Bahn streicht Zugverbindungen

"Roter Teppich für den Luftverkehr"

Porträtbild von Michael Cramer, Studienrat und Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen im Europaparlament.
Der Grüne Michael Cramer ist Vorsitzender des Verkehrsausschusses im EU-Parlament © picture alliance / ZB / Nestor Bachmann
Moderation: Korbinian Frenzel · 12.12.2014
Nachtzüge werden eingestellt, Zugverbindungen nach Osteuropa gestrichen: Der Grünen-Verkehrspolitiker Michael Cramer kritisiert die Deutsche Bahn scharf. Sie breite der Luftfahrt den "roten Teppich" aus.
Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im EU-Parlament, Michael Cramer (Grüne), hat die Bahn für ihre Streichungen von Nachtzügen und Verbindungen nach Osteuropa scharf kritisiert. Sie breite damit ihrem schärfsten Konkurrenten, der Luftfahrt, "den roten Teppich" aus. Dabei sei etwa die Verbindung von Berlin nach Brüssel stets voll gewesen: "Die Kultur ist da, aber die Bahn nimmt es nicht auf."
100 Prozent des europäischen Schienennetzes sind bemautet
Nach Ansicht Cramers hat die Bahn seit Jahren nichts für eine Modernisierung der Züge getan. Zudem herrschten grundsätzlich unfaire Rahmenbedingungen. So seien 100 Prozent des europäischen Schienennetzes "bemautet", aber lediglich 0,9 Prozent der Straßen. "Deshalb ist der Fernbus nicht nur schneller, weil nichts getan wurde, sondern auch noch günstiger, weil der im Gegensatz zur Bahn keine Maut bezahlen muss."
Rahmenbedingungen sind unfair und unsozial
Zudem kassiere der Staat bei Zugfahrten 19 Prozent Mehrwertsteuer sowie Mineralölsteuer - im Gegensatz zum Flugverkehr. Der bekomme aber jährlich 30 Milliarden Euro vom europäischen Steuerzahler, so Cramer: "Trotzdem sind von 23 internationalen Flughäfen 17 in Deutschland defizitär. Aber bei der Bahn - da muss der Fernverkehr ein Geschäft machen, sonst wird er eingestellt. Das ist unfair, das ist auch unsozial, das muss geändert werden."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Der Nachtzug, Berlin-Paris, City Night Line Nummer 450, gestern Abend am Berliner Hauptbahnhof, da ist er pünktlich abgefahren um 20:06 Uhr. Er dürfte die Champagne mittlerweile bereits passiert haben, Ankunft in Paris Gare de l'Est um 9:24 Uhr. Warum erzähle ich Ihnen das?
Weil es der letzte Nachtzug ist auf dieser Strecke. Seit heute ist diese alte Traditionsverbindung Geschichte, mit dem Fahrplanwechsel, mit dem auch viele andere internationale Verbindungen eingestellt werden vor allem in der Nacht. Das ist aus vielen Gründen kaum zu verstehen. Darüber spreche ich gleich mit dem Vorsitzenden des Verkehrsausschusses im Europaparlament.
Dieses Aus fürs Reisen in der Nacht ist aber mehr als nur Verkehrspolitik, es ist ein Stück Kulturverlust, so hat es der Schriftsteller Steffen Kopetzky vor Kurzem bei uns im Deutschlandradio Kultur beschrieben:
O-Ton Steffen Kopetzky: Ich persönlich finde es sehr bedauerlich, ich habe vor Kurzem versucht eine Reise zu buchen nach Belgien und wollte eigentlich einen alten Zug, den ich selber als Schaffner oft begleitet habe, nehmen. Den gibt es nicht mehr und damit geht natürlich schon ... ja, ein Element verloren, das uns halt mit der alten, vielleicht auch guten alten Zeit verbindet, in dem das Reisen eben auch eine Kulturform war, eine Art, die Zeit zu verbringen und nicht bloß von einem Punkt, von A nach B zu kommen.
Frenzel: Steffen Kopetzky, ein Schriftsteller mit Nachtzug-Leidenschaft. Ich weiß nicht, ob Michael Cramer auch besonders gerne in der Nacht reist, auf jeden Fall reist er leidenschaftlich gerne mit der Bahn, der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Europäischen Parlament und Politiker der Grünen. Einen schönen guten Morgen, Herr Cramer!
Michael Cramer: Schönen guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Die Verbindung nach Paris wird gestrichen, nach Kopenhagen, nach Amsterdam, nach Breslau, nach Prag. Verabschiedet sich die Bahn als europäisches, als grenzüberschreitendes Verkehrsmittel?
Die falsche Entscheidung
Cramer: Offensichtlich ist das der Fall. Und nicht nur das, sie breitet auch ihrem schärfsten Konkurrenten, der Luftfahrt, den roten Teppich aus. Denn wer dann den Nachtzug nicht mehr nimmt, was nimmt er, er wird weiterhin fliegen. Und wer sich daran gewöhnt, wird die Bahn meiden. Das ist auch aus egoistischem Interesse die falsche Entscheidung, die die Bahn hier fällt. Seit Jahren haben sie nicht investiert, Geld zurückgelegt für die Modernisierung der Züge, und sagen, jetzt sind sie eingestellt. Wir hatten schon die Situation mit dem Nachtzug Berlin-Brüssel, der wurde eingestellt, umgeleitet, und nach Paris, auf jeden Fall, der war voll! Es lag nicht daran, dass zu wenig Leute mitfahren, die Kultur ist da, aber die Bahn nimmt es nicht auf.
Frenzel: Wir haben jetzt erst mal Richtung Westen geschaut, Richtung Osten ist es ja noch dramatischer, die Verbindung zwischen Deutschland und Polen zum Beispiel. Woran liegt das denn?
Cramer: Ich glaube, das liegt an der Ignoranz. Als die Mauer fiel, hat man nur Verkehrsprojekte deutscher Einheit gedacht, als wäre dann östlich der DDR, wie Adenauer immer sagte, da würde schon Asien beginnen. Wir können heute die drei Verbindungen nach Breslau, nach Stettin und nach Swinoujscie, die könnten wir für jeweils 100 Millionen Euro so sanieren, dass wir zwei Stunden Zeit sparen. Das macht die Bahn und die Bundesregierung seit 25 Jahren nicht und deshalb ist jetzt der Bus schneller und die Verbindung von Berlin nach Breslau wird auch eingestellt.
Frenzel: Wer ist denn daran schuld? Sie haben jetzt das vor allem auf die Bahn bezogen, aber liegt das nicht vielleicht auch an der Politik, an falschen Rahmenbedingungen?
Cramer: Es liegt natürlich an falschen Rahmenbedingungen, weil die Bahn künstlich teuer gemacht wird und die Straße künstlich billig gemacht wird. Wir müssen zum Beispiel für jede Lokomotive in Europa auf jedem Streckenkilometer eine Maut bezahlen, 100 Prozent des Schienennetzes, das ist bemautet in Europa. Und bei der Straße ist es eine Ausnahme, wenn überhaupt eine Maut erhoben wird. In Europa sind 0,9 Prozent der Straßen bemautet. Deshalb ist der Fernbus nicht nur schneller, weil nichts getan wurde, sondern auch noch günstiger, weil der im Gegensatz zur Bahn keine Maut bezahlen muss.
Frenzel: Sie haben ja das Problem angesprochen, die Konkurrenz durch die Flieger, durch die Billigflieger auch. Dass es die geben konnte, war ja letztendlich eine politische Entscheidung. Früher gab es nur die Lufthansa, gab es Air France, und dann wurde gerade dort, wo Sie sitzen, in Brüssel gesetzlich ganz viel gemacht, dass dieser Markt geöffnet wurde. Ist so was nicht möglich, könnten wir uns nicht so was wie einen "easyTrain" vorstellen oder "Ryantrain"?
Der letzte Fernverkehrszug, der ICE 1745 von Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) nach Dresden (Sachsen), steht am 24.09.2014 im City-Tunnel auf dem Hauptbahnhof in Leipzig (Sachsen). Wegen Bauarbeiten ist der Bahnhof vom 24.-28.09.2014 komplett für den Zugverkehr gesperrt.
Die Bahn müsse im Fernverkehr ein Geschäft machen, sonst werde er eingestellt, so Cramer.© dpa / picture-alliance / Peter Endig
Cramer: Natürlich könnten wir uns vorstellen beispielsweise, dass wir einen europäischen Hochgeschwindigkeitszug haben, wie wir einen europäischen Airbus haben. Ja, dann hätten wir nicht die Unterschiede, dann würden die Züge billiger. Aber alle reden darüber, dass praktisch das Fliegen billiger werden muss, dass jetzt die Luftverkehrsabgabe abgeschafft werden muss. Aber dass ich Mehrwertsteuer zahlen muss auch der Bahn, wenn ich von Berlin nach Brüssel den Zug nehme ... Also, das dauert nicht nur dreimal so lange, ist dreimal so teuer, der Staat kassiert noch 19 Prozent Mehrwertsteuer mit, und bei den Airlines lässt er es. Und obwohl die Airlines im Gegensatz zu den Bahnkunden keine Kerosin- und keine Mehrwertsteuer zahlen, jedes Jahr vom europäischen Steuerzahler 30 Milliarden Euro kommen, trotzdem sind von 23 internationalen Flughäfen 17 in Deutschland defizitär.Das ist unfair, das ist auch unsozial, das muss geändert werden.
Frenzel: Das heißt, Sie fordern einerseits Veränderungen der Rahmenbedingungen, also dass die Politik die Grundregeln ändert; gleichzeitig wollen Sie, dass es kein Profitstreben bei der Bahn gibt, wenn ich das gerade richtig verstanden habe, aber trotzdem auch gerne Konkurrenz auf der Schiene, also privaten Wettbewerb. Passt das zusammen, eine Bahn, die kein Geld verdienen muss, aber dann Wettbewerb auf der Schiene?
Cramer: Nein, wir wollen zunächst einmal mal, dass ein Grundbedürfnis der Mobilität, das muss gesichert sein. Und auf diesem Netz kann dann ein Wettbewerb sein. Nur, das müssen faire Rahmenbedingungen sein. Entweder jeder zahlt die Mehrwertsteuer oder keiner. Entweder jeder zahlt Mineralölsteuer oder Kerosinsteuer oder keiner. Das muss mindestens fair sein. Und schon gar nicht darf es sein, dass die klimaschädlichen Transportarten vom Steuerzahler bezuschusst werden und die klimafreundlichen Transportarten finanziell bestraft werden.
Frenzel: Warum ist das denn so? Sie sitzen ja in Brüssel im Prinzip an der Schaltstelle. Wenn ich richtig informiert bin, gibt es mittlerweile sogar ein viertes Eisenbahnpaket, also Jahre, Jahrzehnte des Bemühens, da Dinge zu ändern. Aber offenbar funktioniert das ja nicht?
Wir brauchen ein europäisches Eisenbahnnetz
Cramer: Da bemühen wir uns drum. Und das ist eben so, ich sage immer: Die Eisenbahnunternehmen sind die letzten nationalistischen Behörden. Die gucken allenfalls bis zehn Kilometer vor der Grenze und dann hört die Sichtweise auf. Deshalb haben wir 20 unterschiedliche Zugsicherungssysteme. Das wollen wir jetzt mit dem vierten Eisenbahnpaket ändern.
Denn wenn wir eine Lokomotive haben, die nicht nur in Deutschland oder nicht nur in Luxemburg oder nicht nur in Belgien zugelassen ist, sondern europaweit, und dann ist die größere Anzahl, macht die Kosten ... kann die Kosten verringern, in diese Richtung wollen wir gehen. Wir brauchen ein europäisches Eisenbahnnetz und eine Struktur. Denn wenn wir uns das Eisenbahnnetz anschauen, dann ist das ein Flickenteppich und die Lücken sind exakt da, wo die Grenzen sind. Obwohl wir seit 20 Jahren mit Milliardeninvestitionen versuchen, einen europäischen Eisenbahnraum zu schaffen. Das muss sich ändern.
Frenzel: Müssen wir als Freunde der Bahn, Herr Cramer, vielleicht anerkennen, dass die Bahn das große Einigungsverkehrsmittel des Nationalstaates war, aber dass letztendlich das Flugzeug - ich nenne noch mal easyJet - das große Vereinigungsverkehrsmittel der Europäischen Union ist?
Cramer: Dem kann ich gar nicht widersprechen. Und das ist auch schlimm! Denn ich weiß, die Bahn könnte, wenn sie auf 50 Prozent der Fahrgäste verzichten würde, mehr Profit machen. Aber sie hat ihre gesamtstaatliche und gesamteuropäische Aufgabe verloren aus dem Blick, wir haben nur sechs Prozent des Passagierverkehrs in Europa, der grenzüberschreitend ist. Das liegt an den schlechten Rahmenbedingungen und das liegt auch darin, dass jetzt sogar die Nachtzüge gestrichen werden.
Frenzel: Sagt Michael Cramer, der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Europäischen Parlament. Ich danke Ihnen herzlich!
Cramer: Ich bedanke mich auch!
Frenzel: 7:55 Uhr ist es. Und bitte entschuldigen Sie die schlechte Qualität der Telefonleitung, auch da, nicht nur im Nachtzugverkehr muss noch was passieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur/Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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