Bärbel Höhn kritisiert Überlegungen für Atommüll-Endlagerung im Ausland

Christopher Ricke im Gespräch mit Bärbel Höhn · 05.01.2013
Die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Bärbel Höhn, warnt vor einem nun diskutierten Atommüll-Export. Eine Lagerung in Ländern wie beispielsweise Russland werde zu "einer Umweltkatastrophe" führen.
Christopher Ricke: Wir haben eine neue Atommülldebatte. Es werden in Zukunft möglicherweise, zumindest theoretisch, Atommülltransporte ins Ausland ermöglicht, wenn ein neuer Paragraf 3a ins Atomgesetz eingefügt wird, der, Zitat, so heißt: "Verbringung radioaktiver Abfälle oder abgebrannter Brennelemente zum Zweck der Endlagerung" regeln soll. Der Bundesumweltminister Peter Altmaier beteuert sehr kräftig, Ziel bleibe natürlich, dass in Deutschland ein Endlager gefunden werde. Aber das bringt uns jetzt in der Diskussion über das Endlager in Deutschland nicht näher, auch, wenn diese Änderung im Atomgesetz einer europäischen Richtlinie geschuldet ist. Ich spreche jetzt mit Bärbel Höhn, die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen ist unter anderem für Umwelt und Energie zuständig. Guten Morgen, Frau Höhn!

Bärbel Höhn: Guten Morgen, Herr Fricke.

Ricke: Ich sag mal, in Russland gibt es genug verstrahltes Land, wo man auch noch ein paar Atommüllcontainer aus Deutschland dazustellen könnte. Das muss man natürlich gut überwachen und man muss das natürlich auch bezahlen. Aber dann ist es doch eine gute Idee?

Höhn: Das halte ich überhaupt nicht für eine gute Idee. Und interessanterweise ist es ja so, dass alle Fraktionen bisher in Deutschland gemeinsam klar hatten: Wir haben hier die Verantwortung für den Atommüll, wir müssen auch für eine sichere Endlagerung sorgen, und das kann hier nur in Deutschland passieren. Weil, ich meine, das ist ja klar, das haben Sie eben beschrieben: Es gibt genug verstrahlte Bereiche, und das bedeutet, wenn man das öffnet fürs Ausland, gerade zum Beispiel für Russland, dann würde man nicht die sicherste Lösung wählen, sondern die billigste Lösung. Und das wäre eine große Umwelt-, ja, -katastrophe, die da entstehen würde.

Ricke: Aber das ist doch gerade die Frage. Wenn man sich der Verantwortung stellt, wenn man dafür garantiert, auch selbst dafür garantiert, dass es sicher ist, dann ist es doch sinnvoller, Atommüll in einer Gegend zu lagern, wo nicht so viele Menschen leben und nicht in einem der dichtestbesiedelten Länder der Welt.

Höhn: Aber Sie müssen sich Folgendes überlegen: Dieser Atommüll, der muss da 500.000 Jahre sicher gelagert werden ...

Ricke: Mindestens!

Höhn: Mindestens. Viele sagen: eine Million Jahre. So. Das heißt, wir sind jetzt eine Generation. 30 Jahre später, die nächste Generation wird dieses Problem - Sind die denn da wirklich so gefährlich, diese Fässer? - schon viel weniger im Kopf haben als wir. Die übernächste und übernächste Generation noch viel weniger. Und dann haben wir mal gerade hundert Jahre vorbei und nicht eine Million Jahre. Das heißt: Hier darauf aufzupassen, das ist schon alleine…wir haben uns mit den Schweizern ja genau auseinandergesetzt… Für die Suche und allein für den Aufbau eines solchen Endlagers brauchen wir hier ungefähr mehrere Jahrzehnte, und das einfach einem Herrn Putin, ich sag mal, mit einem bilateralen Vertrag zu überlassen, der jetzt mal gerade Depardieu sozusagen bei sich da herholt, der also in vielen Punkten keine Verantwortung zeigt, heute schon - Was ist dann in hundert Jahren, wenn die gar nicht mehr wissen, wie gefährlich das ist? Das ist unverantwortlich.

Ricke: Die Steuerflucht von Gerard Depardieu ist sicherlich ein eigenes Thema, aber bleiben wir doch in Frankreich. Denn die neue Regel, die es da geben soll im Atomgesetz, die fußt ja auf einer EU-Richtlinie, also Frankreich zum Beispiel darf dann Müll exportieren. Großbritannien darf das auch. Jedes EU-Land mit Atomkraftwerken darf das. Und wir Deutschen gerieren uns als ökologische Musterknaben. Muss das denn wirklich sein?

Höhn: Also erst 'mal muss man sagen: Es geht um eine EU-Richtlinie. Die EU-Richtlinie muss umgesetzt werden. Aber so, wie Deutschland sie umsetzen will, ist es keine 1:1-Umsetzung, sondern auf EU-Ebene heißt es immer noch: Radioaktive Abfälle werden in den Mitgliedsstaaten gelagert, in denen sie entstanden sind. Das heißt, da geht es um den grundsätzlichen Vorrang in den Ländern, wo sie auch entstanden sind. Nur dann, wenn es keine entsprechenden geologischen Verhältnisse gibt, also weder Salz, noch Granit noch Ton, was es alles in Deutschland gibt, dann muss es für diese Länder - kann es dann eine Möglichkeit geben. Das ist in der EU-Richtlinie so dargestellt. Und eine 1:1-Umsetzung hier in Deutschland darf also nicht so laufen, wie das Bundesumweltministerium es momentan vorsieht. Die sagen nämlich, nicht mehr und nicht weniger, dass sie sagen: Eine Verbringung zur Endlagerung im Ausland sei von der Bundesregierung nicht geplant. Das heißt: Heute ist sie nicht geplant, in ein paar Jahren ist sie dann geplant. Also insofern ist das auch keine 1:1-Umsetzung, sondern eine absolute Aufweichung, die selbst von der EU, was ja damals sehr kritisiert worden ist, die Regelung, noch nicht mal so gemeint war.

Ricke: Aber Frau Höhn, wir wissen doch auch, dass es mit der Endlagerung in Deutschland seit Jahrzehnten nicht klappt. Gorleben ist jetzt gerade im niedersächsischen Wahlkampf wieder ein Thema, und sofort stellt man in Deutschland die Konsensgespräche ein. Der Minister Altmaier sagt ja: Nach der Wahl in Niedersachsen, dann werden die Gespräche mit SPD und Grünen wieder aufgenommen werden. Wenn man schon wegen Wahlterminen solche Gespräche immer wieder verschiebt mit einem Problem, dass uns eine Million Jahre beschäftigt, glauben Sie da wirklich, dass wir bis 2030 - das Versprechen kommt ja noch aus grüner Regierungsbeteiligung -, dass wir wirklich bis 2030 das Endlager haben?

Höhn: Also das ist sehr ehrgeizig, bis 2030. Wir haben das versprochen, da war es noch zehn Jahre vorher. Und Jürgen Trittin hat einen wesentlichen Anteil, also eine Vorarbeit geleistet. Die haben nämlich mit dem sogenannten AK-End überhaupt erst 'mal Kriterien für die Auswahlsuche erarbeitet. Man muss dazu sagen, dass zum Beispiel die Schweiz, die ja weiter ist in ihrer Suche, genau diese Kriterien von Jürgen Trittin jetzt genommen hat, um ihr Endlager zu suchen. Wir müssen hier in Deutschland in der Tat kucken, dass wir die Zeit bis zur Bundestagswahl noch nutzen. Im letzten Sommer ist sie durch den Wechsel im Bundesumweltministerium vertan worden, an uns vorbei sozusagen gegangen. Und deshalb ist es notwendig, dass wir den nächsten Schritt gemeinsam gehen. Denn wenn wir über mehrere Jahrzehnte nachdenken, bis überhaupt ein solches Endlager steht, dann kann das nicht eine Koalition machen, sondern das muss fraktionsübergreifend sein. Und deshalb ist es eben so wichtig, einen gemeinsamen Konsens zu haben: Zum einen, wie das Endlager gesucht werden soll, zum anderen aber auch, dass man das wirklich hier macht und nicht ins Ausland verlagert. Denn Sie werden hier keinen Standort finden, wenn Sie die Möglichkeit haben, es doch am Ende ins Ausland zu verbringen.

Ricke: Bärbel Höhn, die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Vielen Dank, Frau Höhn, und einen schönen Tag!

Höhn: Bitte!

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