Banales für Esoterikfreaks

Rezensiert von Knut Berner · 06.01.2013
Für die Wissenschaft ist Klaus-Rüdiger Mais Werk bedeutungslos, dennoch erfährt man etwas über den Einfluss archaischer auf monotheistische Religionen. Er will herausarbeiten, was den Religionen gemeinsam ist - ist aber nicht frei von normativen Anschauungen.
Es sei das Beste an der Religion, dass sie Ketzer hervorrufe - dieses Diktum des Philosophen Ernst Bloch könnte auch als Motto über diesem Buch stehen.

In ihm wird die These aufgestellt, Elemente archaischer Religionen und uralter Kulte wären durch die offiziellen monotheistischen Religionen zugleich unterdrückt und adaptiert worden, so dass sie in ihnen unterschwellig weiterleben und bis heute das Handeln und die Weltvorstellungen der Menschen prägen. Totgesagte leben länger.

Nun ist es keine originelle Einsicht, dass etwa im Weihnachts- oder Osterfest noch Reste heidnischer Anschauungen erhalten geblieben sind und dass es Menschen gibt, die ihr Leben nach dem Horoskop ausrichten. Die Frage ist vielmehr, aus welchen theologischen Gründen solche naturreligiösen Vorstellungen abgelehnt oder transformiert wurden und nach welchen Kriterien heute zwischen Glauben und Aberglauben unterschieden werden muss.

Klaus-Rüdiger Mai betreibt jedoch keine Religionskritik, sondern adelt den Synkretismus. Er will herausarbeiten, was den Religionen gemeinsam ist und intendiert eine rein historische Zugangsweise. Dabei ist er allerdings nicht frei von normativen Anschauungen, begründet sie aber nicht.

Zum einen sei Religion irgendwie Ausdruck von Sinn-, Erlösungs- und Glücksverlangen, zum anderen sei Gott zwar nicht zu definieren, aber über die Wirkungen zugänglich, die er in der Geschichte bei Menschen hinterlassen habe. Und unter diesen beiden Voraussetzungen offeriert der Verfasser Religionsgeschichte als einen Großcocktail, in dem noch die abstrusesten Phänomene als für die Gegenwart bedeutsame Zutaten und als Ausflüsse des Göttlichen Geltung beanspruchen dürfen.

Bei den alten Ägyptern findet er Grundelemente der Mysterienkulte ausgeprägt, die für ihn in allen geheimen Religionen wiederkehren: Die Anschauung vom uranfänglichen und verborgenen Gott, zu dem daher nur Auserwählte und sie wiederum nur über geheime Praktiken Zugang erhalten können. Pagane Germanenkulte, Schamanismus, Muttergottheiten, Mystiker, Sufisten, Kabbalisten oder Geheimbündler sind alle von diesen Merkmalen geprägt und stillen Bedürfnisse, die von den offiziellen Konfessionen nicht erfüllt werden.

Religion handelt also einerseits vom präexistenten 'Geheimniskrämer‘ Gott und wird gefunden von Eliten, die sich den Mysterien auf unorthodoxe Weise zu nähern wissen, andererseits wirkt sich der verborgene und unterdrückte Glaube Klaus-Rüdiger Mai zufolge selbst im areligiösen Menschen unterschwellig aus, wenn man das oft auch nur erahnen kann.

Die Bedeutung von Öffentlichkeit des Glaubens wird dabei marginalisiert zugunsten privativer Zugänge zum Mysterium. Und was wird da nicht alles als geheimnisvoll und für die Allgemeinheit als bedeutsam ausgegeben: Die Zahlen 7 und 12, Naturzyklen, Engel und Osterei, Erhabenheit der Sterne, Granatapfel und Himmelskönigin, der lebensfrohe und lasterhafte Dionysos und selbst der Asket, der uns heutigen ja ach so fremd erscheint:

"Aber wenn wir Naturkatastrophen, Krieg, Mord, Vergewaltigung, Missernte, Atomkatastrophen als Gottes Strafen verstehen, kämen wir dem Denken dieser Welt einen zwar minimalen, aber immerhin einen Schritt näher."

Aha, Vergewaltigung kann also eine Strafe Gottes verstanden werden. Mai, der doch eigentlich historisch vorgehen möchte, flicht immer wieder solche unreflektierten, nicht eben harmlosen Behauptungen in seine Betrachtungen ein und garniert sie dabei mit persönlichen Erfahrungen.

So erscheint ihm sein türkischer Reiseführer plötzlich aufgrund seiner Gestik als beunruhigender Hassprediger und damit als Urbild, nach dem wir uns Religionsstifter und Propheten vorstellen sollen, die allerdings auch aus Liebe handeln können.

Überhaupt belehrt uns der Verfasser gerne mit trivialen Überzeugungen: wir sind alle ein bisschen wie Harry Potter, Leben ist immer zugleich Mordor und Auenland, Maria gilt einerseits als Inbegriff des Christlichen, ist andererseits aber nur Verkörperung der alten Magna Mater, Gott hat irgendetwas in uns gelegt, Mithras hatte ähnliche Moralvorstellungen wie Jesus und die Taufe gab es schon vor dem Christentum, was auch wirklich nachvollziehbar ist, denn:

" ... ist es nicht so, dass wir durch die Reinigung winzig kleine Krankheitserreger wie Mikroben, Bakterien oder Viren abwaschen wollen, die von den Menschen im Altertum Dämonen genannt wurden? Andere Zeiten, andere Namen. Das Übermenschliche an Jesus rührt auch daher, dass in der Vorstellung von ihm viele Propheten und Religionsstifter Platz fanden. Im Grund ist Jesus eine Metapher für ein höchst erfolgreiches Teamwork."

Jesus ist eine Metapher für ein Sammelsurium, so wie alles Religiöse sich für Klaus-Rüdiger Mai dadurch auszeichnet, dass es unpräzise, vage und nur Annäherung an das Numinose, an göttliches Wirken ist, was ihn zu der kühnen Behauptung führt, vor Descartes sei das Denken generell symbolhaft, antirationalistisch und metaphorisch ungenau gewesen, wovon wir heute lernen könnten.

Dass mit der Kategorie Geheimnis ebenso wie mit der Metapherntheorie auch im Sinne der abendländischen Logik operiert werden kann, kommt nicht in den Blick. Lieber schwadroniert der Verfasser über die Bedeutung der Magier, zu denen selbst der arme Leibniz und Newton gezählt werden, und über die Alchemisten, die für den deutlich vom Katholizismus geprägten Autor an der Wiege des Christentums stehen:

"Auch die christlichste Vorstellung von allen, nämlich die Eucharistie, findet sich schon in der Alchemie der alten Ägypter: Im Tempel von Dendera wurde Getreide in Gold umgewandelt, und Gold wiederum war das Symbol für Gott. Denken wir nur einen Moment an das Märchen von Rumpelstilzchen, so entpuppt sich das harmlose Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm als vertrackte geheimreligiöse Botschaft."

Fazit: Klaus-Rüdiger Mais Buch liest sich zwar streckenweise recht spannend, ist aber von seinen Prämissen her fragwürdig, banal und abstrus. Wissenschaftlich ist es bedeutungslos, Esoterikfreaks könnte es gefallen und bestätigen.

Klaus-Rüdiger Mai: "Die geheimen Religionen - Götter, Sterne und Ekstase"
Bastei Lübbe Verlag Köln 2012
Cover: "Die geheimen Religionen: Götter, Sterne und Ekstase" von Klaus-Rüdiger Mai
Cover: "Die geheimen Religionen: Götter, Sterne und Ekstase" von Klaus-Rüdiger Mai© Bastei Lübbe Verlag