Autorin Nell Zink zur US-Wahl

"Es wird wehtun in den nächsten Tagen"

06:49 Minuten
Porträt der US-amerikanischen Schriftstellerin Nell Zink
Nell Zink versetzte sich mit "Zauberberg"-Lektüre in einen Trancezustand, bevor sie am Morgen nach der US-Wahl die Nachrichten anschaute. © Getty Images / David Levenson
Moderation: Joachim Scholl · 04.11.2020
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Die US-Wahl hat kein klares Ergebnis, doch Präsident Trump ruft sich zum Sieger aus. Die in Brandenburg lebende US-Autorin Nell Zink rät, sich von "platten Sprüchen auf Twitter" nicht provozieren zu lassen. Sie empfiehlt gegen innere Unruhe das Lesen.
Die Vereinigten Staaten haben gewählt. Noch steht nicht fest, wer der nächste Präsident der USA ist. Allerdings hat sich der bisherige Präsident, Donald Trump, inzwischen zum Wahlsieger erklärt.
Die US-amerikanische Schriftstellerin Nell Zink, die in Bad Belzig in Brandenburg lebt, sagt dazu mit einem Lachen: "Ich wäre enttäuscht, wenn er das nicht machen würde. In seinem Kopf ist er Diktator. Auf Twitter ist er Diktator." Aber die USA seien noch nicht so weit.
Am Morgen nach der Wahl habe sie zunächst 20 Minuten im "Zauberberg" von Thomas Mann gelesen, bevor sie sich die Nachrichten im Internet angeschaut habe. Sie habe die aktuelle Situation erwartet, also dass der von vielen erhoffte klare Sieg Joe Bidens ausgeblieben ist. Denn die Wähler der Demokraten stimmten häufiger per Briefwahl ab als die Wähler der Republikaner. Sie selbst nutze auch die Briefwahl.

Corona und Rassismus nicht entscheidend

Eine Umfrage zu wahlentscheidenden Themen kam gerade zu dem Ergebnis: 35 Prozent der Befragten nannten die Wirtschaft als wichtigstes Entscheidungskriterium für einen der beiden Kandidaten, 20 Prozent den Rassismus, 17 Prozent die Corona-Epidemie. In Zinks Roman "Virginia" aus dem Jahr 2015 – er ist 2019 auf Deutsch erschienen – spielt das Thema Rassismus eine zentrale Rolle. Zeigt diese Umfrage jetzt, dass der Rassismus in den USA insgesamt nicht die Rolle gespielt hat, wie man hierzulande den Eindruck hatte?
"Der Rassismus ist universell und stark und wird durch die unkontrollierte Migration in den USA genauso befördert wie in Deutschland", sagt Zink. Aber man müsse bedenken: "Die meisten Menschen haben nicht VWL studiert. Wenn die 'Wirtschaft' sagen, meinen sie ihre Steuern. Es ist Fakt, dass man mit den Republikanern weniger Steuern zahlt. Man kriegt auch weniger vom Staat zurück." Aber soweit könnten oder wollten die meisten nicht denken. "Dagegen müssen die Demokraten jedes Mal ankommen mit irgendeinem Thema, das stärker ist als Steuern. "Das ist nicht so einfach."

Mit dem "Zauberberg" in Trance versetzen

Dass es Unruhen geben werde in den nächsten Tagen, bis ein Sieger feststeht, erwarte sie nicht, sagt Zink. Die entsprechenden Gruppierungen seien klein. Es gebe keine Anzeichen, dass etwa das Militär oder die Nationalgarde zu Trump überläuft und einen Coup veranstalte.

„Wenn sie in fast dreißig Jahren keinen Mann getroffen hatte, einfach keinen, der von einer ausschließlichen Bedeutung für sie geworden war, jemand, der stark war und ihr das Mysterium brachte, auf das sie gewartet hatte, keinen, der wirklich ein Mann war und nicht ein Sonderling, Verlorener, ein Schwächling oder einer dieser Hilfsbedürftigen, von denen die Welt voll war, dann gab es den Mann eben nicht, und solange es diesen neuen Mann nicht gab, konnte man nur freundlich sein und gut zueinander, eine Weile.“

– Ingeborg Bachmann

"Ich erwarte, dass es wehtun wird die nächsten Tagen", sagt Nell Zink. Denn Trump werde versuchen, die Leute und vor allem seine Gegner aufzustacheln und hysterisch zu machen. "Er weiß, dass er das sehr schnell erreichen kann mit ein paar platten Sprüchen auf Twitter." Man müsse das über sich ergehen lassen. "Da muss man sich wieder zurück in den Trancezustand versetzen, den ich heute Morgen erreicht hatte mit dem 'Zauberberg'."
(abr)
Die deutsche Schriftstellerin Annette Mingels berichtet von der Wahlnacht aus Kalifornien, wo sie seit zwei Jahren lebt. Der Wahlausgang sei für viele eine existenzielle Frage. Sie überlegten, ob sie bei einem Sieg von Trump in den USA bleiben möchten oder lieber nach Kanada auswandern. Sie kenne einige Familien, in denen die politische Situation dazu geführt habe, dass nicht mehr miteinander gesprochen werde. Hören Sie das ganze Gespräch mit Annette Mingels:
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