Bauchtanz und Menopause

Carolin Genreith im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 16.06.2013
Ihre Mutter trennt sich nach 29 Jahren von ihrem Vater, erlebt den zweiten Frühling - und beginnt mit dem Bauchtanz: Das war der Filmemacherin Carolin Genreith zuerst total peinlich. Bis sie zum ersten Mal bei der Probe dabei war - und sich dann sogar entschied, einen Film darüber zu machen.
Liane von Billerbeck: Und über diese Bekloppten, wie der Vater sie nannte, wollen wir jetzt mit Carolin Genreith reden, der Tochter und Regisseurin des Films "Die mit dem Bauch tanzen", ich grüße Sie!

Carolin Genreith: Hallo!

von Billerbeck: Wann war es denn, dass Sie das erste Mal mitgekriegt haben, meine Mutter macht Bauchtanz?

Genreith: Meine Mutter hat mir das am Telefon erzählt, vor drei Jahren ungefähr. Und dann bin ich auch relativ kurz danach, war ich da, in der Eifel, habe ich Heimaturlaub gemacht, und dann hat sie mich auch mit zu dieser Bauchtanzprobe geschleppt. Und ich wollte da echt nicht hin, also, ich hatte da so ein bisschen Angst davor, ich hatte Angst davor, dass ich das peinlich oder blöd finde, ihre Freundinnen …

von Billerbeck: Fremdschämen!

Genreith: Ja, total! Und dann bin ich aber mitgegangen und fand es dann echt total toll und da entstand auch diese Idee, einen Film über diese Frauen zu machen, wirklich aus dem Bauch heraus bei der ersten Probe. Das war sehr schön!

von Billerbeck: Aus dem Bauch heraus, das ist jetzt passend!

Genreith: Ja.

von Billerbeck: Gab es nicht einen Moment in dieser Probe, wo Sie gedacht haben, hm, na ja, so toll sehen sie ja nicht mehr aus und da ist ja auch alles nicht mehr ganz so fest, das Fleisch?

Genreith: Ja, klar. Also, da sieht nicht mehr alles aus wie bei einer 20-Jährigen oder so. Aber das ist eigentlich völlig egal. Weil wenn die tanzen, die haben so eine tolle Energie und die strahlen wirklich von innen heraus, man guckt echt nicht mehr auf irgendwelche Falten oder Hautlappen oder Hängebrüste oder so, also, das guckt man gar nicht an. Also, ich auf jeden Fall nicht. Ich weiß nicht, wie es jemand anders geht, aber mir ging es so, ich habe das überhaupt nicht mehr gesehen, ich habe wirklich einfach nur noch diese schönen, strahlenden Frauen gesehen, die sich einfach in ihren Körpern wahnsinnig wohl gefühlt haben, und das hat mir total imponiert.

von Billerbeck: Hängebrüste habe ich in Ihrem ganzen Film nicht gesehen! Der Film fängt ja an mit Kühen, die man auf der Wiese sieht, und dazu gibt es orientalische Musik, und dann kommt diese Reihe von Bauchtänzerinnen, die da also so ins Bild tanzen. Und man denkt erst, es sind ganz junge Frauen, weil die eben so strahlen. Nun hat Ihre Mutter, die eine Hauptrolle spielt, also neben zwei anderen Frauen aus der Bauchtanzgruppe, die hat nach 29 Jahren Ihren Vater verlassen. Davon erzählen Sie auch im Film und zeigen auf den neuen Typen, wie Sie ihn nennen, einen Mann mit Pferdeschwanz, also richtig das Klischee erfüllt, mit dem sie zusammen ist. War auch daran der Bauchtanz schuld?

Genreith: Nein, der Bauchtanz gehört quasi zu dem zweiten Leben eigentlich. Also, den hat sie angefangen, nachdem sie sich von meinem Vater getrennt hat. Das ist eigentlich, ja, bei ihr sehe ich es so ein bisschen als Metapher, eigentlich ist es so das Bild für mich für ihr neues Leben. Also diese Freiheit, wo sie sich selber noch mal viel mehr Zeit für sich nimmt und was macht, was ihr gut tut, was mit ihren eigenen Freundinnen macht und sich einfach ganz, ganz viel Zeit für sich nimmt und eigentlich nur noch das macht, was sie wirklich mag.

von Billerbeck: Es gibt in dem Film so ganz wunderbare Szenen, die wird vermutlich niemand vergessen, der ihn dann sieht: Da gibt es eine Szene, wie Ihre Mutter erzählt, dass man ihr beim Einkauf so ein Schächtelchen mitgegeben hat, und weil sie zu eitel war, ihre Brille aufzusetzen, hat sie gar nicht mitgekriegt, was das ist. Und zu Hause hat sie dann nachgeguckt und da war es Antifaltencreme. Und dann sagt sie: Frechheit, ich habe sie natürlich sofort weggeschmissen! Was sagt Ihnen das?

Genreith: Na ja, also, damit geht ja einher, dass sie wirklich einfach totales Selbstbewusstsein hat, dass sie, glaube ich, auch heute viel selbstbewusster ist, als sie mit 28, also so alt, wie ich jetzt bin, war. Das sagt sie auch im Film. Und letztendlich ist es ihr eigentlich völlig egal, ob sie Faltencreme geschenkt kriegt oder nicht, weil es ihr einfach gut geht gerade. Und dann ist egal, also, das ist völlig egal, ob jemand meint, er müsse ihr Antifaltencreme schenken oder nicht.

von Billerbeck: Ihr Film, die Geschichte Ihres Films erzählt zwar von diesen Frauen, die wie Ihre Mutter dieses Hobby, diesen Bauchtanz haben, aber er erzählt eigentlich viel mehr, er erzählt vom Älterwerden und wie man, genauer: frau, damit umgeht. Sie haben es ja schon geschildert, nicht die Mutter und ihre Freundinnen jenseits der 50 haben damit ein Problem, sondern Sie, die Tochter, die noch nicht mal 30 ist! Warum?

Genreith: Ja, das werde ich ja in diesen Tagen häufiger gefragt, warum. Also, mir geht es jetzt auch schon ein bisschen besser, aber in der Zeit …

von Billerbeck: Ach, das ist ja beruhigend!

Genreith: In der Zeit, wo ich diesen Film gemacht habe oder die Idee dafür hatte, ging es mir wirklich schlecht und ich bin sehr … Ich bin ziemlich viel rumgeschwommen in diesem Meer an Optionen, das ich eigentlich hatte oder auch habe, und ich wusste eigentlich gar nicht so richtig, wohin. Ich wusste, ich will Filme machen, ich wusste aber eigentlich gar nicht, in welcher Stadt ich leben will, weil in Berlin war ich auch irgendwie nicht glücklich oder bin ich auch häufiger nicht glücklich. Und ich habe mich einfach relativ orientierungslos gefühlt. Und in der Zeit dann auf Frauen zu treffen, die doppelt so alt sind wie ich und wo ich das Gefühl habe, die wissen genau, was sie wollen, und die sind viel straighter und viel klarer als ich, weil sie aber auch vielleicht nicht mehr so viele Möglichkeiten haben oder weil sie sich auch nicht mehr für alles entscheiden müssen oder weil sie das Bewusstsein dafür haben, dass nicht jede Entscheidung, die sie treffen, für immer ist. Und ich denke immer, alles, was ich jetzt entscheide, ist für immer, und setze mich damit total unter Druck und mache mir eine Riesenliste mit Sachen, die ich machen will, bevor ich 30 bin, und das ist gar nicht zu schaffen!

von Billerbeck: Ich kann Sie beruhigen, das ist nicht so.

Genreith: Ja, danke.

von Billerbeck: Man hat ja den Eindruck, dass das, was andere so kurz vor dem Tod noch mal machen …

Genreith: Oh Gott!

von Billerbeck: Ja, das ist wirklich so, das kennt man ja von vielen alten Leuten, die, obwohl sie möglicherweise ein Hassgefühl auf ihr Heimatdorf, auf ihren Heimatort oder die Stadt haben, dann kurz vor dem Tod doch noch mal zurückkehren wollen. Und Sie machen das nun, kurz bevor Sie 30 werden, und man hat den Eindruck, ein altes Kind, das jetzt damit konfrontiert ist, dass die bauchtanzende Mutter und deren Freundinnen eigentlich viel jünger sind. Das muss doch ein ziemlich doofes Gefühl sein?

Genreith: Ja, das ist auch erst mal ein doofes Gefühl. Also, mich macht es wütend auf mich selber, weil ich so denke, warum habe ich eigentlich dieses Problem oder warum habe ich so viele Probleme und warum kann ich nicht einfach so leicht sein und den Moment so genießen wie die? Das ist natürlich erst mal schade. Aber das bin ich wahrscheinlich auch ein bisschen und werde ich vielleicht auch noch länger sein und meine Mutter war es auch, als sie so alt war wie ich. Deswegen habe ich Hoffnung, dass es besser wird!

von Billerbeck: Die ganze Geschichte der Mutter und ihrer Freundinnen, die Bauchtanz machen, spielt ja in der Eifel. Sie haben es schon erwähnt. Die Eifel kennt jeder inzwischen, spätestens seit den berühmten Eifel-Krimis, und Ausdrücke wie "Nee, ne!", da weiß jeder, was gemeint ist. Auch Ihr Film über diese Mütter und die Freundinnen spielt dort. Welche Rolle spielt die Eifel, spielt diese Heimat, spielt dieses Dorf?

Genreith: Also, die Eifel ist ja eigentlich erst relativ spät zu meiner Heimat geworden, muss ich sagen, ich wollte ja immer da weg. Ich wollte mich, glaube ich, so ein bisschen zur Großstädterin erziehen dann irgendwann und Abstand davon nehmen. Und dann bin ich zurückgekommen und habe gemerkt, dass diese Stagnation, dieses immer Gleiche totale Ruhe in ein Leben bringen kann. Und ich glaube, dass diese Ruhe, die aus dieser Umgebung, aus der Natur, aus der Eifel kommt, sich auch auf die Leben der Frauen und vor allem meiner Mutter, wenn ich das jetzt so sagen kann, dass sich das irgendwie überträgt. Und dass man vielleicht auch auf dem Land, im Dorf, sage ich jetzt einfach mal so, vielleicht auch ein bisschen glücklicher sein kann als in der Stadt, auf jeden Fall mit mehr Ruhe leben kann. Ich könnte trotzdem nicht. Noch nicht.

von Billerbeck: Ah, noch nicht, da war der Einschub, noch nicht! Aber die Frauen um Ihre Mutter, die können das. Und da ich den Film, den Sie über sie gedreht haben, ja gesehen habe, habe ich auch gesehen, wie diese Gruppe seit Jahren immer einmal im Jahr nach Paris fährt und dort einfach auf der Straße auftritt und Bauchtanz macht. Das ist ja mutig! Sie sind mitgefahren und in der Gruppe ist auch eine Tochter dabei, die auch das Hobby ihrer Mutter teilt. Geben Sie es zu, Frau Genreith, sind Sie inzwischen auch Bauchtänzerin?

Genreith: Nein! Anna, die Tochter von Marita, die macht das total toll, die macht das seit Jahren und die sieht wunderschön aus dabei und kann das auch total gut. Ich kann es leider nicht so gut, ich würde gerne …

von Billerbeck: Ach, kann man üben!

Genreith: Ja, ich weiß nicht, aber mich da ausziehen, ich bin, glaube ich, noch nicht so weit, ich brauche noch ein paar Jahre!

von Billerbeck: Carolin Genreith war das, Regisseurin des Films "Die mit dem Bauch tanzen". Auf der Berlinale hat er Premiere gehabt und jetzt ist er im Kino. Danke Ihnen!

Genreith: Danke Ihnen!


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