Autorin Smechowski über Alltagssexismus

"Wir wissen genau, wo eine Grenze ist"

Eine Frau wehrt mit ausgestrecktem Arm einen Mann ab.
Manche Männer glauben, ihnen werde etwas weggenommen. Doch in einer freien Gesellschaft profitieren alle, meint Emilia Smechowski. © imago / Reporters
Emilia Smechowski im Gespräch mit Marcus Pindur · 26.01.2018
Was ist noch Flirt, was schon sexuelle Belästigung? Emilia Smechowski kann diese Frage nicht nachvollziehen: Jeder spüre doch, wenn sich das Gegenüber unwohl fühle.
Ein paar Jungs, die Emilia Smechowski "Na, meine Süße" hinterriefen, entschuldigten sich umgehend bei ihr. Die Autorin hatte sie auf ihr Verhalten angesprochen. Es ist eines von mehreren Beispielen, über die sie im Magazin der Süddeutschen Zeitung geschrieben hat. Was Smechowski erstaunte: "Ich hätte härtere Reaktionen erwartet." Stattdessen seien fast alle Gespräche geglückt - weil es überhaupt zum Gespräch kam und es keine Aggressionen gab. Bis dato hatte Smechowski den latenten Alltagssexismus weitestgehend ignoriert, "wie so ein störendes Rauschen, das man versucht auszublenden".
Die Schriftstellerin Emilia Smechowski bei der Buchmesse in Frankfurt
Die Schriftstellerin Emilia Smechowski bei der Buchmesse in Frankfurt© imago stock&people
Männer wüssten im Grunde, wie man sich verhalten sollte, würden aber dennoch Sexismus "latent mitbekommen", weil "wir immer noch in patriarchalischen Strukturen leben". Smechowski beobachtet aber eine positive Entwicklung:
"Das ist so der Punkt, an dem wir vielleicht gerade sind: 'Ich habe das nicht so gemeint' - und an dem müssen wir weitermachen."

Eine Gesellschaft, die uns alle freier macht

Und was ist mit der angeblichen Verunsicherung von Männern, die meinen, sie wüssten nicht mehr, wie sie sich korrekt verhalten sollten?
"Ich kann das nicht so ganz verstehen, was damit gemeint sein soll, weil wir eigentlich - und das ist völlig geschlechterunabhängig übrigens - genau wissen, wo eine Grenze ist. Oder zumindest spüren wir, dass wir eine Grenze berührt haben beim anderen, wenn es zum Beispiel peinlich still wird plötzlich (...) Wir spüren doch, wenn unser Gegenüber sich unwohl fühlt. (…) Jeder, der irgendwie empathisch ist, spürt so was. Es geht doch darum, diese Grenze herauszufinden oder zu sehen, also nicht nur auf sich selber zu achten, sondern auch auf den anderen."

Noch gebe es "Relikte"

Das Gespür sei individueller als wir glauben und weniger genderspezifisch, meint Smechowski. "Relikte" wie die Vorstellung "Der Mann geht mehr ran, und die Frau ist die, die erobert werden will" gebe es noch. Aber:
"Das ist ja auch die Hoffnung einer veränderten Gesellschaft, dass es uns alle freier macht, und nicht nur die Frauen. Das ist so ein typisches Missverständnis - dass manche Männer glauben, es würde ihnen etwas weggenommen. Ich glaube, dass alle davon profitieren." (bth)

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