Autorin der Vorlage zum Berlinale-Film "My Salinger Year"

"Der Film hat meine Prosa perfekt eingefangen"

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Joanna Rakoff spricht bei der Pressekonferenz zum Film "My Salinger Year" bei den 70. Internationalen Filmfestspiele Berlin
"Er ist so populär, wie kann er dann gut sein?" Das habe sie lange über den Autor J.D. Salinger gedacht, sagt Joanna Rakoff. © imago images / snapshot / F Boillot
Von Stephanie von Oppen · 21.02.2020
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Joanna Rakoff hat die Vorlage zum Eröffnungsfilm der Berlinale "My Salinger Year" geschrieben. Sie erzählt, wie sie über das Bearbeiten von Fanpost an J.D. Salinger zum Schreiben kam. Der Kultautor sei ihr bis dahin zu populär gewesen, sagt sie.
Die literarische Vorlage zum Berlinale-Eröffnungsfilm "My Salinger Year" geht auf ein autobiografisches Werk der US-amerikanischen Autorin Joanna Rakoff zurück. In ihrem Memoire erzählt sie, wie sie Mitte der 90er Jahre ein Jahr in einer New Yorker Literaturagentur gearbeitet hat. Ihre Aufgabe war es, Fanpost an J.D. Salinger, den Autor von "Der Fänger im Roggen", zu bearbeiten. Anstatt der üblichen Standardbriefe verfasste sie sehr persönliche Texte und entdeckte dabei ihre Freude am kreativen Schreiben.
Auf der Berlinale ist Joanna Rakoff begeistert von der filmischen Umsetzung ihres Romans durch den Regisseur Philippe Falardeau: "Er hat wirklich verstanden, was die Charaktere fühlen, wie ihre Beziehungen funktionieren. Der Film hat meine Prosa perfekt eingefangen", sagt sie im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur. Dabei sitzt sie in einem üppigen Kleid mit bunten Blumen auf schwarzem Grund in einer der Berlinale-Lounges. Ihr Gesicht wird von dicken Locken eingerahmt. Äußerlich hat sie mit der Schauspielerin Margaret Qualley, von der sie in "My Salinger Year" gespielt wird, wenig gemein.
Ihre Liebe zur Literatur, so erzählt sie, habe sie schon als Kind entdeckt. Bei ihr zu Hause in einem Vorort von New York gab es eine riesige Bibliothek, und alle hätten rund um die Uhr gelesen. "Das war mein einziges Hobby und ist auch heute noch mein einziges Hobby."
Sie hat englische Literatur studiert. Und nach ihrem Jahr mit Salinger in der Literaturagentur ist das Schreiben ihr Beruf geworden. Als Journalistin arbeitet die 48-Jährige für verschiedene renommierte US-amerikanische Zeitungen. Ihr erster Roman erscheint 2009, "A Fortunate Age". Es ist die Geschichte von sechs jungen College-Absolventen, die versuchen, in New York Fuß zu fassen. Auch "My Salinger Year", das fünf Jahre später erscheint, spielt ausschließlich im Milieu der intellektuellen New Yorker Bohème. Und dass Joanne Rakoff, wie in Buch und Film erzählt, kein Wort von Salinger kannte, auch als sie in der Agentur schon monatelang seine Fanpost bearbeitet hatte, stimmt tatsächlich.
"Meine Eltern waren große Salinger-Fans und wir hatten mehrere frühe Editionen von Salinger in unseren Bücherregalen." Aber sie habe sich für intellektueller gehalten als ihre Eltern. "Ich wollte nur diese dicken 19.-Jahrhundert-Romane lesen, vor allem Romane von Frauen." Sie dachte, Salinger sei ein Autor, der lustiger, schräger, schlauer ist, als es ihm gut tut. "Außerdem dachte ich: Er ist so populär, wie kann er dann gut sein?"

Neuer Roman über Abgründe ihrer Familiengeschichte

Ausgerechnet Salinger wurde also zu einer Art Geburtshelfer für ihr Schreiben. Ihr Buch und natürlich auch der Film ist eine Liebeserklärung an die Literatur. Sie sei wie ein "Aphrodisiakum", heißt es in "My Salinger Year". Dass die Buchbranche auch ein hartes Geschäft ist, wird aber ebenso deutlich.
Joanna Rakoff steckt gerade in den letzten Zügen ihres neuen Romans. Diesmal begibt sie sich in die Abgründe ihrer eigenen Familiengeschichte und lüftet ein lange wohlbehütetes Geheimnis.
Sie sei in dem Glauben aufgewachsen, nur eine 18 Jahre ältere Schwester zu haben, zu der ihre Eltern eine verwirrende Beziehung gehabt hätten. "Sie verschwand manchmal für längere Zeit und meine Eltern waren immer wütend auf sie", sagt Rakoff. "Und dann stellte sich eines Tages heraus, dass es in meiner Familie noch zwei Geschwister gegeben hatte, zwischen meiner Schwester und mir, die ein Jahr vor meiner Geburt getötet worden waren – und meine Eltern hatten mir das verschwiegen." Ihr neues Buch werde dieses Geheimnis lüften, kündigt sie an.
(abr)
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