Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Das Feature Bauhaus, Buchenwald und Baudenkmäler Die fantastische Karriere des Architekten Franz Ehrlich Von Regina Kusch und Andreas Beckmann Produktion: DLF 2014 Redaktion: Ulrike Bajohr Sendung: Freitag, 04.05.2018, 20:10-21:00 Uhr Sprecher: Valentin Stroh. Sprecherin: Katharina Schmalenberg Sprecher Zitate: Guido Lambrecht Sprecher Zitat/Zeitschrift: Joachim Aich Regie: Claudia Kattanek Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Sprecher: Auf den wenigen Fotos, die es von ihm gibt, ist er schon fast 50 und hat bereits ein wenig Wohlstandsspeck angesetzt. Stets beugt er sich über eine Arbeit. Er sitzt auf Stühlen, die er selbst entworfen hat. Er lächelt vergnügt, wenn er zum letzten Strich ansetzt für eine Skizze, die ein Hochhaus zeigt oder am besten den Plan einer ganzen Stadt. Sprecherin: Auf einigen Bildern trägt er eine Brille, dann erinnert er an den Komiker Heinz Erhardt. Tanja Scheffler Er war ein genialer Entwerfer, er hat immer am Puls der Zeit entworfen und viele von seinen Entwürfen haben Esprit und Charme und sind trotzdem visionär. Gisela Herzog Ich habe mit vielen, vielen Architekten zusammengearbeitet in meinen 35 Jahren, aber Ehrlich überragt. Harry Stein Er fabuliert auch gern, das ist häufig so, erzählt dann, schmückt auch gern etwas aus. Tanja Scheffler Je nachdem, wie man es sieht, kann man auch dazu sagen, er wäre ein Aufschneider gewesen, ... und das macht es so schwierig, sich seinem Werk zu nähern. Sprecher: Er hatte viel zu bieten und viel zu verbergen. Sprecherin: Heute ist er fast vergessen. Sprecher: Dabei hat er sein Leben lang darum gekämpft, berühmt zu werden. (Musik) Ansage Buchenwald und Baudenkmäler Die fantastische Karriere des Architekten Franz Ehrlich Ein Feature von Regina Kusch und Andreas Beckmann Sprecherin: "Jedem das Seine": Die Inschrift auf dem Tor zum Konzentrationslager Buchenwald ist Ehrlichs erstes weltbekanntes Werk. Sprecher: "Jedem das Seine": von innen lesbar für Häftlinge auf dem Appellplatz. Franz Ehrlich entwarf die Schrift 1938, als er selbst hier eingesperrt war und im Baubüro des Lagers eingesetzt wurde. Harry Stein Er war sozusagen der Designer, aber ... er gab seinen Entwurf beim SS-Bauleiter ab, der nahm den als seinen und wies dann an, dass das umgesetzt wird. Sprecherin: Die Entstehungsgeschichte der Schrift hat Harry Stein, Historiker an der Gedenkstätte Buchenwald, erst vor wenigen Jahren rekonstruiert. Lange Zeit waren er und seine Kollegen nicht auf Franz Ehrlich gekommen - obwohl die Buchstabenform ihnen hätte einen Hinweis geben können. Harry Stein Das steht ja auch A mittig hier im Tor; dieses oben gerundete, damit auch ein bisschen verfremdete A ist eigentlich etwas, das man hätte erkennen können, wenn man es im Kopf trägt. Ähnlich das M, das, wenn man so will ein hochgezogenes kleines m ist. ... Keine Ecken, auch das E zum Beispiel ist eine runde Form, ja. Sprecherin: Es ist eine Typografie des Bauhauses, der Kunst- und Architekturschule der Moderne, die den Nazis als entartet galt. Sprecher: Franz Ehrlich hatte 1930 das Bauhaus in Dessau absolviert, und er war Mitglied der KPD gewesen. Sollte die Form der Buchstaben ein Zeichen des Widerstands sein? Harry Stein Für Ehrlich war das ein Stückchen Selbstbehauptung, ich mache das, was ich kann. ... Und das zieht sich eigentlich durch sein gesamtes Leben. Dass er sich immer ein Stückchen Selbsterhaltung, Eigensinn bewahrt, im Grunde, und diesen Eigensinn versucht, durchzubringen. Das gelingt ihm manchmal gut und manchmal nicht so gut. Sprecher: Eigensinn bewies Franz Ehrlich schon früh. Geboren 1907 in Leipzig, aufgewachsen in einfachsten Verhältnissen, war er der erste in der Familie, der studierte. Sprecherin: Eigensinn zeigte er, als er im Nationalsozialismus wie in der DDR gegen die herrschende Kulturpolitik an der Formensprache des Bauhauses festhielt. (Musik) Sprecher: Als Ehrlich Pfingsten 1946 aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte, hatte er kaum etwas anderes erlebt als Arbeitslosigkeit, Haft und Krieg. Jetzt wollte der überzeugte Kommunist endlich Fuß fassen, auch beruflich. Franz Ehrlich (Archiv) Damals stand ja alles offen. ... Aber das war ein Wunschtraum. Denn in einer zerstörten Stadt oder einem zerstörten Land, ... man muss eben dort anfangen, am Zerstörten. Und das ist eines dieser Merkmale des Bauhauses, das uns so erzogen hat, dass wir in jeder Situation, eben auch wenn nichts da ist, aus dem Nichts heraus wieder etwas schaffen. Sprecherin: Die wichtigsten Posten in den Stadtplanungsämtern waren schon vergeben. Sprecher: Aber dem verdienten Genossen, dem "Opfer des Faschismus", wurde eine Stelle in der Stadtverwaltung Dresden zugewiesen: Sprecherin: "Referent für Wiederaufbau" Sprecher: Zu seiner Enttäuschung musste er Material organisieren, nichts durfte er gestalten. Franz Ehrlich Ein Bauhäusler muss Brot verdienen mit jeder Beschäftigung, die sich anbietet. Ein Bauhäusler muss jeden Beruf meisterlich ausüben können. ... Er muss es können. Sprecher: Amtsleiter Ehrlich ließ die Ziegel von den Trümmergrundstücken schleunigst zu den Baustellen für neue Wohngebiete karren. In seiner Freizeit entwickelte er eigene Pläne für die Umgestaltung der Stadt. (Musik) Sprecherin: Am 20 Juli 1946 wurde in der Nordhalle, dem heutigen Militärhistorischen Museum, die große Ausstellung "Das Neue Dresden" eröffnet. Sprecher: Und Franz Ehrlich war mit einigen spektakulären Entwürfen dabei. Tanja Scheffler Franz Ehrlich hat das als Chance gesehen, ... jetzt endlich eine neue Stadt zu bauen. Sprecherin: Die Bauhistorikerin Tanja Scheffler sichtet heute Franz Ehrlichs Unterlagen im Dresdener Stadtarchiv. Tanja Scheffler Seine Planungen sind relativ großflächig und viele von den kleinen, extrem engen Gassen und unhygienischen Vierteln, die im Innenstadtbereich waren, er hat das als Chance gesehen, da großflächig was zu verändern und deshalb hat er auch relativ radikale Planungen entwickelt. (Musik) Sprecher: Eine neue Stadtsilhouette! Das Schloss erschien ihm verzichtbar, aber Semper-Oper und Zwinger wollte Ehrlich wieder aufbauen. In der Blickachse vom Zwinger zur Elbe plante Ehrlich ein neues Wahrzeichen. Tanja Scheffler Es geht darum, die Deutungshoheit über die Stadt zu haben, dass man das höchste Ding hat. In diesem Fall einen Bogen. Das war halt eine ganz einfache Form, die man von weitem sehen konnte, die quasi fast abstrakt war und ihm ging es darum, ein Zeichen zu setzen und gleichzeitig einen Raum zu fassen. (Musik) Sprecher: Ein 200 Meter hoher Bogen, der sich steil wie ein auf den Kopf gestelltes U an der Biegung des Flusses über die Innenstadt erheben sollte. Er nannte das Konstrukt: Karl- Marx-Denkmal! Es hätte sein zweites weltbekanntes Werk werden können. Sprecherin: Denn fast zeitgleich gewann der finnische Baumeister Eero Saarinen mit einem ganz ähnlichen Entwurf einen Wettbewerb in St.Louis, in den USA. Saarinens "Gateway Arch" gilt bis heute als eine der Architektur-Ikonen der Moderne. Sprecher: Franz Ehrlichs Bogen verschwand in den Schubladen der Dresdener Baubehörden. Tanja Scheffler Ehrlich hat viele Entwürfe gemacht, die spektakulär waren, wo man sagen würde, das ist ja sehr gewagt und es ist sehr schwierig, eine Konstruktion zu machen, die das konstruktiv hinbekommt, darüber hat er sich aber nie Gedanken gemacht. Atmo/ Archiv: Messesondersendung /Trommelwirbel, Tuch, Ansager: "Leipziger Herbstmesse 1949!" Andreas Butter Wir reden hier über die Zeit, in der er sich eine Stellung in der SBZ/DDR erarbeitete, u.a. auch im Messebau. Das war ja ein Bereich, der sehr viele avantgardistische Spielereien und effektvolle Gestaltungen möglich machte, die manchmal sehr radikal modern waren, wenn man sich die Messepavillons in Leipzig anguckt. Da hat er Profil gewonnen für verantwortungsvolle Positionen. Sprecherin: Franz Ehrlich hatte das Bauhaus-Diplom als Möbelgestalter erworben, nicht als Architekt. Deshalb gehörten Messebauten zu seinem ureigenem Metier, erklärt der Kunsthistoriker Andreas Butter. Andreas Butter Im Jahr 1949 entwarf Franz Ehrlich den Messestand für den VVB IFA, Kraftfahrzeugbau. Ein Pavillon, Autos wurden da noch nicht gezeigt, sondern Fahrräder, es war ein aufgelöster, winkelförmiger Bau, der nur von sehr wenigen Wandscheiben abgestützt war und ansonsten sehr offen, es gab ein paar Glasfelder, ... und das natürlich alles in Pappe und vergänglichen Materialien. Sprecherin: Die ostdeutsche Industrie wollte demonstrieren, dass sie nach den Kriegszerstörungen und den Demontagen durch die Besatzungsmacht überhaupt wieder produzieren konnte. Sprecher: Franz Ehrlichs Auftrag: das Wenige eindrucksvoll vorzuweisen. Andreas Butter Weitere Stände von Franz Ehrlich waren dadurch geprägt, dass er sehr frei mit den Materialien umging. Bestimmte Dinge kombinierte, Größenverhältnisse in ein starkes Kontrastverhältnis setzte, manchmal sogar surrealistische Effekte mit einbaute. Mit Strahlenbahnen, die aus Fäden gezogen waren, merkwürdige außerirdische Landschaften aus verschiedenen Objekten für die VEB Kunstfaserbetriebe mit Modellen von Molekülen dort gebaut hat. Das war richtig Avantgarde zu diesem Zeitpunkt. (Musik) Sprecherin: Nachdem die SED auf ihrem Dritten Parteitag im Juli 1950 den ersten Fünf-Jahresplan beschlossen hatte, wurden die Industriebau-Firmen zu einer "Vereinigung Volkseigner Betriebe" zusammengefasst. Sprecher: Ihr künstlerischer Direktor hieß: Franz Ehrlich. Franz Ehrlich Es stand damals nicht die Frage der Ästhetik , es stand nicht die Frage einer neuen Architektur oder eines Neuen Bauens, sondern es stand die Frage, die Lebensbedingungen wieder in irgendeiner Form zu erfüllen. Und das bedeutete, die Industrie in Gang zu setzen als Voraussetzung, dass man Wohnungen wieder instand setzen kann. Archiv Arbeiterchor "Sonne über Nowa Huta", Sprecherin: Auf dem Dritten Parteitag war auch entschieden worden, südlich von Frankfurt an der Oder nicht nur ein neues Stahlwerk, sondern die erste sozialistische Stadt auf deutschem Boden zu bauen. Sprecher: Franz Ehrlich sah seine Chance als Stadtplaner. Andreas Butter Seine Idealstadt war vor allen Dingen egalitär gegliedert. Das heißt, es gab keine Hierarchien des Wohnens, auch keine Dominanz von Verwaltungsbauten der Gemeinschaft. Es war sozusagen eine lockere, eine freie, man kann es am ehesten mit den Bildern von Piet Mondrian vergleichen, sehr abstrakt linear geprägte Landschaft, die ohne Zweifel den Vorstellungen der Politiker als zu gewagt erschien, als zu wenig an gesellschaftlichen Erfordernissen orientiert. Sprecher: Eine Gartenstadt für die Stahlwerker! Sprecherin: Aber die Partei stellte sich eine sozialistische Stadt anders vor: Ein zentraler Aufmarschplatz, den staatliche Einrichtungen, Kulturhäuser und das Parteibüro säumen. Auf ihn zulaufend: die Hauptstraßen aus den einzelnen Stadtteilen. Die Werktätigen sollten schon auf dem Weg ins Zentrum, zur Maiparade, Stolz und Zusammengehörigkeit verspüren. Sprecher: Franz Ehrlich mühte sich, seine Entwürfe nachzubessern - den Parteifürsten war er immer noch zu eigensinnig. Andreas Butter Für ihn war einfach der Wohnwert das entscheidende. Vielleicht auch der egalitäre Anspruch der Menschen, die jetzt nicht unbedingt im Alltag von der großen Idee des Staates und der historischen Mission der Arbeiterklasse dominiert werden wollen, ja belästigt werden wollen, sondern die eben eine natürliche, heitere Lebensumwelt haben wollen. Sprecher: Auch Ehrlichs Masterplan für Eisenhüttenstadt verschwand in einer Schublade. DDR-Radio Der erste Hammerschlag für die Freundschaft des friedliebenden deutschen Volkes mit den Völkern der Sowjet-Union. (Schlag) Sprecherin: Die Architekturpolitik hatte sich geändert. Unmittelbar nach dem Krieg war der Bauhausstil wohl gelitten - er dokumentierte einen Bruch mit dem Heimatkitsch der Nazis. Doch viele Bauhäusler - vor allem die berühmten wie Mies van der Rohe und Walter Gropius - feierten in den USA ihre Erfolge. Und im beginnenden Kalten Krieg wollte die SED nicht bauen lassen wie der Klassenfeind. DDR-Radio Der zweite Hammerschlag für den Aufbau der Hauptstadt Deutschlands, Berlin und die glückliche Zukunft seiner Bevölkerung. Sprecherin: Arbeiterpaläste sollten es sein, mit Säulen und Ornamenten. "Zuckerbäckerstil" sagte der Volksmund dazu. Die SED sprach von einer nationalen Bautradition, vom Anknüpfen an Schinkels Klassizismus. Das Vorzeigeprojekt: die Berliner Stalinallee. DDR-Radio ....Der dritte Hammerschlag für die Einheit Deutschlands in Freiheit und Frieden. - Applaus - (Reporter:) 3. Februar 1952. Ministerpräsident Otto Grotewohl legt den Grundstein für die Stalinallee. Sprecher: Franz Ehrlich wurde gar nicht erst zum Wettbewerb eingeladen. Wie alle Verfechter der Moderne galt er inzwischen als "Formalist" Tanja Scheffler Es gab formalistische Architektur und formalistisches Möbeldesign. Formalistisch hieß damals in DDR abwertend, dass das Möbelstück oder die Architektur keine künstlerische Ausstattung hatte, sondern nur schlichtweg formal seinen Zweck erfüllt, aber keine Art von Kunst ist und damit banal ist. Man hat teilweise mit demselben Vokabular gearbeitet, das man aus den Jahren zuvor schon kannte: ... zeigt eine völlige Entartung. Sprecherin: Die meisten, deren Arbeiten so verrissen wurden, wandten sich in Richtung Westen. Hans Scharoun etwa oder Hans Hartl. Sprecher: Franz Ehrlich glaubte weiterhin, Sozialismus und Bauhaus vereinbaren zu können. Noch hatte er mächtige Fürsprecher: Hermann Axen zum Beispiel, ZK-Mitglied, kannte er aus der Haft. Sprecherin: Axen hatte ihm 1951 noch einen Großauftrag verschafft: Musik (Barenboim dirigiert in der Nalepastraße) Sprecher: Ein neues Funkhaus für das Staatliche Komitee für Rundfunk. Ein ganz modernes Sendezentrum in der Nalepastraße, Berlin-Oberschöneweide. Gisela Herzog Dieser Komplex ist ein Unikat als Bauwerk. Sprecherin: Die Ingenieurin Gisela Herzog war beim Bau des neuen Funkhauses für die Akustik zuständig. Schon als sie zum ersten Mal auf die Baustelle kam, war ihr klar, welche Herausforderung sie erwartete. Gisela Herzog Weil wir ja noch in der Einflugschneise nach Tempelhof waren, die waren ja 300 Meter drüber weg und damals gab es noch die Propellermaschinen, die waren noch viel lauter als die heutigen, aber das hat kein Problem gemacht. Sprecher: Um alle nur denkbaren Störgeräusche auszuschalten, baute Franz Ehrlich den Produktionskomplex nach dem Haus-im-Haus-Prinzip: Jedes Studio ein eigenes kleines Gebäude - alle zusammen mit einer Klinkerfassade und einem Stahlbetondach ummantelt. Gisela Herzog Sämtliche Säle sind zweischalig gebaut. ... Alle hatten ein getrenntes Fundament wegen der Körperschallübertragung. Wenn man zur gleichen Zeit aufnehmen will ... in aneinander liegenden Sälen, braucht man diese ... Schalldämmung, ... damit ein Saal den anderen nicht stört. Sprecherin: Vier Sendesäle hatte das Staatliche Rundfunk-Komitee verlangt, vom großen Raum für komplette Orchester bis zum kleinen Kammermusiksaal. Dazu zwei Hörspielproduktionskomplexe und weitere Studios für vier Radio-Programme. Sprecher: Ehrlich konzipierte einige der Aufnahmeräume in Trapezform. Er legte die Muster fest, nach denen Räume mit Holzpaneelen und Textilien ausgekleidet wurden. Gisela Herzog musste berechnen, wie die Materialien anzubringen sind, um eine optimale Akustik zu schaffen. Gisela Herzog Man musste sich sehr ihm anpassen. ... Nicht nur ich, alle anderen mussten auch Lösungen sofort bringen. ... Die Menschen waren alle frustriert von der Hektik, von der Arbeitsweise, die wir bringen mussten in so kurzer Zeit. ... Man hätte gerne mal locker mit einander gesessen. War keine Zeit Sprecher: Für Franz Ehrlich war das Funkhaus eine Gelegenheit zu beweisen, dass er, wie am Bauhaus gelernt, sämtliche Disziplinen beherrscht: Sprecherin: Entwurf - Rohbau - Inneneinrichtung. Sprecher: Ehrlich erwartete von allen Mitarbeitern vollen Einsatz auf seiner Baustelle, wenn nötig auch 14 Stunden am Tag. Gisela Herzog Es gab niemanden, der eine Widerrede hätte oder wäre nicht einverstanden gewesen mit ihm. Es hat niemanden gegeben, der nicht mit ihm auf der gleichen Welle war, ... Er war ... derjenige, der den Hut auf hat, dem nie widersprochen wird. Der hat nichts zugelassen an Kritik oder an Zweifeln. ... Er war ... sehr dominant, sehr bestimmend, sehr selbstsicher. (flüstert) Ja, sehr von sich eingenommen. Sprecherin: Auch wenn es menschlich schwierig mit ihm war, professionell verehrt die mittlerweile 89jährige Gisela Herzog Franz Ehrlich bis heute. Gisela Herzog Ich habe mit vielen Architekten zusammen gearbeitet, ich habe viele große Gesellschaftsbauten gemacht, aber Ehrlich ist derjenige, der die meisten Ideen, Durchsetzungsvermögen hatte, Vorstellungen vom Design her, unübertrefflich! Seine Note ist überall zu sehen, in allen Sälen Musik (Barenboim in der Nalepastraße) Sprecherin: Heute steht der Produktionskomplex Block B in der Nalepastraße unter Denkmalschutz, weitgehend ungenutzt. Dabei bezeugen - von Daniel Barenboim über Lang Lang bis Peter Maffay - Musiker unterschiedlichster Genres, noch nie Aufnahmesäle von höherer Qualität erlebt zu haben. Gisela Herzog Es gibt in der Welt kein zusammenhängendes Studio-Gebäude für Wort und Musik in diesem Ausmaß, in dieser Größe, wo man Tag und Nacht hat produziert. Auf dem Gelände waren vielleicht 2.500 Redakteure beschäftigt, es gab ein Kino, eine Poliklinik, es gab eine Bücherei, wo man Bücher kaufen konnten, einen Frisör, ... ich glaube, Kindergarten war auch dabei. Sprecherin: Bei seiner Einweihung im Februar 1956 war das Funkhaus ein Prestigebau für den Rundfunk der DDR, um den ihn selbst die BBC beneidete. Und natürlich gratulierte die gesamte Staatsspitze der DDR. Gisela Herzog Der Bau ist überall gefeiert worden, aber er ist erst am Ende des Jahres ausgezeichnet worden, da hat er einen Verdienst-Orden bekommen, der sicherlich dem Hause zuzuschreiben ist. Aber erst ein gutes dreiviertel Jahr hinterher. Sprecher: Selbst jetzt, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, bekam Franz Ehrlich zu spüren, dass er bei der Parteiführung nicht sonderlich gelitten war. Sprecherin: Dabei war die Formalismusdebatte nach Stalins Tod im Sande verlaufen. Sprecher: Franz Ehrlich konnte hoffen, dass bald seine Zeit kommen werde. Doch er wollte nicht warten und hatte längst selbst die Initiative ergriffen. (Musik) Zitator Stasi Staatssekretariat für Staatssicherheit, Hauptabteilung III/4 Am 18.2.1954 erschien vereinbarungsgemäß der Kandidat Franz Ehrlich zum verabredeten Treffort. Der Kandidat versprach, aus seinen persönlichen Akten Unterlagen zu bringen über die Lage auf dem Gebiet der Architektur und im Wohnungsbau. Der Kandidat machte von sich aus für uns wertvolle Angaben. Aufgrund des gelieferten Materials habe ich den Kandidaten angeworben, er hat den Decknamen "Neumann" angenommen. Gezeichnet Hildebrandt, Hauptmann Sprecherin: Unter der Registrier-Nummer 9195/60 sollte Franz Ehrlich als Geheimer Informator, als GI "Neumann", mehr als zwanzig Jahre lang für den Staatssicherheitsdienst der DDR arbeiten. Seine Akte würde auf 900 Seiten anschwellen. Von Anfang hatte er klare Vorstellungen, wie er der Stasi nützlich sein könnte. Zitator Stasi Wir sollten uns, was seine Unterstützung unserer Arbeit betrifft, nicht falschen Vorstellungen hingeben. Zum Beispiel sollten wir ihn nicht mit solchen Aufgaben betrauen wie jemanden zu beobachten. Sein Vorschlag für die weitere Zusammenarbeit geht in die Richtung, den Einfluss der feindlichen Ideologie unter den Architekten erkennen zu helfen. Sprecherin: Dass ein Geheimer Informator oder ein IM, wie die Stasi ihre Zuträger später nannte, derart klar die Bedingungen der Zusammenarbeit diktieren wollte, waren die Führungs-Offiziere nicht gewohnt. Zitator Stasi Bei dem Treffen zeigt sich erneut sehr deutlich, dass der GI, wenn er auch fachlich etwas kann, so doch sehr überheblich ist. Er stellt seine Vorstellungen stets in den Vordergrund und gibt zu verstehen, dass er der einzige Universalmensch auf dem Gebiete der Architektur in der DDR ist. Er strebt danach, große Aufgaben zu erhalten und berühmt zu werden. Sprecherin: Wenn es darum ging, Konkurrenten anzuschwärzen, war Franz Ehrlich durchaus auskunftsfreudig. Über seinen Intimfeind Hermann Henselmann, der die Stalinallee bauen durfte, berichtete er genauso offen wie über seinen Kollegen Selman Selmanagic, der wie er selbst als Bauhäusler in der Kritik stand. Vor allem auf ein Thema kam der Geheime Informator Neumann immer wieder zu sprechen: Zitator Stasi Er möchte in unserer Zusammenarbeit erreichen, die Personen zu erkennen, die die Entwicklung unseres Bauwesens hemmen. ...Man müsste eine Analyse über die wichtigsten Personen des Bauwesens der DDR anfertigen und besonders ihre Tätigkeit in der Nazizeit und gegenseitige Verbindungen herausarbeiten. Sprecherin: Ob Ehrlich bei seinen Anspielungen einen konkreten Verdacht hatte oder einfach nur mal auf den Busch klopfen wollte, ist bis heute unklar. Vielleicht vermutete er Schwachpunkte bei anderen dort, wo seine eigenen sich auch verbargen. (Musik) Sprecher: Franz Ehrlichs Rolle in Buchenwald war ganz und gar nicht so eindeutig, wie sie auf den ersten Blick scheint: Denn - er wurde im Konzentrationslager Buchenwald zum engsten Mitarbeiter des SS-Lagerarchitekten Robert Riedl. Sprecherin: Wie Ehrlich in diese Position kam, kann Harry Stein, Historiker an der KZ-Gedenkstätte, zwar weitgehend rekonstruieren, aber wichtige Details sind wohl nicht mehr zu klären. Harry Stein Wir wissen überhaupt nicht, ob irgendein Bau von Franz Ehrlich hier auf dem Gelände steht, weil Ehrlich zwar die Entwürfe zu den meisten Bauten hier gemacht haben soll, aber alle Entwürfe wurden vom Lagerarchitekten unterschrieben und als seine Arbeit ausgegeben. Sprecher: Sicher ist: Franz Ehrlich wurde am 2. September 1937 von der Gestapo eingeliefert. Da hatte er schon drei Jahre Zuchthaus in Waldheim und Zwickau verbüßt, wegen der Mitarbeit an einer illegalen kommunistischen Zeitung. Sprecherin: Buchenwald war damals ein Lager, das die Häftlinge selbst aufbauen mussten. Jeder, der hier ankam, wurde als erstes in den Steinbruch geschickt. Sprecher: Jeden Tag 12 bis 14 Stunden schuften. Nach sechs Wochen war der kaum 1,70 Meter große Franz Ehrlich restlos entkräftet. Harry Stein Es gibt Berichte anderer, dass er eines Tages in der Tischlerei saß. Das heißt, er ist eigenmächtig, das war etwas, was man überhaupt nicht wagen durfte, in die Tischlerei gegangen, hat sich dort hingesetzt ans Zeichenbrett und hat angefangen zu zeichnen, in der Hoffnung, dass er aus dem Steinbruch rauskommt. ... Wahrscheinlich war das eine Verzweiflungstat, dass er sagte, wenn mich jetzt noch was rettet, dann sind es meine fachlichen Fähigkeiten. Sprecherin: Die einzelnen Abteilungen des KZ wurden nicht direkt von der SS beaufsichtigt, sondern von Funktionshäftlingen, den Kapos, die dafür sorgten, dass alle Befehle des Kommandanten ausgeführt wurden. In Buchenwald hatten es die kommunistischen Häftlinge geschafft, fast alle Kapo-Stellen zu besetzen. Sprecher: Der Kapo in der Tischlerei konnte einen begabten Zeichner gebrauchen und Franz Ehrlich war einer. Alle Skizzen Ehrlichs landeten beim Lager-Architekten Robert Riedl. Harry Stein Das war ein sehr junger Mann, der hatte natürlich eine steile Karriere gemacht in der SS. Das heißt einer, der mit Hilfsausbildungen in einen Rang gekommen war, den er so als Architekt nie haben konnte, große Lager aufzubauen, das konnte er offensichtlich nicht allein bewältigen, sondern brauchte dazu die Unterstützung von Ausgebildeten unter den Häftlingen. Sprecher: SS-Untersturmführer Robert Riedl muss die Qualitäten Ehrlichs schnell erkannt haben, sonst hätte er ihn Anfang 1938 nicht beauftragt, die zynischen Inschrift "Jedem das Seine" für das Lagertor zu gestalten. Sprecherin: Ehrlich hatte bei der Einlieferung ins KZ als Beruf "Architekt" angegeben. Also ließ Riedl ihn auch größere Lagerbauten entwerfen, von der Effektenkammer bis zur Kommandantenvilla. Harry Stein Ehrlich hat ja dort drinnen auch so eine Inszenierung gemacht, ein großes, zwei Meter langes Schwert über rotem Grund an der Wand aufgehängt. ... Das war vor allem der Kommandant Koch, der schon den Wunsch hatte, ein vorzeigbares Kommandantenzimmer, ein vorzeigbares Wohnhaus zu haben ... Der fand das toll, das Rot stand ja für die Nazi-Fahne und das Schwert natürlich für seine völkische Orientierung und ... dem hat das natürlich gefallen, dass da ein Riesenschwert über seinem Kamin hing. Sprecherin: Zu Hitlers 50. Geburtstag im April 1939 kündigten die Nazis eine große Amnestie an. Sprecher: Franz Ehrlich konnte auf Entlassung hoffen - schließlich war er kein führender KPD-Funktionär gewesen, sondern hatte nur an einer kleinen illegalen Jugendzeitung mitgearbeitet. Sprecherin: Aber er musste bleiben. Harry Stein Mitte Oktober 1939, ein Zeitpunkt, wo kaum noch jemand entlassen wird, denn das ist der Kriegsbeginn, da kommen viele Häftlinge rein, aber wenige raus, da darf er dann gehen. Sprecherin: Warum, kann bis heute niemand erklären. Sprecher: Und zwei Wochen später war Franz Ehrlich auch schon wieder zurück in Buchenwald. Sprecherin: Aber nicht als Häftling. Sprecher: Die SS hatte ihn als zivilen Mitarbeiter verpflichtet. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er, jetzt, mit 32, eine Anstellung, noch dazu in seinem Traumberuf: Sprecherin: Als Architekt. Sprecher: Und 1941 wurde Ehrlich ins "SS-Hauptamt Bauen" nach Berlin versetzt. Da hatte er schon die Pläne für die Oranienburger Dienstvilla des "Inspekteurs der Konzentrationslager", Theodor Eicke, dem Chef aller KZ-Verwaltungen, gezeichnet. Musik/Buchenwald-Fanfare Werner Ehrlich Es wurde eigentlich über die Haft so gut wie nicht gesprochen. Sprecherin: Werner Ehrlich kam 1946 zur Welt und kann sich noch gut erinnern, wie gern er als kleiner Junge sonntags immer seinen Onkel Franz besuchte - in dessen Villa, wo man vom Arbeitszimmer aus in der Küche anrufen konnte, um zu fragen, ob das Essen schon fertig ist. Werner Ehrlich Onkel Franz und die Tante Elisabeth, seine Frau, die wohnten ja hier in Dresden am Weißer Hirsch am Hang und schauten auf die Stadt und für mich war das große Erlebnis, da ging ich noch nicht in die Schule, mit dem Roller zum Onkel Franz zu fahren. Er hat eigentlich immer gearbeitet und es hat mir Spaß gemacht, da zuzugucken. ... Er hat Fragen beantwortet, da hat er sich immer Zeit genommen. Sprecherin: Für Fragen nach Krieg und Konzentrationslager war Werner Ehrlich in den fünfziger Jahren noch zu jung. Aber er hatte früh gemerkt, dass das ein Tabu-Thema in der Familie war, besonders wenn es um den Onkel ging. Werner Ehrlich Meine Mutter hat immer gesagt: zu dessen Hochzeit ist ja die SS gekommen und hat ihm eine Torte geschenkt! Nun kann ich das nicht bewerten, aber in unseren antifaschistischen Vorstellungen war das natürlich schon fast ein Verbrechen. Ob das der Bauleiter privat gemacht hat, ob das die SS offiziell gemacht hat, ob das ein Törtchen war oder eine Torte, das ist ja alles nicht rauskriegbar mehr. Und dass er eine Lebenserleichterung für sich versucht hat zu erreichen, das ist ja vielleicht menschlich verständlich. ... Meine Mutter ... hat ihm das vorgeworfen, weil das für sie unvorstellbar war. Sprecherin: Werner Ehrlichs Mutter und auch sein Vater hatten, ebenso wie Franz Ehrlich, im kommunistischen Widerstand gearbeitet. Alle drei waren zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Die Erinnerung daran verband und trennte sie gleichermaßen. Werner Ehrlich Als Bruno Apitz "Nackt unter Wölfen" erschien, das Buch über den Jungen in Buchenwald, stellte sich Franz hin und sagte, das ist eine üble Kolportage und erzählte lustige Geschichten aus dem Konzentrationslager, was für meine Mutter, die in einem 40-Mann-Saal in Waldheim vier Jahre lang verbracht hat, so schockierend war, dass sie gesagt hat: Komm Werner, wir gehen jetzt! Und dann hatte ich eigentlich über viele Jahre überhaupt keinen Kontakt mehr zum Franz. Sprecherin: So verpasste Werner Ehrlich die Gelegenheit, seinen Onkel jemals nach Buchenwald zu fragen. Werner Ehrlich Tatsache ist, das hat er selber erzählt, dass er das Torgebäude entworfen hat. Und die Schrift ist seine Schrift, die er sicherlich am Bauhaus gelernt hat, aber ich halte es für Unsinn zu sagen, die Schrift hat er verwandt, um den Nazis die Faust zu zeigen. Käse!, aus meiner Sicht. Meine Jugendweihe-Karte, die er mir geschrieben hat: "Lieber Werner, gratuliere dir zur Jugendweihe". ist in Druckschrift und ist die gleiche Schrift. Der hat immer so geschrieben (lacht). Sprecherin: Schon die amerikanischen Befreier, später auch Kontrollkommissionen der SED und der Sowjetischen Militäradministration, untersuchten die Rolle der Kapos in Buchenwald untersucht. Die Kommunisten hatten eine Überlebensgemeinschaft gebildet - manchmal konnten sie Widerstand organisieren, aber zwangsläufig wurden sie auch zu Handlagern der SS. Sprecher: Franz Ehrlich wusste also: seine ganz persönliche Überlebensstrategie konnte jederzeit gegen ihn verwendet werden. Harry Stein Wir sehen es in den immer wieder auftauchenden Statements, die Häftlinge für ihn abgeben, dass er ein guter Kamerad war, dass er im Widerstand war, dass er auch in der Zeit, wo er als Zivilangestellter hier in der Bauleitung war, etwas für Häftlinge getan hat, das sind ja Statements, die kommen nicht von irgendwoher, man hat die sicherlich abgefragt. Er hat die sicher gebraucht, speziell in den End40er, Anfang50er Jahren, wo ... seine Situation nicht so ganz sicher war. Sprecher: Franz Ehrlich konnte seine Anstellung bei der SS ohnehin nicht verschweigen - schließlich wollte er ja auch über seine Arbeit als Architekt sprechen. Harry Stein Er hat ja versucht, nach 1945 als Architekt gleich wieder anzufangen. Und dann kam natürlich die Anfrage, wo hat denn der seine Architektenausbildung, der ist ja gar kein Architekt, der ist ja Designer. Und da sagt er, ich habe jede Menge Entwurfsarbeiten, die ich in dieser Zeit gemacht habe. ... Ist der stolz drauf, auf diese Arbeit für die SS? Manchmal scheint das so, auch weil er so viel davon an Entwürfen aufgehoben hat. Dann wiederum sieht man, das ist quasi Teil seiner Berufsbildung. ... Er versucht ja auch diese Dokumente nach 45 einzubringen, weil er eben keinen Abschluss als Architekt hat. Sprecher: Das Vorzeigeprojekt in der Nalepastraße sollte Ehrlich endgültig von seiner Vergangenheit befreien. Sprecherin: Außerdem wähnte er die Offiziere der Staatssicherheit an seiner Seite. Aber die wollten oder konnten seine Karriere nicht voranbringen. (Musik) Sprecher: Ehrlich reichte ein ums andere Mal Entwürfe für Großprojekte ein - sie wurden ignoriert. So wandte er sich schließlich wieder der Möbelbranche zu, den traditionsreichen Werkstätten Dresden-Hellerau. Andreas Butter Franz Ehrlich ist heute vielen bekannt vor allem durch seine Möbelserie, die in Hellerau in der zweiten Hälfte der 50er Jahre entstand. Meine Mutter hat selbst noch diese Anrichte mit diesen schalenförmigen Griffen, relativ dünne Beine, das Ganze scheint wirklich zu schweben und diese Möbel werden heute noch von Antiquitätenhändlern mit hohen Preisen gehandelt. Sprecherin: Nach Meinung des Kunsthistorikers Andreas Butter hat Ehrlich mit der Anbau-Möbelserie "602" einen Design-Klassiker geschaffen, ähnlich bedeutsam wie das Funkhaus in der Nalepastraße. Andreas Butter Er steht für eine besonders hohe Qualität und einen ganz eigenen Stil. Dieser Hellerau- Geist, dieses natürliche Material zur Geltung kommen zu lassen, diese Maserung des Holzes, dieser sehr schlichte, aber dabei elegante minimalistische Anspruch, dabei aber doch das Musikalische in den Proportionen, in den Schwüngen zu haben, nicht so weit gehend, dass es nun eine Nierentischgestaltung wird, aber auch nicht der ganz strenge Funktionalismus in der reinen Bauhaus-Tradition, Aufbau-Möbel zum Beispiel, es ist was eigenes. Sprecher: Und etwas sehr Eigensinniges. Sprecherin: Der gelernte Tischler Walter Ulbricht wollte die Arbeiterklasse mit wuchtigen Standmöbeln im Gründerzeitstil beglücken, wie er sie in jungen Jahren geschreinert hatte. Sprecher: Aber Ehrlichs Anbau-Serie "602", mit der man die Wohnung schrittweise ausstatten konnte, passte viel besser in die Zeit. Überall im kriegszerstörten Europa hatten die Menschen wenig Geld und lebten noch sehr beengt. Sprecherin: Die Serie "602" war in der DDR kaum zu haben, wurde aber zum Exportschlager. Weil die volkseigene Industrie der Nachfrage aus dem Westen nicht mehr Herr werden konnte, verkaufte das Ministerium für Außenhandel Fertigungslizenzen nach Skandinavien. Tanja Scheffler Ehrlich war immer auf der Höhe der Zeit und er war immer am Nabel des Zeitgeistes, wusste, was en vogue war. Franz Ehrlich war für die DDR überhaupt ein großer Devisenbringer. Er war, gerade weil sich seine Möbel so gut verkauft haben, unheimlich gefragt, um Handelsvertretungen im Ausland zu machen. Sprecherin: Die Außenhandelsvertretungen waren wichtige Visitenkarten der diplomatisch noch längst nicht weltweit anerkannten DDR. Sprecher: Ob in Moskau oder Peking, in Kairo oder New Delhi, in Brüssel oder Paris: alle hat Franz Ehrlich gestaltet. Aber in der DDR scheiterte Ehrlich mit seinen Entwürfen. Sprecherin: In ihrer Ausgabe 2/1959 urteilte die DDR-Zeitschrift "Deutsche Architektur" über den Berliner "Klub der Kulturschaffenden", den Ehrlich in einem futuristischen Metalldesign gestaltet hatte: Zitator 2 Wir sollten endlich aufhören zu übersehen, dass die Kunst in den Händen der Gegner des Sozialismus eine Waffe geworden ist, die gegen uns gerichtet ist. Die fließenden Räume, die dynamischen, ihres psychologischen und räumlichen Sinns entkleideten Farben, die ihrer baulichen Logik und Materialien - alle diese ästhetischen Spielereien sind Kunstmittel, die gegen das Denken und Empfinden fortschrittlicher Menschen gerichtet sind. Sie sind - krass gesagt - die ästhetisch berückende Hülle, in welche die Atombombe eingewickelt wird. (Musik) Zitator Stasi Hauptabteilung III/ 3/J, Treffbericht 17.12.59 Der GI erschien 15 Minuten verspätet zum Treff. Innerlich war er derart aufgewühlt, dass er, nachdem er Platz genommen hatte, den Kopf in beide Hände stützte, sich wild durch die Haare fuhr und in lautes Weinen ausbrach. Nachdem er sich etwas beruhigt hatte, sagte er, bei ihm wäre ein Zustand eingetreten, dass er nicht mehr wüsste, was er machen soll. Ein anderer Fachmann wäre in einer derartigen Situation längst republikflüchtig geworden. Sprecherin: Franz Ehrlich drohte der Stasi mehrmals mit Republikflucht - und erwartete nicht etwa polizeiliche Maßnahmen, sondern Entgegenkommen. Einmal erzählte der "GI Neumann" den Offizieren sogar, dass man sich im Westen schon auf ihn freue. Zitator Stasi Treff 20.4.61 Einige Tage vor Ostern traf sich der GI mit dem Leiter der Akademie der Künste Westberlin im Presseclub des demokratischen Sektors von Berlin. Der Akademie-Leiter machte dem GI ein Angebot: Der GI soll nach Westberlin kommen und die neugeplante Wohnstadt Westberlin-Rudow als Chefarchitekt übernehmen. Der Akademie-Leiter führte in der Angelegenheit eine Konsultation mit Prof. Gropius, der in Amerika lebt und zur Zeit in Westberlin weilt und die neuen Baupläne für den Aufbau der Wohnstadt in Rudow propagiert. Sprecherin: Vermutlich wussten die Offiziere, dass Ehrlich blufft. Sie hatten seine Post kontrolliert und festgestellt, dass er mehrfach versucht hatte, sich mit Walter Gropius zu treffen. Doch der alte Bauhaus-Professor zeigte offenbar kein Interesse an seinem einstigen Schüler. Zitator Stasi Der GI ist sich im Klaren darüber, dass er durch einen solchen Schritt, die Republik zu verlassen, das Ansehen unserer Republik schädigt und aus diesem Grunde wird der GI in unserer Republik bleiben. Der GI sprach aber die Bitte aus, dass er in seinen persönlichen Belangen von uns unterstützt wird. Diese Unterstützung müsste in der der Auftragserteilung von größeren Projekten zum Ausdruck kommen. Sprecherin: Ehrlich prahlte gern mit Beziehungen, die er nicht hatte und mit Projekten, die gar nicht seine waren, sagt die Bauhistorikerin Tanja Scheffler. Tanja Scheffler Das Interessante ist, wenn man sich mit Franz Ehrlich beschäftigt, dass er geradezu inflationär Lebensläufe geschrieben hat. Er hat für jedes Projekt die Lebensläufe so zugeschnitten, wie er dachte, dass sie gut ankommen. Wenn man hier einen Lebenslauf sieht, da kann man sehen: Unter meiner Leitung entstand der erste Aufbau-Plan in Dresden sowie das erste Hotel für die DDR, das Hotel Astoria. ... Wenn man aber in die Akten gezielt reingeht, und in Dresden lässt sich das gut nachvollziehen, dann kann man sehen, dass die Aufbaupläne alle von Kollegen entwickelt worden sind. Das Hotel Astoria - nein. Sprecher: Weil gerade in der frühen Phase der DDR viele Bauten als Geheimprojekte eingestuft wurden, gibt es keine Unterlagen, mit deren Hilfe sich genau belegen ließe, was Ehrlich wirklich geschaffen hat. So werden ihm bis heute Gebäude zugeschrieben, die er nicht entwarf - etwa das DDR-Fernsehzentrum in Berlin-Adlershof, das nachweislich von Wolfgang Wunsch stammt. Sprecherin: Franz Ehrlich, sagt der Historiker Harry Stein, war Zeit seines Lebens ein Legendenbildner in eigener Sache. Harry Stein Er war ein unglaublich tätiges Genie und auf der anderen Seite war er zum Teil auch immer gezwungen, hochzustapeln. Beispiel Buchenwald: er wird hier ins Lager eingeliefert und bei der Angabe Beruf sagt er, Architekt. ...Das ist eine Hochstapelei, die nicht Angeberei schlechthin ist, sondern es ist ein Durchschlagen und dazu gehörte List und dazu gehörte auch Pfiffigkeit. Das ist etwas, das sich durch das ganze Leben zieht. (Musik) Sprecher: Einmal noch wurde Franz Ehrlich mit einer bedeutenden Aufgabe betraut: 1965 sollte er als Chefplaner die Leipziger Messe zum 800jährigen Jubiläum herausputzen. Er konzipierte eine Serie neuer Hallen. Eine davon - mit ihren an der Außenhaut verlaufenden Versorgungsleitungen und Fahrstuhlschächten - schien das Centre Pompidou vorwegzunehmen, das erst zehn Jahre später in Paris entstand. Sprecherin: Die Leipziger Messeleitung verwarf alle Pläne: zu groß, zu kompliziert und zu teuer. Sprecher: Aber etwas blieb: Ehrlich zeichnete jenes Logo, das die Messe bis heute benutzt: ein doppeltes M, zwei sehr hohe, aufeinander stehende scharfzackige Buchstaben. Als diese stählernen Embleme an den Eingängen des Geländes aufgebaut wurden, war Franz Ehrlich schon nach heftigem Streit mit der Messeleitung aus dem Projekt ausgeschieden. Tanja Scheffler In den frühen 50er Jahren hat man ganze große Jahrgänge von Architekten und Designern entwickelt und das sind häufig die, die in den 60er Jahren große Karriere gemacht haben und .das sind die, die an Ehrlich vorbeigezogen sind. Das ist Ehrlichs großes Problem, weil er immer gedacht hat, in dem Moment, wo sich die gestalterischen Richtlinien ... ändern, würde er wieder seine große Chance kriegen zu bauen. Aber es war damals so, dass sich auch die Struktur des Bauwesens geändert hat, man hat in großen Kollektiven gearbeitet und Ehrlich war ein Einzelkämpfer. Sprecherin: Er wurde nie wieder mit einem Großauftrag bedacht. (Musik) Sprecher: Sich in ein Kollektiv einzufügen oder gar einem Vorgesetzten unterzuordnen - dazu war Franz Ehrlich zeitlebens zu eigensinnig. Er träumte von einer Professur, von einer Rolle als Baumeister und Lehrer, von der Rolle eines Gropius oder Mies van der Rohe. Sprecherin: Aber für solche Ambitionen war sein Land zu eng und wirtschaftlich zu rückständig. 1977, als ihn sein Neffe Werner Ehrlich nach 15 Jahren zum ersten Mal wieder sah, war Ehrlichs Begeisterung für den sozialistischen Staat erloschen. Werner Ehrlich Zu meines Vaters Begräbnis, da saßen wir im "Elefant" in Weimar, das war damals das teuerste Hotel im Umkreis von 100 Kilometern, da hat er sich so lustig über die DDR-Regierung gemacht, dass die Kellner nur noch rein kamen mit einem Tablett mit Sekt, hinstellten, das Tablett auf den Tisch und wieder raus rannten. Die wollten nicht Zeuge sein dessen, wie er sich lustig machte über die DDR. Sprecher: Als Architekt kassierte Franz Ehrlich stets Spitzenhonorare, und am florierenden Export der Möbelserie 602 war er jahrzehntelang mit ordentlichen Tantiemen beteiligt. Sprecherin: Ehrlichs Inneneinrichtungen haben inzwischen Museumsrang, erklärt Wolfgang Thöner, Leiter der Sammlungen am Bauhaus in Dessau. Wolfgang Thöner Möbel, beginnend mit den 30er Jahren, das sind dann Möbel, die man gemeinhin nicht mit dem Bauhaus in Zusammenhang bringt. Das sind Möbel, die er gemacht hat, die ersten, wie er im KZ Buchenwald war. ... Das sind Original-Möbel, die er durch seinen besonderen Status, nachdem er nicht mehr Häftling war, sondern arbeitsverpflichtet, die konnte er rausholen, die haben wir jetzt. Sprecher: Sein Leben lang umgab sich Franz Ehrlich mit diesen Prototypen, die für seine politischen Verstrickungen ebenso stehen wie für seine künstlerische Meisterschaft. Sprecherin: Neben einigen Möbelstücken, die eher an Bauernmöbel oder Biedermeier erinnern, entwarf Ehrlich selbst für die SS-Offiziere filigrane Sitzmöbel nach Bauhausart und später in der DDR auch feingliedrige Stahlrohrkonstruktionen. Sprecher: Die wenigen Fotos, die es von ihm gibt, zeigen ihn auf seinen Stühlen. Lächelnd, zeichnend: Groß gedachte Architektur. Und - Kunst. Wolfgang Thöner Wir haben hier so eine Zeichnung, 30 mal 40 Zentimeter im Passepartout mit Bleistift und Tusche gezeichnet, auch laviert, also abgestuft, fast wie ein Aquarell, aber nur schwarz-weiß, eine Landschaft, mit Sicherheit die große Chinesische Mauer, das hat er wirklich in China vor Ort gezeichnet, das sind zig Blätter, .ein bisschen wie ein chinesischer Zeichner, ... er hat sich also wirklich in diese Formenwelt eingefunden. Er hat also nicht gesagt, ich bin der Moderne, ich weiß alles besser, Regionales interessiert mich nicht, nein das war ihm auch immer wichtig, dass die Moderne auch Regionales aufnehmen sollte. Sprecher: Als Maler würdigte das DDR-Fernsehen den 73jährigen Ehrlich. 1980 durfte er in einem Kulturmagazin seine "Blätter aus der Haft" zeigen, die er als junger Gefängnisinsasse zwischen 1934 und 37 in Waldheim und Zwickau gemalt hatte. Franz Ehrlich Um mich zu äußern, mit diesen Aquarellen aus dem Zuchthaus. Da ist ein Galgen und an dem Galgen ist der Anker aufgehangen. Nicht, das eigentlich sagt genug, ohne das man mich belangen kann. Sprecherin: Der Fernsehbeitrag war Teil einer Serie zum Bauhaus, das die SED Ende der 70er Jahre zum sozialistischen Erbe und zu einem der Vorläufer ihres Wohnungsbauprogramms erklärt hatte. Sprecher: Doch kaum ein Bauhäusler eignete sich weniger für diese Propaganda-Kampagne als ausgerechnet Franz Ehrlich. Er gehörte zu den schärfsten Kritikern der Plattenbauten. Wolfgang Thöner Das begann in den 50er Jahren, da hat Franz Ehrlich schon Gegenentwürfe gemacht. Er hat ein eigenes Modul-System entwickelt und er hat es sogar geschafft, einmal ein Artikel im Neuen Deutschland zu platzieren, wo er behauptet, mit seinem Planungs-System eine größere Variabilität zu schaffen, also eine größere ästhetische Vielfalt und Qualität der Wohnungen, trotzdem industriell hergestellt und trotzdem billiger. Sprecherin: Ob sein System jemals geprüft oder nur als lästig abgetan wurde, ist unbekannt. Sprecher: Franz Ehrlich starb am 28.November 1984. Er lebte auf seine alten Tage längst in einer Welt, in der das Urteil anderer keine Rolle mehr spielte. Wolfgang Thöner Das war eine der letzten Sachen, Anfang der 80er Jahre wurde die Opera de Bastille in Paris als internationaler Wettbewerb ausgeschrieben und da hat er auch Entwürfe zu gemacht. Ich weiß nicht, ... ob er das wirklich nach Frankreich geschickt hat damals, ... das war 83, ein Jahr vor seinem Tod, ... ich glaube eher nicht. Absage Buchenwald und Baudenkmäler Die fantastische Karriere des Architekten Franz Ehrlich Ein Feature von Regina Kusch und Andreas Beckmann Es sprachen: Valentin Stroh, Katharina Schmalenberg, Guido Lambrecht und Joachim Aich Ton und Technik: Ernst Hartmann und Anna D´hein Regie: Cladia Kattaneck Redaktion: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2014 35