Bahnchaos in Baden-Württemberg

Die Bahn der Zukunft

Eine Reisende sitzt im Hauptbahnhof Stuttgart auf einem Kofferkuli.
Die hochfrequentierte ICE-Strecke Mannheim-Stuttgart wird in den kommenden Jahren gesperrt. © dpa / picture alliance / Klaus RoseWolfram Kastl
Von Uschi Götz und Thomas Wagner · 26.11.2018
Die Liste der möglichen Verbesserungen bei der Bahn in Baden-Württemberg ist lang. Land und Kommunen helfen mit eigenem Geld bei der Modernisierung nach. Trotzdem ist auf vielen Strecken noch kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen.
Landesweit ist der Sanierungsstau enorm groß. Jetzt muss mehr passieren als das Netz verkraften kann. Das wiederum bekommen in den nächsten Jahren Bahnreisende nicht nur in Baden-Württemberg zu spüren. Die Politik müsse sich auch große Versäumnisse vorwerfen, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete und Bahnexperte Matthias Gastl: "Jetzt müssen wir gucken, dass wir mit den geringstmöglichen Beeinträchtigungen das nachholen, was schon in früheren Jahren hätte gemacht werden müssen."
Auf Bundesebene regierten SPD und Bündnis 90/Die Grünen von 1998 bis 2005, sieben Jahre lang. Eine Mitschuld seiner Partei an dem Sanierungsstau kann Gastl nicht erkennen: "Die Bahnreform war damals, als wir regiert haben, noch nicht so lange her. Das heißt, da sind viele strukturelle und Zuständigkeitsfragen neu geordnet worden. Aber es ist klar geworden, dass nach der Bahnreform zu sehr auf Sparkonzepte gesetzt wurde, dass auch vom Börsengang geträumt wurde und deswegen die Bahn auf Gewinne getrimmt wurde."

Verbesserungen nur für kurze Zeit

Jetzt sei ein gutes Management von der Bahn gefordert, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete: "Zum gut organisieren gehört, dass sie gut geplant sind, dass sie möglichst schnell bewältigt werden können. Dass die Kommunikation zu den Eisenbahnverkehrsunternehmen, aber auch zu den Fahrgästen funktioniert. Das heißt, dass die frühzeitig informiert sind, wo welche Strecken komplett oder teilweise gesperrt sind und sich dann entsprechend organisieren können."
Denn nicht nur die Südbahn wird saniert, auch ICE-Strecken wie etwa die hochfrequentierte ICE Strecke Mannheim-Stuttgart wird in den kommenden Jahren gesperrt. Für kurze Zeit zeigte das Krisenmanagement des Landes mit der DB Regio Wirkung. Auf den Problemlinien Frankenbahn und Filstalbahn hatte sich die chaotische Lage von Zugausfällen und Unpünktlichkeit beruhigt. Beides sind wichtige Strecken: Die Frankenbahn führt von Stuttgart über Heilbronn bis nach Würzburg.
Sven Detzer pendelt regelmäßig mit der Filstalbahn, die Stuttgart mit Ulm verbindet: "Und jetzt stellt sich es, ich sage es mal salopp, der Schlendrian wieder ein. Es ist ganz ganz schlimm, es wird von Tag zu Tag schlimmer, die Zugausfälle nehmen wieder zu, die Verspätungen nehmen zu, jetzt auf den Winter hin kommen sicher noch viele Störungen hinzu: Weichenstörungen, Signalstörungen. Man merkt wieder, dass die Deutsche Bahn in den Bemühungen nachlässt, das Wagenmaterial wird nicht mehr gewartet oder ist schon wieder abgezogen worden. Wir haben nicht den Eindruck, dass es Ersatzfahrer – oder Fahrzeuge gibt."

Bahn-Konkurrenten müssen Personalbestand aufbauen

2016 lief der sogenannte große Verkehrsvertrag aus, dieser sah eine Art Monopol für die Deutschen Bahn für Aufträge im Nahverkehr vor. In der Folge konnten sich andere Bewerber für ausgeschriebene Linien, auch Lose genannt, bewerben. Die Bahn verlor dadurch einige Strecken, etwa die Franken- und Filstalbahn. Im Dezember 2019 übernimmt die Verkehrsgesellschaft Go-Ahead die Trasse, auf der Herr Detzer täglich fährt: "Die Pendler bei uns, wenn sie da im Zug nachfragen, die sagen, die Deutsche Bahn wird jetzt das eine Jahr nichts mehr machen, man sitzt das aus. Wäre schön, wenn die Pendler dann wenigstens nochmal beteiligt würden."
Ob es mit den neuen Anbietern besser wird, wagt der grüne Bundestagsabgeordnete Gastl zu bezweifeln. Auch die Bahn-Konkurrenten müssten erst einmal einen Personalbestand aufbauen: "Und da beginnen einige wirklich bei null. Andererseits bilden die jetzt auch massiv aus und schulen. Das heißt, in der Summe wird die Anzahl derer, die die Ausbildung zum Lokführer hat oder die Qualifikation besitzt, deutlich steigen, und es wird nicht unwesentlich darauf ankommen, ob es gelingt, dass die Unternehmen auch kooperieren und sich gegenseitig aushelfen."

Ein ganzer Ordner voller Beschwerden

Bahnhof Friedrichshafen – Ankunft der Bodensee-Gürtelbahn, jener Bahnverbindung, die am nordwestlichen Bodenseeufer aus Radolfzell im Landkreis Konstanz über Friedrichshafen im Bodenseekreis bis hin nach Lindau im angrenzenden Bundeslang Bayern fährt: viele der aussteigenden Pendler sind froh, dass sie den kleinen roten Triebwagen verlassen können.
"Wenn ein Wagen ausfällt, dann fehlt 50 Prozent der Kapazität. Und dann wir‘s es natürlich eng. Gefühlt natürlich ziemlich oft. Das ist natürlich ärgerlich."
"Also verspätet ist er immer. Und es ist oft eng, dann ist es zu heiß. Einhundert Prozent zufrieden bin ich nicht. Und wenn dann Schülergruppen und so weiter einsteigen – es ist schon ziemlich beengend, ja." Häufig Verspätungen, zu wenig Plätze: Derlei Klagen über die Bodensee-Gürtelbahn haben sich in letzter Zeit gehäuft.
"Wir sammeln ja schon seit eineinhalb Jahren Beschwerden. Einen ganzen Ordner habe ich grade in Stuttgart abgeliefert. Und jetzt sind wir grade am zweiten dran."

Bahn als Hauptbestandteil der Mobilitätswende

Lothar Wölfle ist Landrat im Bodenseekreis, er hat die Unzulänglichkeiten der Bodensee-Gürtelbahn zur Chefsache erklärt: "Was kommt zusammen? Das eine sind Zugausfälle, die immer wieder vorkommen. Dann ist es häufig so, dass statt zwei oder drei Waggons nur einer oder zwei kommen mit der Folge, dass einfach kein Platz mehr ist. Wir hatten hier konkret am Bahnhof Landratsamt die Situation, dass der eine Waggon, der aus Friedrichshafen-Stadt hier angekommen ist, schon voll war – und das dann dazu geführt hat, dass ein zwölfjähriges Mädchen Panik bekommen hat und ihr Vater dann mit ihr ausgestiegen ist."
Dabei ist die Bahn Hauptbestandteil der angestrebten Mobilitätswende. Schon zu Beginn des neuen Jahres wird es in Stuttgart Fahrverbote geben. Auf fast alle Strecken im Südwesten werden längst steigende Fahrgastzahlen registriert. Ausgerechnet jetzt werden ungezählte Strecken saniert, Betreiber ausgewechselt und die Kommunen greifen - wie im Fall der Bodensee-Gürtelbahn in die eigenen Kassen, um eine Lösung für ihre Hausstrecken zu beschleunigen.

Mangels Stromleitungen nur Dieselloks

Doch wer ist schuld an diesem Chaos am Bodensee? Die Bahn als Dienstleister? Oder das Land, das bei der Bahn-Tochter DB-Regio die Züge für den Regionalverkehr bestellt? Auch hier sind die Verantwortlichkeiten nicht so klar: Das Land hat zwar unlängst mehr Züge für die Bodensee-Gürtelbahn bestellt; so wirklich nachhaltig verbessert habe sich die Situation auf der Strecke dennoch nicht, heißt es beim Landratsamt in Friedrichshafen. Abgesehen von den Unzulänglichkeiten im Fahrbetrieb, besteht auf der Bodensee-Gürtelbahn dasselbe Problem wie auf der Südbahn: Dort verkehren mangels Stromleitungen nur Dieselloks. Doch während auf der Südbahn immerhin die zwei Jahre dauernden Bauarbeiten begonnen haben, stehen für die Bodensee-Gürtelbahn selbst die allersten Planungsschritte für eine Modernisierung noch aus.
"Ja, und nachdem alle mehr oder weniger die Hände in den Schoß gelegt haben, haben wir von kommunaler Seite, sprich die beiden Landkreise Konstanz und Bodenseekreis sowie die Gemeinden, beschlossen: Dann nehmen wir das Heft selbst in die Hand und legen das Geld auf den Tisch und fangen an zu planen."

Geduld für Modernisierung

Vor allem müssen, zusätzlich zur Elektrifizierung, auch die notwendigen Gelder für kreuzungsfreie Bahnhöfe bereitgestellt werden. Wo die herkommen sollen, bleibt derzeit völlig offen. Gäubahn, Hochrhein-Strecke, Südbahn, Bodensee-Gürtelbahn: Bei vielen dieser Strecken, auf denen es derzeit mächtig ächzt und knirscht, ist, was Modernisierung und Renovierung angeht, noch kein Licht am Ende des Tunnels erkennbar. Und selbst dann, wenn es erst mal losgeht mit Renovierungsarbeiten, fangen die Unannehmlichkeiten für die Fahrgäste erst so richtig an: Schienenersatzverkehr, Busfahren – und das über Jahre hinweg.
Wenn im Gegenzug allerding klar ist, dass es in einigen Jahren schneller und komfortabler vorangeht, haben die meisten Fahrgäste, wie hier auf der Südbahn, Verständnis für die aktuellen Unannehmlichkeiten:
"Ich finde, man muss ein bisschen Geduld haben. Wenn die Bahn elektrifiziert wird, ist das auf jeden Fall für die Fahrgäste zum Vorteil. Es geht nun mal nicht anders."
"Das ist gut, das renoviert wird. Das muss halt irgendwann sein."
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