Baumwolle

Brutales Geschäft mit billigem Stoff

Eine Frau erntet Baumwolle auf einem Feld in China.
Baumwollernte in China © picture alliance / dpa / epa Michael Reynolds
Gespräch mit Wolfgang Schneider · 25.09.2014
Die Globalisierung ist kein neues Phänomen. Sven Beckert zeigt in seinem Sachbuch "King Cotton", wie die Baumwollindustrie bereits im 18. Jahrhundert Produktionsweisen entwickelte, die auf Ausbeutung, Gewalt und staatlicher Regulierung beruhten.
Jahrhunderte lang war die Baumwollindustrie die wichtigste verarbeitende Industrie der Welt. In ihr entwickelten sich früh transkontinentale Produktionsweisen. Und noch heute ist sie ein markantes Beispiel für die Tücken der Globalisierung. Etwa so: Von Kindern in Usbekistan (ein Hauptproduzent von Roh-Baumwolle) geerntet, wird die Faser in China oder Ägypten gesponnen und dann in Bangladesch für Niedrigstlöhne zu Kleidung verarbeitet, die man hierzulande schließlich zu oft lächerlichen Preisen kaufen kann.
Aus den europäischen Städten allerdings sind die großen Baumwollfabriken längst verschwunden. Liverpool gehörte zu den reichsten Städten der Welt. Der englische Erfolg ruhte auf zwei Säulen: Technische Innovationen (die moderne Fabrik ist eine Erfindung der Baumwollindustrie) war das eine; wichtiger aber noch die ökonomischen und politischen Institutionen eines starken Staates, der in der Lage war, globale Märkte zu formen und Eigentumsrechte für Grund und Boden durchzusetzen.
Zentral für Beckerts Geschichte des "Baumwollimperiums" ist die Konzeption eines "Kriegskapitalismus", der spätestens seit dem 18. Jahrhundert für die Umgestaltung der Welt sorgte. Er basierte in großem Stil auf der Enteignung von Land und Arbeitern in Afrika, Asien und den beiden Amerikas. Dort bedeutete Kapitalismus nicht Verträge und Märkte, sondern Gewalt und Zwang.
Je mehr Spinn-Maschinen in England und Europa, desto mehr Afrikaner in Ketten, die in die Karibik und in die nordamerikanischen Südstaaten zum Plantagen-Anbau verschifft wurden. Die philanthropische Idee der Sklavenbefreiung weckte in England die Angst, dass Baumwolle unbezahlbar würde. "Cotton is king", lautete eine Formel - und wenn dieser König gestürzt würde, könnte es die "zivilisierte" Welt in den Abgrund reißen. Es kam anders: Die indischen und ägyptischen Baumwollexporte stiegen in dem Maß, wie die nordamerikanischen wegen des Bürgerkriegs zurückgingen.
Vielfältiges Panorama der Baumwollindustrie
In bisweilen ermüdender Ausführlichkeit legt Beckert ökonomische Fakten und Zusammenhänge dar, zählt Baumwollballen und Spindeln in allen Teilen der Welt. Die Netzwerke und Informationsflüsse der Kaufleute werden analysiert, die Rolle der Baumwollmakler, Importeure, Kreditgeber und Kommissionäre beschrieben. So entsteht ein aussagekräftiges Panorama der Baumwollindustrie mehrerer Jahrhunderte, dessen Hauptmotiv die Verflechtung von Politik und Ökonomie ist: Industrielle, Erfinder, Kaufleute können noch so innovativ und geschäftstüchtig sein, ihr Wirken entfaltet sich nur im Rahmen einer Politik, die Rohstoffe und Länder unter Kontrolle bringt, Arbeitssysteme einführt sowie Märkte schafft und reguliert.
Das "Genie" nicht nur der Kaufleute aus Liverpool lag in der Fähigkeit, Kräfte zu verbinden, die meist als antagonistisch verstanden werden: "Lohnarbeit und Sklaverei, Industrialisierung und Deindustrialisierung, Freihandel und Empire, Gewalt und Vertrag." So ergibt dieses Werk ein abgründiges Doppelbild des Kapitalismus.

Sven Beckert: King Cotton - Eine Globalgeschichte des Kapitalismus
C.H. Beck Verlag, München
525 Seiten , 29,95 Euro

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