Ballett in Dresden

Große Gefühle an der Semperoper

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"Manon" wird an der Semperoper in Dresden aufgeführt. © imago/westend61
Von Boris Gruhl · 07.11.2015
Der britische Tanzdramatiker Kenneth MacMillan hat die tragische Liebesgeschichte "Manon" an die Dresdner Semperoper gebracht. Für unseren Kritiker Boris Gruhl war es ein hochemotionaler Abend mit opulenten Szenen und prächtigen Bildern.
Der Ballettchef der Dresdner Semperoper Aaron S. Watkin möchte in jeder Saison einen wegweisenden Choreografen des 20. Jahrhunderts vorstellen. Diesmal ist der britische Tanzdramatiker Kenneth MacMillan an der Reihe – berühmt für pure Neoklassik und großes Handlungsballett. In Dresden hat man sich für einen seiner Klassiker entschieden: die tragische Liebesgeschichte "Manon" zur Musik von Jules Massenet.
Kenneth MacMillan, geboren 1929 in Schottland, gestorben 1992 in London, gilt als eine der Choreografie-Ikonen des 20. Jahrhunderts. Er leitete bedeutende Kompanien, das Ballett der Deutschen Oper Berlin, Royal Ballet in London, er war stellvertretender Direktor beim American Ballet Theatre in New York. Er hat mit seinen Handlungsballetten Ballettgeschichte geschrieben.
Er bleibt zwar den klassischen Grundlagen und Anforderungen verpflichtet, aber er setzt diese Techniken vor allem handlungsbetont und inhaltlich begründet ein. Das gilt nicht nur für die Solisten, auch für das Corps de ballet, denn bei genauem Hinsehen entdeckt man, sie sich die Zuordnungen der Bewegungen etwa im ersten Bild bei den Straßendieben von denen der Schlenderer oder Kavaliere und Prostituierten unterscheiden.
Es sind eben nicht die bravourösen Sprünge, die attraktiven Bewegungen, es ist die Intimität des Tanzes, die Bewegungen der Arme spielen eine große Rolle und die wahnwitzigen, flinken Bewegungen der Füße in ungeahnten Varianten, nicht zu vergessen das Augenzwinkern im Geiste des englischen Humors. Kein Pas de deux gleicht dem anderen, gerade in "Manon".
Und so wie er seine Hauptfiguren Manon, des Grieux und Manons zwielichtigen Bruder charakterisiert, so erkennt man auch die Gegensätze anderer Figuren und Gruppen. MacMillan schafft eine konzentrierte Abfolge dieser unabwendbaren tragischen Handlung, in der Manon den Verführungen des Reichtums erliegt und Des Grieux, der ja eigentlich auf dem Weg ins Priesteramt ist, in seiner hoffnungslosen Situation kriminell und sogar zum Mörder wird. Natürlich gibt es genregemäß opulente Szenen und prächtige Bilder, zu Beginn in der Straßenszene, oder dann auf dem Ball einer ominösen Gesellschaft, wo getanzt, getrunken und gekuppelt wird was das Zeug hält. Im spannungsvollen Kontrast dazu stehen aber die Szenen der konzentrierten Intimität eines Kammerspiels.
Darstellung von zerbrechlicher Leichtigkeit
Für die Titelpartie der Manon wurde Melissa Hamilton vom Londoner National Ballet verpflichtet. Jiří Bubeníček ist der junge Student, er verabschiedet sich mit dieser Partie vom Dresdner Semperoper Ballett und wird künftig gemeinsam mit seinem Bruder Otto, der sich letzten Sommer in Hamburg verabschiedet hatte, mit choreografischen Arbeiten weltweit präsent sein.
Melissa Hamilton, die diese Partie ja auch in London tanzt und gastweise als erste Solistin in Dresden sein wird, hat jene zerbrechliche Leichtigkeit und auch den selbstbestimmten Gestus, so etwas Unbändiges. Selbst wenn sie im Pas de cinq des zweiten Akt, im wahrsten Sinne des Wortes, bei ihren Verehrern von Hand zu Hand geht, sie bleibt selbstbestimmt. Ihre technischen Voraussetzungen sind großartig, sie kann den nötigen dramaturgischen Bogen von der ersten Liebesbegegnung bis hin zum Moment der großen Liebe angesichts des Todes dynamisch und glaubwürdig gestalten.
Natürlich ist Jiří Bubeníček nicht der blutjunge Student, im Roman ist er gerade mal 17 Jahre alt, aber im Stile einer Ich-Erzählung blickt er auf sein Leben zurück. Seine Interpretation setzt naturgemäß besondere Akzente. Das ist ein Mann, der in seinem Leben etliche Erfahrungen zu bewältigen hatte, dem jetzt etwas nicht Erwartetes widerfährt, der alles auf eine Karte setzt, kriminell wird, sogar mordet, und am Ende, wenn Manon in seinen Armen stirbt mit der grandiosen Geste eines stummen Schreies allein zurück bleibt.
Tänzerisch ergänzen sich die Protagonisten. Bubeníček als Partner kann die Hamilton schweben lassen, von ihm gehalten vollführt sie diese für MacMillan so typischen Bewegungen der Füße knapp über dem Boden, als liefe sie in der Luft und im letzten Pas de deux - da hält man schon den Atem an - wenn sie mehrmals in die Höhe geworfen wird, sich rasch in der Luft dreht und sanft aufgefangen wird. Bubeníček , dessen dramatische Präsenz außer Frage steht gewinnt im Verlauf des Abends immer mehr an tänzerischer Dynamik, am Ende hat man eine Interpretation dieser Figur von existenzieller Tiefe erlebt. Beide werden für ihre tänzerischen und darstellerischen Leistung gefeiert.
Eine opulente Aufführung
Aber diese Aufführung ist bis in die kleinsten Partien höchst angemessen besetzt, unbedingt zu erwähnen ist der Tänzer Denis Veginy als Manons Bruder, als Betrunkener etwa legt er ein Meisterstück in seinem rasanten Solo hin, Fortsetzung folgt sogleich im Pas de deux mit seiner Partnerin, das ist die grandiose Svetlana Gileva, exzellente Technik, dazu aufmüpfiger Charme und elegante Laszivität. Man sieht es insgesamt, diese Tänzerinnen und Tänzer beherrschen ihre klassischen Grundlagen, und man merkt es, sie sind auch in der Moderne brillant, bei Forsythe, Godani, Johan Inger, Mats Ek oder Alexander Ekman, der demnächst einen ganzen Abend für die Dresdner kreieren wird.
Die Musik von Jules Massenet, hier in der Instrumentierung und in den Arrangements des britischen Dirigenten Martin Yates von 2011, er wird demnächst auch einige Aufführungen in Dresden dirigieren, hat mitunter doch einen Hauch von zweckmäßiger Illustration. Es gibt wiederkehrende Themen, für Manon etwa die Variationen zarter Streicherpassagen mit Harfe und Flöte. Meistens aber fließt der Klang dahin, manchmal wird diese melancholische Melodik von stärker rhythmisch geprägten Einlagen gebrochen, auch gibt auch dramatische Zuspitzungen. Aber weil die Bilder des Tanzes, die Emotionen der Protagonisten, die Opulenz der Ausstattung in den Genrebildern und vor allem in der optischen Zurückname der intimen Bilder so stark sind, kann man die Musik wahrnehmen wie in einem Film. Die Mitglieder der Staatskapelle aber können das alles veredeln, Paul Connely, weltweit einer der erfahrensten Ballettdirigenten, atmet gewissermaßen mit den Tänzern.
Mit diesem Ballett wird ein weiterer, wichtiger und in dieser Art auch neuer Akzent im stilistisch weit gespannten Repertoire der Kompanie, die Ballettdirektor Aaron S. Watkin in zehn Jahren enorm vorangebracht hat, gesetzt. Nicht zuletzt macht dieser hochemotionale Abend auch deutlich: Die Möglichkeiten des klassischen beziehungsweise neoklassischen Tanzes sind längst nicht ausgereizt.
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