Baubeginn für Jüdische Akademie

Ein Ort des Austauschs und der Verständigung

08:58 Minuten
Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland (li.) und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU, Mitte) beim symbolischen Spatenstich zum Baubeginn der Jüdischen Akademie. Beide schaufeln mit einem Spaten einen Haufen Erde hinweg.
Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland (li.) und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU, Mitte) beim Spatenstich zum Baubeginn der Jüdischen Akademie. © picture alliance / dpa / Boris Roessler
Doron Kiesel im Gespräch mit Marietta Schwarz · 03.09.2021
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In Frankfurt soll 2024 eine Jüdische Akademie eröffnen und zum intellektuellen Mittelpunkt des jüdischen Lebens in Deutschland werden. Der künftige Co-Leiter Doron Kiesel hofft, dass die Akademie ein Ort der fruchtbaren Begegnung wird.
Mit einem symbolischen Spatenstich haben die Bauarbeiten zur Jüdischen Akademie in Frankfurt am Main begonnen. In der Tradition des Freien Jüdischen Lehrhauses, das es vor knapp 100 Jahren in der Stadt gab, soll ein Ort entstehen, in dem öffentliche Diskurse aufgegriffen und um jüdische Perspektiven bereichert werden, so der Zentralrat der Juden in Deutschland. Die Akademie soll dazu beitragen, die Akzeptanz für religiöse und kulturelle Pluralität in Deutschland zu erhöhen.
Sabena Donath, Leiterin der Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden, und Doron Kiesel, Professor für Erziehungswissenschaften werden die Doppelspitze bilden. Mit der Akademie soll ein Ort der Begegnung entstehen, in dem Wissenschaft gedacht, produziert und ausgetauscht werden soll, sagt Kiesel.

Verschiedene jüdische Identitäten zusammenbringen

Die heutige jüdische Community lasse sich nicht vergleichen mit dem deutschen Judentum vor 1933. "Wir haben es heute mit einer Gemeinschaft zu tun, die sich aus sehr unterschiedlichen Teilgruppen zusammensetzt." Den Grundstock aber bildeten die KZ-Überlebenden und ihre Nachfahren.
Nach 1989 seien dann etwa 200.000 Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion eingewandert. Damit habe ein großes Interesse an Verständigung und Vergewisserung jüdischen Lebens in einer modernen Gesellschaft eingesetzt.
"Diese große Einwanderung hat das Aussehen, den Kontext, die Erfahrungen und das Leben in den Gemeinden verändert." Ziel der Akademie sei es einerseits, diese Gruppen zusammenzuführen, "um gemeinsam darüber nachzudenken, was für das Judentum heute als identitätsstiftende Religion, Kultur und Sozialerfahrung wichtig ist, um hier in Deutschland jüdische Stimmen verlauten zu lassen".

Jüdische Erfahrungen in die Öffentlichkeit hineintragen

Darüber hinaus soll aber auch die nichtjüdische Öffentlichkeit angesprochen werden und ein Beitrag zur interreligiösen und interkulturellen Auseinandersetzung in Deutschland geleistet werden, sagt Kiesel:
"Die Akademie möchte Teile des öffentlichen Diskurses widerspiegeln, beeinflussen und vorantreiben und jüdisches Wissen, Denken und Erfahrungen in die Öffentlichkeit hineintragen, damit Jüdinnen und Juden nicht weiterhin als Exoten oder als Opfer oder nur als zufällige Begegnung wahrgenommen werden. Es geht darum, wie man mit Unterschieden umgeht, ohne die jeweils andere Seite zu desavouieren oder zu diffamieren."
Dabei werde natürlich auch der Antisemitismus ein Aspekt sein, sagt Kiesel. Aber das sei nicht das einzige und nicht das zentrale Thema.
"Wir greifen etwas auf, was untergegangen ist, nämlich jüdische Philosophie, jüdische Literatur, jüdische kulturelle Beiträge, die sehr prägend für das deutsche Judentum und für die deutsche Kultur bis 1933 gewesen sind. Das Gleiche gilt für die kulturellen Produkte des sowjetischen Judentums, also der russischsprachigen Juden, und für israelische Kultur, Literatur und Geschichte. Es gibt so vieles, was hier in Deutschland nicht bekannt ist, das aber gleichsam das Umfeld jüdischer Existenz ausmacht und erkennbar macht und für beide Seiten fruchtbar sein kann."
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