Bau von Krankenhäusern

Wie Architektur beim Heilen helfen kann

08:39 Minuten
Außenansicht der Uniklinik RWTH in Aachen
Riesenmaschine: Krankenhäuser wie die Uniklinik RWTH in Aachen stehen nach Überzeugung der Architekturpsychologin Tanja Vollmer nicht für die Zukunft. © imago / Joko
Tanja Vollmer im Gespräch mit Ute Welty · 25.09.2020
Audio herunterladen
Bettenburgen, triste Aussichten, Enge: Wer ins Krankenhaus kommt, findet sich oft in deprimierender Umgebung wieder. Das wirkt sich auf den Heilungsprozess aus, weiß die Architekturpsychologin Tanja Vollmer. Sie sagt, wie es anders geht.
Ute Welty: Das Klinikum in Aachen ist berühmt für seine Medizin. Das Klinikum in Aachen ist aber auch berüchtigt für seine Architektur: zu groß, zu technisch, zu unübersichtlich. Angeblich soll sich mal eine ältere Dame im Kellergeschoss verirrt haben und ist erst nach zwei Tagen gefunden worden. Ob Krankenhausarchitektur krank macht, untersucht Tanja Vollmer. Nach wie vor ist sie die erste und einzige deutsche Professorin für Architekturpsychologie an der TU in München. Die Diplom-Biologin und Psychologin hat aus gutem Grund begonnen, sich mit Architektur zu beschäftigen.
Tanja Vollmer: Das ist vielleicht erst mal eine ganz ungewöhnliche Biografie, aber ich habe als Psychologin vor allen Dingen – das ist ja mein Zweitstudium – in der klinischen Psychologie mit Schwerstkranken gearbeitet und im Zuge meiner Arbeit mit diesen Patienten sehr häufig gehört, dass sie berichten, ich bin in ein tiefes, schwarzes Loch gefallen oder ich stehe vor einer Mauer, ich habe keine Perspektive, also lauter Ausdrücke, wie wir aus dem Raum, aus der Raumwahrnehmung, aus der Umweltpsychologie kennen, und das hat mich neugierig gemacht. Dann bin ich immer tiefer eingestiegen in diese Materie.

Architekten müssen die Bedürfnisse der Menschen kennen

Welty: Offenbar hat Sie ja auch die Studie eines Kollegen angetrieben. Da geht es um den Blick aus dem Fenster, und um es pauschal zu sagen: Je mehr Grün beim Blick aus dem Fenster, umso weniger Medikamente und umso besser die Heilungsaussichten. Braucht es tatsächlich eine Studie, um Menschenverstand zu beweisen?
Vollmer: Das ist ja die häufige Kritik an der Studie und an uns Wissenschaftlern, dass man uns nachsagt, na, das haben wir doch schon lange gewusst. Aber was wir wissen, ist häufig intuitives Wissen und gilt nicht für die Allgemeinheit. Wir haben ja gerade im öffentlichen Krankenhausbau zum Beispiel die Verantwortung, mit Geldern auch verantwortlich umzugehen. Das heißt, je mehr wissenschaftliche Beweise wir dafür haben, dass Umgebung etwas bringt für Gesundheit und Wohlbefinden, desto mehr steigen wir auch ein in die Ideen, finanzieren diese Ideen und helfen uns, die Umwelt besser zu gestalten.
Welty: Was macht denn die Wechselwirkung zwischen Umfeld, Gebäude und Wohlbefinden tatsächlich aus? Welche Synapsen müssen da verknüpft sein?
Vollmer: Vor allen Dingen geht es da um etwas, was wir bedürfnisorientierte Architektur nennen, das heißt, wir müssen als Architekten erst mal lernen, die Menschen und ihre tiefsten Bedürfnisse kennenzulernen, denn die stehen, was wir jetzt mehr und mehr merken, im Zusammenhang mit der gebauten Umwelt. Ich will ein Beispiel nennen: Jemand, der nicht ausreichend Privatheit hat, der wird eines Tages sich so sehr in Vereinsamung und Rückzug, die er ständig sucht, wiederfinden, dass er dadurch krank werden kann. Das belegen bereits Studien. Jemand, der zu viel Privatheit hat, der wird an sogenannter Verfremdung leiden und irgendwann Amok laufen.
Welty: Und welche Folgen muss das haben aus Ihrer Ansicht im Hinblick auf künftige Krankenhausbauten? Sie haben ja auch ein Exempel statuiert mit der Kinderklinik in Freiburg.
Vollmer: Das ist richtig. Wir würden uns wünschen, dass dieses sogenannte Evidence-based Design, dieser Ansatz, mehr Einzug findet in die Krankenhäuser und wir dann Umwelten schaffen können, die auf diese Wirkungsbeweise eingehen. In der Freiburger Kinderklinik haben wir zum Beispiel einen Anti-Warteraum geschaffen. Das ist unsere Kampfansage daran, bewegungslos und berührungslos und spaßlos im Wartezimmer zu sitzen, vor allen Dingen als Kinder, die darunter eben messbar leiden und Ängste haben, bei den Arztbesuchen immer ängstlich sind und auch Medikamente nicht mehr so gut vertragen.

Im Anti-Wartezimmer wird gespielt, bis der Arzt kommt

Welty: Und sich vor allen Dingen unfassbar langweilen.
Vollmer: Das außerdem, genau. Und bei uns im Anti-Warteraum in Freiburg wird gespielt, getobt, gelacht, bis der Arzt kommt.
Welty: Aber unterscheiden sich die Bedürfnisse von Kranken im Krankenhaus eigentlich von denen, die dort arbeiten?
Vollmer: Absolut, das wird leider noch viel zu häufig vergessen. Es gibt zwei wichtige Effekte: Der erste ist Raumanthropodysmorphie, so nennen wir das. Wenn Menschen schwer erkranken, verändert sich ihre Raumwahrnehmung. Das heißt, wir müssen auf Kranke, Schwerkranke ganz speziell eingehen.
Welty: Was passiert denn da mit der Raumwahrnehmung?
Vollmer: Zum Beispiel haben wir in über 500 Interviews und auch Stressmessungen, wo wir Krebspatienten gefolgt sind – in den Niederlanden und in Deutschland, zuletzt an der Charité –, festgestellt, der Raum wird dunkler, enger und überfüllter. Das heißt, in Umgebungen, wo eigentlich für den Gesunden ein angenehmes Klima herrscht, angenehme Lichtintensität und auch nicht so viele Menschen sind – was wir ja jetzt mit Corona hin und wieder dann auch haben –, beklagen die Schwerkranken eben genau diese drei Effekte. Das stresst sie, belastet sie zusätzlich und macht sie eben sichtbar ängstlicher, und auch Nebenwirkungen von Chemotherapien zum Beispiel stellen wir fest.

Mehr Licht, mehr Raum, mehr Weitsicht

Welty: Also mehr Licht, um mit Goethe zu sprechen.
Vollmer: Mehr Licht, mehr Raum, mehr Weitsicht.
Welty: Größe.
Vollmer: Perspektive. Sie merken ja vielleicht in diesem Wort Perspektive, wenn wir doch Menschen mit lebensbedrohlichen Erkrankungen über Architektur Perspektive schaffen könnten, wäre das nicht wunderbar?
Welty: Und diejenigen, die im Krankenhaus arbeiten, was brauchen die?
Vollmer: Genau, das ist der zweite Aspekt. Die werden noch komplett vergessen, obwohl sie ja eigentlich ein Leben lang oder zumindest einen Tag lang dort wohnen fast, die engagierten Mediziner und Pflegenden unter uns. Die brauchen vor allen Dingen Pausenräume – also alle Pausenräume wurden wegrationalisiert in letzter Zeit. Es gibt Arbeitswelten, in denen man Mediziner zusammenpfercht – entschuldigen Sie den Ausdruck …
Welty: Und in den Keller steckt.
Vollmer: Und in den Keller steckt, das ist dann noch das Allerschlimmste, dass sie den Morgen, wenn sie in die Klinik kommen, auch noch einen Weg bergab nehmen müssen. Ich meine, das drückt messbar auf die Stimmung, das wissen wir in der Psychologie schon seit hundert Jahren. Wenn wir eine Treppe runtergehen, fühlen wir uns schlechter, als wenn wir eine raufgehen – geistig, körperlich ist es vielleicht andersrum.

Patienten fühlen sich in Riesenmaschinen verloren

Welty: In Corona-Zeiten, Sie haben es gerade schon angesprochen, ist manches Notkrankenhaus geplant, gebaut und dann auch wieder abgebaut worden. Inwieweit können wir denn jetzt die Chance nutzen, um nicht nur Betten unterzubringen?
Vollmer: Ja, es wäre ein wundervoller Ansatz, wenn wir jetzt daraus lernen würden auch für die Krankenhausumgebung. Wir wissen ja schon längst, dass die Krankenhäuser, wie wir sie jetzt haben, irgendwann aussterben werden. Das sind unbewegliche Riesen, Riesenmaschinen, in denen sich Patienten sowieso verloren fühlen nach allen Berichten, die wir immer wieder abnehmen, und etwas schaffen, was wir dezentralisierte Krankenhäuser nennen, also mehrere kleine Notfallstationen, wo man schnell behandelt werden kann, und dann wirklich Pflegeeinheiten, die müssen ganz andere Atmosphären kriegen, so was wie Heilstätten, was wir vielleicht aus der Antike früher kennen.
Welty: Wie sieht das denn aus im Jahr 2020?
Vollmer: Vielleicht so, wie wir es jetzt versucht haben in einer Schweizer Klinik, in der Klinik Arlesheim, umzusetzen. Das sähe so aus, dass man nicht erschlagen wird von hochgeschossigen Gebäuden, die kein menschliches Maß haben und uns sagen, deine Krankheit ist willkommen, du aber nicht, du bist hier nur eine Nummer, sondern die kommunizieren über Kleingeschossigkeit, über ganz viel Tageslicht, über gute Orientierung, du bist uns hier wichtig als Mensch.
Welty: Welche Möglichkeiten sehen Sie angesichts von Corona, auch andere Räume umzugestalten, denn es geht ja auch um den öffentlichen Raum, um Plätze, Straßen, Veranstaltungstreffen et cetera.
Vollmer: Wir sehen ja jetzt schon, wie in Städten sich viele Restaurants und andere Betreiber von irgendwelchen Unterhaltungsmöglichkeiten vor allen Dingen die Verkehrsräume zurückerobern, die unser Auto, über das ja viele klagen in den Städten, viele Jahre jetzt ja erobert hatte, was uns die Luft verpestet. Dort stehen plötzlich in den Parklücken Tische, es entstehen kleine Pop-up-Nischen. Vor allen Dingen hier in Berlin ist es lustig, ganze Bewohnerbezirke gestalten das dann nach ihrem Geschmack und erobern so die Stadt zurück für Freiräume, damit wir uns dort bewegen können an frischer Luft. Das finde ich eine ganz tolle Entwicklung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema