Autos mit Dashcam

Hochgefährliche Perversion der liberalen Idee

Eine sogenannte Dashcam, befestigt an der Windschutzschreibe, filmt den Straßenverkehr in Berlin aus einem Auto.
Eine sogenannte Dashcam, befestigt an der Windschutzschreibe, filmt den Straßenverkehr in Berlin aus einem Auto. © picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Von Svenja Flaßpöhler · 23.07.2017
Erstmals hat ein Gericht die Aufnahmen einer Dashcam, einer im Auto installierten Kamera, als Beweismittel in einem Prozess um einen Autounfall zugelassen. Damit untergrabe der Staat sein Fundament, kommentiert Svenja Flaßpöhler.
Auf einen ersten Blick ist die Argumentation des Oberlandesgerichts Stuttgart durchaus einleuchtend. Wie oft gestalten sich Prozesse unerträglich zäh, weil Zeugenaussagen zu vage sind oder sich diametral widersprechen. Kameras hingegen sind die perfekten Zeugen. Verlässlich, interesselos, objektiv. Warum also sollten Menschen ihr Eigentum, in diesem Fall ihr Auto, nicht effektiv schützen dürfen, indem sie kleine handliche Kameras an Windschutzscheibe oder Amaturenbrett montieren? Schließlich gehört der Schutz des Eigentums zum Wesen des Liberalismus, jener philosophischen Denkströmung, die dem modernen Recht, wie wir es heute kennen, den Weg ebnete.
So schrieb John Locke, einer der geistigen Väter des Liberalismus 1689 in seiner Schrift "Zwei Abhandlungen über die Regierung", dass jeder Mensch das Recht habe, "über seinen Besitz und seine Person zu verfügen, wie es einem am besten scheint - ohne jemandes Erlaubnis einzuholen und ohne vom Willen eines anderen abhängig zu sein". Was tun Dashcam-User anderes als selbstbestimmt über ihr Eigentum zu verfügen? Was tun sie anderes, als ihren Besitz durch Indienstnahme moderner Technik eigenverantwortlich und effektiv zu schützen?

Paranoider Dashcam-Depp negiert Freiheit des Menschen

Auf den zweiten Blick allerdings offenbart sich der Dashcam-Autofahrer als hochgefährliche Perversion der liberalen Idee. Angetreten ist der Liberalismus einst, um das natürliche Recht auf Leben, Freiheit und Eigentum gegen den Staat zu verteidigen. Die Kolonisierung Amerikas durch das mächtige England und die Sklaverei als Fundamentalverletzung des menschlichen Naturrechts: Das waren die entscheidenden historischen Erfahrungen, die zur Ausformulierung der liberalen Verteidigung der Freiheit führten. Emphatische Renaissancen erfuhr diese Strömung entsprechend immer dann, wenn der Staat das Leben von Individuen einschränkte, kontrollierte, gar vernichtete.
Genau hier liegt der springende Punkt: Der Dashcam-User verteidigt seine Freiheit, verteidigt seinen Besitz, verteidigt sein Leben nicht gegen den Staat. Er verteidigt sich gegen andere Bürger, indem er sich selbst zum Agenten des Staates macht. Der Dashcam-User ist ein missmutiger, misstrauischer und missgünstiger Möchtegernpolizist, der aus dem Innenraum seines Besitzes heraus unausgesetzt die Außenwelt filmt, weil er diese als permanente Bedrohung wahrnimmt.
Daraus folgt: Im paranoiden Dashcam-Deppen verwirklicht sich die Freiheit des Menschen nicht, sie wird durch ihn gerade umgekehrt negiert. Ein Autofahrer, der seine Kamera wie eine Waffe auf seine Mitmenschen richtet, erblickt in ihnen ganz offenkundig vornehmlich potenzielle Kriminelle, die es rund um die Uhr in Schach zu halten gilt. Ein liberaler, demokratischer Staat, der ein solches Verhalten legitim und legal findet und als "geringen Eingriff ins Persönlichkeitsrecht" verharmlost, untergräbt sein eigenes Fundament.
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