Ayelet Gundar-Goshen: "Wo der Wolf lauert"

Ein Attentat, Nahkampftraining und eine Dosis Meth

06:41 Minuten
Cover des Romans „Wo der Wolf lauert“ von Ayelet Gundar-Goshen.
Packend bis zur letzten Seite: Ayelet Gundar-Goshen mit "Wo der Wolf lauert" © Deutschlandradio / Kein & Aber
Von Sigrid Brinkmann · 14.07.2021
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Ein antisemitisches Attentat und der Tod eines schwarzen Jungen, der die Bewegung Nation of Islam bewundert, verändern das Leben einer israelischen Familie im Silicon Valley. Ayelet Gundar-Goshens Eltern-Kind-Drama entwickelt sich zu einem  packenden Thriller.
Michael, Lilach und Adam Schuster leben seit mehr als einem Jahrzehnt im Silicon Valley. Sie sind Israelis, lose verbunden mit der jüdischen Community. Lilach wollte unbedingt, dass ihr Sohn an einem Ort aufwächst, wo es keine Kriege gibt.
Doch Gewalt gibt es auch in den USA. Adam ist sechzehn, als ein psychisch labiler Mann in Palo Alto eine junge Frau im Vorhof einer Synagoge tötet. Dann stirbt auch noch ein schwarzer Mitschüler von Adam, Jamal, bei einer Party an einer Überdosis Meth. Weil Adam in der Hausgarage mit chemischen Substanzen experimentiert, wird er verdächtigt, für Jamals Tod verantwortlich zu sein.
Die Autorin Ayelet Gundar-Goshen arbeitet als Psychologin in einem Tel Aviver Krankenhaus. Sie ist geübt darin, in Gesten und ausweichenden Worten tiefe Verletzungen und Angst aufzuspüren. Sie erlebt täglich, wie kleine Unwahrheiten sich zu einem Gespinst aus Lebenslügen auswachsen können.
Ungemein feinfühlig schildert sie aus der Perspektive der besorgten, aber stets auf ihre Intuition vertrauenden Lilach, wie deren Gewissheiten ins Wanken geraten. Sie zeigt, wie vorhersehbar Gerüchte, anonyme Botschaften und hinterhältige Attacken bei Jugendlichen wie auch Erwachsenen die Bereitschaft wecken, sich zu Gruppen zusammenzuschließen.

Training für den Nahkampf

Kühl beschreibt sie, wie ein in den USA als Start-up-Gründer gescheiterter Ex-Brigadegeneral der israelischen Streitkräfte das Vertrauen jüdischer Eltern gewinnt und beginnt, ein Dutzend Jungen für den Nahkampf zu trainieren. Lilach misstraut dem Seelenfänger, der den Jugendlichen einredet, sie besäßen eine "israelische Identität".
Ihr Mann Michael hingegen verteidigt das "Training auf hebräisch" und merkt gar nicht, wie seltsam es ist, dass jemand, der Generalstabschef werden sollte, als Krav-Maga-Trainer im Silicon Valley hängen bleibt. Und dass dieser Mann, der angibt, auch Ingenieur zu sein, in Michaels Firma arbeiten will, die Software für Waffensysteme entwickelt.
Ist das Interesse, das der immer fordernde und väterlich auftretende Trainer an der Stärkung von jüdischen Minderjährigen zeigt, nur Tarnung? Ayelet Gundar-Goshen inszeniert ein subtiles Eltern-Kind-Drama und findet berührende Worte für den Abstand, den Heranwachsende brauchen. Schlicht ergreifend ist der Blick, den die Ich-Erzählerin – alles andere als eine neutrale Beobachterin – in einem unbemerkten Augenblick auf die Mutter des toten Jamal richtet.
Ayelet Gundar-Goshen hat ihren ersten Wirtschaftsspionage-Thriller geschrieben. Packend bis zur letzten Seite und überzeugend.

Ayelet Gundar-Goshen: "Wo der Wolf lauert"
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
Kein & Aber, Zürich 2021
352 Seiten, 25 Euro

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