Bahn frei!

24.04.2009
Sobald der Mensch sich hinter das Lenkrad eines Autos begibt, findet ein seltsamer Wandel statt. Selbst aus freundlichen und zuvorkommenden Menschen werden plötzlich Raser, Drängler und Verkehrsrowdys, die das Leben anderer gefährden. Warum das so ist, hat Tom Vanderbilt in seinem Buch "Auto" untersucht.
Die Abwrackprämie ist eine politische Maßnahme, über die sich streiten lässt - doch in ihrer Folge fahren Hunderttausende Deutsche seit Kurzem ein neues Auto. Dieses Buch ist die passende Begleitmusik dazu. Wer die Technik auffrischt, sollte vielleicht auch sein Autofahrer-Hirn auffrischen, denn das unterscheidet sich bekanntlich vom Alltags-Hirn ein- und derselben Person, oder anders gesagt: Der Mensch als Autofahrer ist nicht wiederzuerkennen.

Auch Tom Vanderbilt muss in seinem Buch feststellen: Wir werden irrational im Auto. Wir machen Dinge, die wir sonst nie tun würden, wie zum Beispiel das Leben anderer Menschen zu gefährden. Schon wer mit 50 durch eine 30er Zone fährt, tut das. Oder wer bei Gelb-Rot über die Ampel rast. Und dies alles unabhängig von sozialem Status und Bildungsgrad.

Die Straße ist im Grunde ein Faszinosum, wie Vanderbilt in seiner gut recherchierten und klug reflektierten Abhandlung schreibt:

"Nirgendwo sonst treffen so viele verschiedene Menschen so ungezwungen aufeinander – Vertreter verschiedener Ethnien, Klassen, Religionen und politischer Vorlieben, Leute mit unterschiedlicher psychischer Stabilität."

Überwiegend funktioniert dieses Zusammenreffen, oft aber schürt es Konflikte. Vanderbilt nennt die naheliegenden Gründe. Als Autofahrer sind wir zur Stummheit verdammt, wir können flüstern, wir können schreien, in der Regel hört uns niemand. Das macht uns rasend. Wir wollen kommunizieren, sind aber zurückgeworfen auf primitive Zeichensysteme wie Hupen, Blinken oder den Zeigefinger an die Stirn führen. Außerdem können wir uns nicht beim Fahren beobachten, wir sehen unsere Fehler nicht - die zweite Quelle des Missverständnisses, denn die meisten Autofahrer halten sich für unfehlbar, besonders die männlichen. Es sind immer die anderen, die etwas falsch machen!

Tom Vanderbilt musste während seiner Recherche feststellen: Der Straßenverkehr ist ein dermaßen primitives Kommunikationssystem, dass auch wir, die menschlichen Verkehrsteilnehmer, auf unsere ursprüngliche Primitivität zurückgeworfen werden. Wir reagieren wie Pawlowsche Hunde und nicht wie gebildete Menschen.

Der Autor schreibt für amerikanische Magazine über Technologie und Design und legt hier ein Buch vor, dass die Geschichte des Straßenverkehrs (auch in Pompeji gab es Staus wegen Bauarbeiten) genauso beschreibt wie den bedrohlichen Wandel des Menschen, sobald er ein Auto besteigt.

Tom Vanderbilt vermeidet dabei Typisierungen von Autofahrern, aber er beschreibt Phänomene, die uns alle betreffen, und die sich nur je nach Psyche verschieden zeigen. Das Buch hilft, etwas mehr Bewusstsein in diesen täglichen Irrsinn namens Straßenverkehr zu bringen. Es ist Pflichtlektüre für alle Autofahrer, auch für jene, die glauben, dass sie so ein Buch gar nicht brauchen, gerade für die.

Rezensiert von Vladimir Balzer

Tom Vanderbilt: Auto - Warum wir fahren, wie wir fahren und was das über uns sagt
Aus dem Amerikanischen von Gerlinde Schermer-Rauwolf, Robert A. Weiß, Kollektiv Druck-Reif
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009
480 Seiten, 23 Euro