Ayelet Gundar-Goshen: "Wo der Wolf lauert"

Irrsinn made in Israel – und den USA

14:21 Minuten
Porträt der Autorin in einem kurzärmeligen, blauen Oberteil unter Bäumen.
Die israelische Autorin Ayelet Gundar-Goshen schrieb ihr aktuelles Buch "Wo der Wolf lauert" in Kalifornien. © Tal Shahar
Ayelet Gundar-Goshen im Gespräch mit Joachim Scholl · 13.07.2021
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Ayelet Gundar-Goshens Roman "Wo der Wolf lauert" ist ein packender Thriller. Doch die Autorin lässt auch eine kritische Sicht auf Israel einfließen - und ihre Erfahrungen mit der Widersprüchlichkeit politischer Korrektheit in Amerika.
In ihrem neuen Roman "Wo der Wolf lauert" führt die israelische Schriftstellerin Ayelet Gundar-Goshen zwei Lebenserfahrungen zusammen.

Der israelische Traum

Im Mittelpunkt der Handlung steht Familie Schuster, eine israelische Kleinfamilie – Mutter Lilach, Vater Mikael und Sohn Adam. Die Familie zieht von Israel in die USA, nach Kalifornien. Damit repräsentiere sie den israelischen Traum, sagt Gundar-Goshen, denn: "Der israelische Traum besteht inzwischen darin, den amerikanischen Traum zu leben."
Und so ist Lilach mit ihrem Leben sehr glücklich. Sie hat einen Mann, der viel Geld hat, sie lebt in den USA, hat ein großes Haus mit Pool und ein tolles Kind. An einer Stelle im Roman heißt es aber: "Vielleicht hatten wir gemeint, Adam vor dem israelischen Irrsinn zu bewahren, ihn tatsächlich aber einem anderen Irrsinn ausgesetzt."

"Man vergisst die Palästinenser"

"Das verrückteste an Israel ist, dass das Leben sich dort ganz normal anfühlt, wenn man als Besucher kommt", bemerkt Gundar-Goshen. "In Tel Aviv hat man den Eindruck, es sei eine ganz normale Stadt." Die Menschen würden draußen feiern, sich treffen und in Restaurants beisammensitzen, erzählt sie. "Doch alle tun nur so, als wäre es normal. Man vergisst die Palästinenser, die nur eine Stunde entfernt leben."
Aus dieser Situation will Romanfigur Lilach ihr Kind herausholen. Sie denkt, wenn sie Israel verlassen, sind sie nicht mehr für die Situation der Palästinenser verantwortlich.

Anschlag auf eine Synagoge

In den USA wird Lilachs Zufriedenheit, ihr Traum von einem glücklichen Leben, durch einen Terroranschlag auf eine Synagoge in Palo Alto erschüttert, wo die Familie lebt. Außerdem stirbt ein Mitschüler ihres Sohnes Adam. Hat Adam etwas mit dessen Tod zu tun?
Lilach findet heraus, dass Adam an der Schule gemobbt wurde – von eben jenem Mitschüler, der nun zu Tode gekommen ist. In ihrem Leben gerät plötzlich alles ins Wanken, und sie muss das Geheimnis lösen, das mit ihrem eigenen Kind zu tun hat. Plötzlich ist sie mit einer anderen Realität konfrontiert.
"Der amerikanische Wahnsinn zeigt sich in dieser politischen Korrektheit", sagt Gundar-Goshen. "Man darf nicht über bestimmte Themen reden, man darf bestimmte Worte nicht benutzen, man sollte rassistische, politische Themen nicht ansprechen. Es ändert sich aber noch nichts an der Realität, wenn man nur die Worte ändert. Das bedeutet doch nur, dass man ein kleines Pflaster draufklebt."

Eine antipatriotische Haltung

Gundar-Goshen hat selbst einen fünfjährigen Sohn. Sie möchte auf keinen Fall, dass er mit 18 Jahren zur Armee geht und in den Palästinensergebieten dient. "Ich habe noch 13 Jahre, dieses Problem zu lösen", sagt sie.
Sie ist sich dessen bewusst, dass diese Haltung in Israel als Verrat und als antipatriotisch angesehen wird. "Als Juden werden wir immer noch viel stärker von unseren Ängsten als von unserer Hoffnung kontrolliert", sagt Gundar-Goshen.
Den Roman hat sie geschrieben, während sie als Gast-Schriftstellerin in Kalifornien lebte. Die Idee, über eine Flucht vor der Lebensrealität in Israel zu schreiben, sei ihr aber schon in Tel Aviv gekommen, erzählt sie. Diese Idee habe sie in Amerika mit ihren Eindrücken und Erfahrungen dort in Verbindung gebracht.

Amerikanisches Paradox

Ein amerikanisches Paradox sei für sie der Gegensatz zwischen der Gewalt, die in den USA einerseits überall gegenwärtig sei und der prüden Haltung auf der anderen Seite. Deutlich werde das für sie zum Beispiel an dem Wort "fuck", das in Israel als amerikanischer Import angesehen werde und ständig zu hören sei. In Kalifornien werde dieses Wort aber als etwas ganz Schlimmes betrachtet.
Außerdem sei in Amerika alles immer "amazing", also großartig: "Mein Kleid ist 'amazing', Ideen sind toll, mein Kind fantastisch. Alles ist 'amazing' und großartig." Man würde das ja gerne glauben, sagt Gundar-Goshen, "aber wenn man sich mal umguckt, dann ist eigentlich überhaupt nichts 'amazing'."
(nis)
Das Gespräch mit Ayelet Gundar-Goshen wurde von Marei Ahmia übersetzt.

Ayelet Gundar-Goshen: "Wo der Wolf lauert"
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
Kein & Aber, Zürich 2021
352 Seiten, 25 Euro

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