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Kritik an Erdogans Autokraten-Weg

Bundeskanzlerin Angela Merkel reist morgen in die Türkei und will auch mit Präsident Erdogan zusammenkommen. Nach der Aufhebung der Immunität zahlreicher türkischer Abgeordneter forderten deutsche Politiker die Kanzlerin auf, sich deutlich zu äußern.

Von Stefan Maas | 21.05.2016
    Der Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, während einer Rede am 19.4.2016 in Ankara, sprechend, mit den Händen gestikulierend.
    Die Bundeskanzlerin wird auch die zunehmende innenpolitische Polarisierung in der Türkei thematisieren, versicherte der Regierungssprecher. (ADEM ALTAN /AFP)
    Der türkische Staatspräsident Erdogan selbst sprach gestern von einer historischen Abstimmung, nachdem das Parlament in Ankara mit Zweidrittelmehrheit beschlossen hatte, die Immunität von mehr als einem Viertel seiner Mitglieder aufzuheben. Politiker aus der Europäischen Union hingegen zeigten sich besorgt über die Entwicklung in der Türkei. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz verurteilte die Entscheidung als schweren Schlag gegen die Demokratie.
    Die Aufhebung der Immunität betrifft zwar Abgeordnete mehrerer Parteien, richtet sich aber besonders gegen die Abgeordneten der prokurdischen HDP. Erdogan sieht die Partei als verlängerten Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK im Parlament. Was die Aufhebung ihrer Immunität für sie bedeuten könnte, erklärte die HDP-Abgeordnete Feleknas Uca im Deutschlandfunk.
    "Jetzt passiert, dass es offiziell in der Zeitung veröffentlicht wird, der Beschluss, die Abstimmung, und dann geht es an die Staatsanwaltschaft, und innerhalb von 14 Tagen werden wir dann vernommen werden. Kann passieren, dass wir festgenommen werden, kann sein, dass die Verfahren eingestellt werden, kann aber auch passieren, dass verurteilt wird. Und wenn eine Verurteilung stattfindet, dann verliert man automatisch das Mandat im Parlament."
    Ihr werde vorgeworfen, sagte sie: "Allein an einer Demonstration teilgenommen zu haben, bedeutet für mich, Propaganda für eine terroristische Organisation gemacht zu haben."
    Regierungssprecher Steffen Seibert hatte gestern in Berlin erklärt, die Bundesregierung sei besorgt über die zunehmende innenpolitische Polarisierung in der Türkei:
    "Für die innere Stabilität jeder Demokratie ist es wichtig, dass alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen auch parlamentarisch vertreten sind."
    Bundeskanzlerin Angela Merkel werde das Thema bei ihrem Treffen mit dem türkischen Präsidenten am kommenden Montag ansprechen. Merkel reist am Sonntag nach Istanbul, um dort an einem UN-Nothilfegipfel teilzunehmen. Für morgen Abend sind Treffen mit zivilgesellschaftlichen Gruppen geplant. Sevim Dagdelen, die für die Linkspartei im Bundestag sitzt, sagte Deutschlandradio Kultur, auch die Zivilgesellschaft werde in der Türkei eingeschüchtert.
    Keine weiteren Zugeständnisse an Erdogan
    "Wer sich kritisch äußert, dessen Leben wird kaputt gemacht, mit Verfahren überzogen, es gab 2.000 Beleidigungsklagen wegen des Präsidenten, die Zivilgesellschaft wird unterdrückt, sie fühlt sich von Europa auch im Stich gelassen."
    Die Linkenpolitikerin warf der EU vor, sich zu devot gegenüber der Türkei zu verhalten. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner warnte die Bundeskanzlerin davor, in Ankara weitere Zugeständnisse an die türkische Staatsführung zu machen. Lindner sagte der Deutschen Presseagentur, Merkel habe sich mit dem Flüchtlingsdeal in die Abhängigkeit von Erdogan begeben. Die Aufhebung der Immunität grenze an einen Staatsstreich, der Beitrittsprozess der Türkei zur EU sei unter diesen Vorzeichen sinnlos und sollte abgebrochen werden.
    Das Nachrichtenmagazin "Spiegel" berichtet unter Berufung auf mehrere europäische Regierungen, dass die Türkei im Rahmen des Flüchtlingsabkommens hochqualifizierte Syrer nicht in die EU einreisen lasse. Stattdessen wähle die Türkei auffallend viele Härtefälle aus. In dem Bericht heißt es, die EU habe der Türkei bei dem Auswahlverfahren Sonderrechte eingeräumt, die international unüblich seien. Im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsabkommen geht es auch um die visafreie Einreise für türkische Staatsbürger in die EU. Bei diesem Thema haben die EU-Innenminister gestern in Brüssel beschlossen, die Visafreiheit bei Missbrauch leichter wieder einschränken zu können. Bundesinnenminister Thomas de Maizière machte aber deutlich, dies ziele nicht allein auf Ankara. Noch muss das EU-Parlament der Neuregelung ebenfalls zustimmen.