Baltikum und EU-Verteidigungspolitik

Warnung vor Schwächung der NATO

Mechaniker hanitieren auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtmesse ILA an einer Schutzhülle mit dem Logo der Nato an einem AWACS Aufklärungsflugzeug.
Europa muss weiter auf die NATO setzen, appellieren viele osteuropäische Politiker. © dpa/picture alliance/Ralf Hirschberger
Krijsanis Karins im Gespräch mit Dieter Kassel · 15.11.2016
Nach dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA diskutiert die EU über ein eigenes Verteidigungskonzept. Dieses dürfe jedoch nicht die NATO schwächen, warnt der lettische EU-Abgeordnete Krisjanis Karins (EVP) - andernfalls drohe in Osteuropa große Unsicherheit.
Die Unsicherheit über den künftigen Kurs der USA hat in der EU eine neue Debatte über Europas Verteidigungspolitik ausgelöst. Gestern haben die EU-Verteidigungsminister in Brüssel über den Aufbau einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion diskutiert - die nicht nur Befürworter findet. Auch der lettische EU-Abgeordnete Krisjanis Karins (EVP) mahnt zur Vorsicht.
Die Verteidigungspolitik seines Landes sei eng an das transatlantische Bündnis geknüpft, sagt Karins im Deutschlandradio Kultur. Das gelte auch für die EU: "Unsere gemeinsame Stärke ist das, was Sicherheit in der Welt bringt." Dazu gehören laut dem EU-Parlamentarier auch die USA und Kanada. "Es wäre nicht in unserem Interesse - im Interessse von Europa - die NATO zu schwächen."
Sollten einige Länder in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik enger zusammenarbeiten wollen und dies diene dem transatlantischen Bündnis, "dann bin ich und dann sind die Letten absolut dafür", so Karins. Wenn man jedoch beginne, die Rolle der NATO in Frage zu stellen, dann werde die Situation im Osten "ganz, ganz unsicher".

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Der amtierende Präsident Barack Obama hat inzwischen mitgeteilt, die USA werden auch in Zukunft eine große Rolle in der NATO spielen. Donald Trump habe ihm versichert, dass er zur transatlantischen Brücke und auch zu diesem Verteidigungsbündnis stehe. Allerdings hat im Wahlkampf Trump natürlich was ganz anderes erzählt, dass die NATO zu teuer sei und für Amerika gar nicht so wichtig. Wie denkt man deshalb über die Wahl des neuen Präsidenten in Lettland? Darüber habe ich mich vor der Sendung mit Krisjanis Karins unterhalten, er ist lettischer Abgeordneter im Europaparlament, in Amerika aufgewachsen und war auch einmal schon Wirtschaftsminister seines Landes. Und ich habe ihn als Erstes gefragt, ob der neue amerikanische Präsident eine Bedrohung für Lettland sei.
Krisjanis Karins: Nein, so sehe ich das nicht. Die Schwierigkeit ist, dass wir noch nicht wissen, was seine Außenpolitik sein wird. Also, während der Kampagne hat er sehr vieles gesagt und das, was unklar ist, (es) ist eine Sache, Kandidat zu sein, es ist eine andere Sache, Präsident mit all der Verantwortung zu sein. Er fängt jetzt an, seine wirtschaftliche Position ein bisschen aufzuklären, und das, was seine Außenpolitik, das ist uns und das ist der ganzen Welt, ganz Europa noch nicht bekannt …
Das ist also in meinem Leben das erste Mal, dass ein Kandidat gewählt worden ist und keiner ahnt, was er eigentlich machen möchte. Aber man muss auch immer erinnern, dass in den Vereinigten Staaten diese großen Institutionen sich wahrscheinlich nicht allzu leicht ändern. Deswegen erwarte ich keine große Überraschung für Lettland, für Europa.

USA sind strategischer Partner Europas

Kassel: Können Sie denn, Herr Karins, als Lette, als lettischer Europaabgeordneter, aber auch als jemand, der ja in den USA geboren wurde und dort lange gelebt hat, können Sie denn diese Entwicklung in den USA verstehen, können Sie die Wahl Donald Trumps verstehen?
Karins: Leider ja. Und das Resultat ist ein großes Ärger oder Unzufriedenheit der Bevölkerung, die unzufrieden ist mit der Politik als solchen, also mit dem System. Und Frau Clinton war scheinbar eine Kandidatin des Systems und Trump war ein Gegner. Und trotz seiner vielen Meinungen, meine ich, hat die Mehrheit entschieden, für ihn zu wählen. Ich hatte es nicht erwartet, ich hatte nicht mitgekriegt, dass diese Unzufriedenheit so sehr groß war in den Vereinigten Staaten, aber anscheinend hat das die meiste Bevölkerung der Welt nicht mitgekriegt. Und es ist eine Frage jetzt, was in Europa weiter passiert.
Wir wissen, dass es bald eine Wahl in Frankreich gibt, und danach wird es eine Wahl auch in Deutschland geben. Und die Frage ist, wie die Parteien des Zentrums sich halten können. Und die Antwort ist, dass wir unsere Bevölkerung besser verstehen müssen. Scheinbar gab es etwas in den Vereinigten Staaten, was die Administration von Obama nicht mitgekriegt hat. Es gibt sicherlich etwas in Frankreich, was man nicht allzu gut versteht, vielleicht auch in Deutschland, Lettland und anderen Ländern.
Und wenn wir als Politiker an der Macht bleiben möchten, müssen wir mehr zuhören, was die Bevölkerung uns sagt. Und man darf scheinbar nicht sagen, dass, wenn du eine andere Meinung hast, ist es eine doofe Meinung, man muss es wirklich zuhören, um zu verstehen, und dann vielleicht die Politik etwas ändern, damit es mehr mit der Meinung des Volkes zu tun hat.
Kassel: Aber wie sollte denn nun – Sie sind ja EU-Abgeordneter im Hauptberuf –, wie sollte denn nun Europa mit Donald Trump und mit seiner neuen Regierung, die wir irgendwann im nächsten Jahr dann kennen werden, umgehen? Sollten die Europäer sagen, wir werden selbstständiger, wir trennen uns auch ein bisschen von den USA? Oder sollten sie ganz offen auf Donald Trump zugehen und ihm die Hand reichen?
Karins: Es ist, meine ich, in unserem Interesse, die Hand zu reichen. Er ist gewählt in den Vereinigten Staaten und die Vereinigten Staaten sind immer noch ein sehr starker strategischer Partner von Europa. Insofern muss man das Amt ehren und akzeptieren, das ist einfach ein Fakt. Aber sicherlich, Europa sollte unabhängiger werden.
Es wird nicht immer sein, dass die Vereinigten Staaten so sehr stark im Vergleich mit dem Rest der Welt sind. Wir haben eine Stärke in Europa, die wir selber noch nicht begreifen, wir verstehen es noch nicht. Aber wir sind ein riesiger Markt. Und wenn Europa richtig vereinigt wäre, wäre unsere Macht nicht nur größer, sondern auch reicher als der Binnenmarkt in den Vereinigten Staaten. Und es ist scheinbar Zeit geworden, dass wir diese Realität akzeptieren müssen. Man sollte nicht dagegen kämpfen, sondern Pläne machen, wie man langsam oder mit der Zeit selbst stärker werden könnte.

Die NATO nicht in Frage stellen

Kassel: Aber jenseits der Wirtschaft, was bedeutet das, was Sicherheitspolitik angeht? Würden Sie eher dafür plädieren, dass Europa eine gemeinsame Armee braucht und auch ein gemeinsames Verteidigungskonzept, oder würden Sie eher sagen, gerade wenn die Amerikaner sich da vielleicht teilweise zurückziehen, muss Europa eine größere Rolle in der NATO spielen?
Karins: Ich bin ein großer Verteidiger vom NATO-Bündnis. Also, wie alle Letten eigentlich. Unsere Verteidigungspolitik in Lettland basiert auf der NATO und insofern, als die meisten Staaten Europas auch NATO-Mitglieder sind, ist unsere gemeinsame Stärke das, was Sicherheit in der Welt bringt. Das heißt mit den Vereinigten Staaten, mit Europa, mit Kanada et cetera.
Und es wäre nicht in unserem Interesse, im Interesse von Europa, die NATO zu schwächen. Und wenn Europa oder einige Länder Europas mehr zusammenarbeiten möchten oder koordinieren möchten im Sicherheitsraum, und das stärkt die NATO, dann bin ich und sind die Letten absolut dafür. Aber wenn man anfängt zu sagen, ja, vielleicht brauchen wir die NATO nicht, dann werden wir im Osten ganz, ganz unsicher.
Kassel: Der lettische EU-Abgeordnete Krisjanis Karins war das. Das Gespräch mit ihm haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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