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Trainerentlassung in der Bundesliga
Ewig auf dem Schleudersitz

Zuletzt erwischte es Tayfun Korkut beim VfB Stuttgart und Christian Titz beim Zweitligisten Hamburger SV. Trainer in der Fußball-Bundesliga kommen und gehen. Die Halbwertzeit der Männer auf der Trainerbank ist zuletzt immer kürzer geworden. In der Bundesliga gibt es nur eine Ausnahme.

Von Ulli Schäfer | 27.10.2018
    Hamburgs neuer Trainer Christian Titz schaut resigniert während seines ersten Spiels gegen Berlin
    Hamburgs Ex-Trainer Christian Titz wurde am 23. Oktober 2018 von seinem Verein vor die Tür gesetzt (Daniel Reinhardt/dpa)
    "Seit Bestehen der Bundesliga 1963 ist die Trainer-Drehscheibe in Bewegung. Trainer kommen, Trainer gehen. Es begann in der ersten Saison nach drei Monaten mit Herbert Widmayer..."
    Herbert Widmayer: "Bundesligastart - erfolgreich. Krise - weg - alles ausgelöscht, was da gewesen ist – Trainer gegangen!"
    Herbert Widmayer wurde beim 1. FC Nürnberg am 9. Spieltag entlassen. Der Club hatte zuhause 0:5 gegen Kaiserslautern verloren und war in der Tabelle weiter abgerutscht. Fans verbrannten ihre Fahnen und Widmayer wurde beim Verlassen der Kabine bespuckt.
    Meisterschaft, Pokalsieg, das zählt ganz schnell nicht mehr
    "Ich bekam Morddrohbriefe und mein Wagen wurde demoliert ..." und schließlich beugte sich die Vereinsführung dem Willen vieler Fans: "Widmayer gehört doch weg, das ist ja kein Trainer, das ist eine Pflaume!"
    Dabei hatte Herbert Widmayer Nürnberg 1961 zur Meisterschaft geführt und ein Jahr später zum Pokalsieg, aber das zählte nicht mehr.
    "Wenn der Rausch auf den Rängen verfliegt sind Trainer die Alleinschuldigen an Misserfolg und Abstieg" und an diesem Prinzip hat sich bis heute kaum etwas geändert.
    "Es ist einfach so, dass die Klubs, sprich die Präsidien und sicher auch die Manager, einfach viel zu schnell das "hire and fire"-Prinzip anwenden", urteilt Lutz Hangartner, der Präsident des Bundes Deutscher Fußball-Lehrer.
    Fußballtrainer Peter Neururer
    Fußballtrainer und Bundesliga-Urgestein Peter Neururer (dpa / picture alliance / Armin Weigel)
    Ihn stört: "Ja, dass die Trainer im Grunde ausschließlich am Ergebnis beurteilt werden, an der Tabelle beurteilt werden und damit natürlich auch dem Trainer kein nachhaltiges Arbeiten möglich machen. Klubs sind nicht mehr Klubs in der alten Tradition, sondern es sind inzwischen Wirtschaftsunternehmen und die Gefahr, dass da einfach zum Schluss vielleicht ein Abstieg droht, führt eben zu schnell für meine Begriffe zu Überreaktionen."
    "Die Trainer werden von Amateuren beurteilt"
    Einer, der das Geschäft Bundesliga so gut kennt, wie kaum ein anderer, ist Fußball-Lehrer Peter Neururer. Er war unter anderem Trainer auf Schalke, in Köln und Hannover und sieht ein grundsätzliches Problem darin, "dass die Trainer, die Profis, beurteilt werden von Amateuren und da kommen solche Dinge raus, die wir in den letzten Jahren immer wieder erleben mussten."

    Eine Breitseite gegen die Entscheider in Vereinen, denen es seiner Meinung nach nicht selten an sport-fachlicher Kompetenz mangelt. Neururer wurde zuletzt 2014 beim VfL Bochum rausgeworfen - nicht die einzige Entlassung in seiner langen Karriere.

    "Trainer in der Fußball-Bundesliga zu sein, ist eine Traumangelegenheit gar keine Frage, die ab und zu auch mal zum Albtraum werden kann."
    Viele haben diese Erfahrung schon gemacht. Peter Neururer: "Dann musst du da alleine durch und derjenige, der keinen Rückhalt im privaten Bereich hat, der könnte Schwierigeiten bekommen."
    Dieter Hecking am Spielfeldrand
    Dieter Hecking, aktuell Trainer bei Borussia Mönchengladbach (Frank Wappler, dpa picture-alliance)
    Klaus Augenthaler: "Es gibt zwei Dinge im Leben: Irgendwann muss man mal sterben und wenn man Trainer ist, wird man irgendwann entlassen!" und auch Dieter Hecking: "Es ist schon so, wenn du dann entlassen wirst oder aus welchen Gründen auch immer zurücktrittst, ja dass dann schon ein Stück weit die Uhr still steht und du willst dich am liebsten einbuddeln."
    Die Halbwertzeit der Fußball-Lehrer wird immer kürzer
    Aktuell sitzt Dieter Hecking bei Borussia Mönchengladbach fest im Sattel, aber die Stimmungslage kann sich überall schnell ändern. In den letzten zehn Jahren gab es in der Bundesliga pro Saison im Schnitt zehn Trainerwechsel. Die Halbwertzeit der Fußball-Lehrer wird immer kürzer, sagt der Präsident des Bunds Deutscher Fußball-Lehrer Lutz Hangartner und er beruft sich dabei auf eine wissenschaftliche Untersuchung. 2002 blieben Trainer demnach im Schnitt noch drei Jahre, 2012 nur noch 1,2 Jahre.
    "Und wenn man dann schaut in den letzten Jahren, also meine Befürchtung ist eher, dass diese 1,2 Jahre eher noch ein bisschen nach unten revidiert werden müssen, also dass es noch kürzer ist, wenn nicht bestimmte Vereine den Schnitt noch oben halten würden wie jetzt zum Beispiel der SC Freiburg."
    Christian Streich ist dort seit fast sieben Jahren Chef-Trainer und Volker Finke war davor sogar 16 Jahre lang Trainer in Freiburg.
    Lutz Hangartner: "Aber das ist sicherlich die Ausnahme in der Bundesliga!"
    Flüchtlinge aus der Gemeinschaftsunterkunft Efringen-Kirchen sprechen am 29.09.2015 auf dem Sportplatz in Egringen (Baden-Württemberg) im Markgräflerland in Trikots des Bundesliga-Zweitligisten SC Freiburg mit Trainer Christian Streich (r).
    Christian Streich (r.) ist schon seit 2011 als Trainer SC Freiburg aktiv. Eine absolute Ausnahme in der Bundesliga. (picture-alliance / dpa / Patrick Seeger)
    "Im Fußball zählt nur Gewinnen oder Verlieren, der Mensch dahinter zählt gar nicht"
    Im deutschen Spitzenfußball gibt es wohl kaum einen Trainer, der noch nie entlassen oder beurlaubt wurde. Peter Neururer sieht es pragmatisch: "Das ist traurig, aber das ist eben so: Im Fußball zählt nur Gewinnen, Unentschieden oder Verlieren, der Mensch dahinter zählt gar nicht, aber da wir das wissen von vornherein - wir sind nicht genötigt worden den Vertrag zu unterschreiben - gibt es auch kein Beklagen darüber!"
    Und so war es auch bei Herbert Widmayer, der als erster Trainer in der Bundesliga im Oktober 63 beim 1. FC Nürnberg entlassen wurde: "Ich habe viele Enttäuschungen erlebt auch menschlich, aber ich habe immer versucht, die bejahende Haltung nicht zu verlieren."
    Widmayer ging Anfang der 70er als Jugendtrainer zum DFB. Er war danach viele Jahre Präsident des Bunds Deutscher Fußball-Lehrer und hat auch einige spätere Bundesliga-Trainer ausgebildet unter anderem Peter Neururer: "Einer, der geradeaus war, ehrlich war und immer authentisch war. Und das hat er uns mitgegeben."
    Herbert Widmayer: "Sei nett zu Deinen Mitmenschen während deines Aufstiegs. Du könntest sie beim Abstieg wiedertreffen, hahaha!"