neue Formen von theatraler Sprache und außergewöhnliche performative Erzählweisen entwickeln."
    Hinter dieser Absicht steckt die Überzeugung von Thomas Oberender, dem Leiter der Berliner Festspiele, dass sich der Autorenbegriff durch neue performative Erzählweisen verändert habe. Was stimmt. Doch Performances sind durchgesetzt in einer Theaterlandschaft, die sich noch immer durch eine Vielfalt von unterschiedlichen Formen auszeichnet. Ja, eine Konzentration auf Performances als wichtigste Theaterform kommt nicht nur einige Jahre zu spät, sondern kollidiert auch mit einer Entwicklung, die manch junge Theatermacher wieder auf das sogenannte psychologische Schauspieler- und Literaturtheater setzen lassen.
    Leider erwies sich der einstige Stückemarkt in diesem Jahr auch nicht als Experimentierfeld, sondern als ein von drei Mentoren oder Juroren kuratierte Schau- und Showwiese. Als Sidekick des Theatertreffens, ganz ohne Ausschreibung und Bewerbungsmöglichkeiten. Und ganz ohne neue Formen.
    Neuer Performance-Markt setzt auf Promi-Faktor
    Während seit 2011 in Berlin in der freien, internationalen Berliner Szene zeitgleich zum Theatertreffen in einem "Month of Performance" Entdeckungen zu machen wären, setzt der neue Performance-Markt des Theatertreffens auf den Promi-Faktor: mit Juroren, die allesamt als Regisseure bereits zum Theatertreffen eingeladen waren.
    Simon Stephens nominierte mit Chris Thorpe einen englischen Künstler, bei dessen wie eine szenische Lesung präsentiertem Theaterstück "There has possibly been an incident" drei Personen mit Manuskripten an ihren Mikrofonen sitzen. Eine Frau reflektiert über ihre Gefühle, als sie auf dem Balkon vor dem gestürzten Diktatorenpaar stand und das revolutionäre Volk "Tötet sie schrie, eine andere erzählt von einem Flugzeugabsturz . Und der vom Autor selbst gesprochene Mann polemisiert gegen die EU-Politik der angeblichen Freizügigkeit. Er hat bei einem Attentat auf das EU-Jugendparlament aus Protest viele Jugendliche erschossen.
    Die dritte Jurorin Signa Köstler hat mit Mona el Gammal eine Künstlerin eingeladen, mit der sie selbst schon zusammen gearbeitet hat. Deren sogenannte Zeit- und Rauminstallation "Haus//Nummer/Null" ähnelt den inszenierten Räumen, mit denen Signa Köstler berühmt geworden ist. Allerdings bewegt sich bei Mona el Gammal jeweils ein Zuschauer allein durch die menschenleeren Räume eines Instituts: "Hier spricht das Institut für Methode Glück zur Gänze. Stellen sie sich zur Identifikation in den Scanner."
    In klinisch sterilen Untersuchungsräumen erfährt man aus dem Lautsprecher, dem Radio, einem Anrufbeantworter oder einem Überwachungsvideo, dass man in einer glücksverheißenden Zukunftsgesellschaft lebe. Aber natürlich gibt es Terroristen und Menschen, die leiden. Zu Ihnen gehörte auch der Berichterstatter. Denn das Sujet war allzu bekannt, und die Durchführung harmlos und konventionell.
    Die erste Ausgabe des neuen Stückemarktes war insgesamt eine große Enttäuschung. Wirklich neue, anregende Formen wurden nicht präsentiert. Was blieb, war ein neues, kleines Unterfestival. Aber das gibt es bei den Berliner Festspielen ja schon mit den im Juni folgenden "Foreign Affairs".