Vorbereitung zum 100. Jahrestag in Kiel

Stadt sucht Dokumente vom Matrosenaufstand

Blick auf demonstrierende Matrosen in Kiel im Oktober 1918, die den Befehl der Admiralität, trotz des Ersuchens um Friedensverhandlungen der neuen Regierung Max von Baden doch noch zu einer letzten Schlacht gegen Großbritannien auszulaufen, verweigern.
Blick auf demonstrierende Matrosen in Kiel im Oktober 1918, die den Befehl der Admiralität verweigern. © picture-alliance / dpa
Von Johannes Kulms · 06.07.2016
Die Stadt Kiel bereitet sich bereits darauf vor, 2018 an den 100. Jahrestag des Matrosenaufstands zu erinnern. Kulturpolitiker und Filmemacher wenden sich jetzt an die Medien - sie suchen Originaldokumente und Angehörige von Beteiligten.
"Schleswig-Holstein. Der echte Norden". Mit diesem Slogan wirbt das Bundesland seit mehreren Jahren – und wurde dafür immer wieder belächelt.
Wäre nun irgendein Marketing-Stratege auf der Suche nach einem neuen Leitspruch für die Landeshauptstadt, könnte ein Diskussionsvorschlag lauten: "Kiel. Die echte Wiege der deutschen Demokratie". Natürlich würde das unglaublich anmaßend klingen. Schließlich gibt es in ganz Deutschland verteilt so einige Wiegen, der noch gar nicht so alten Demokratie.
Und doch ist die Stadt an der Förde mit einem besonderen Ereignis verbunden: Dem sogenannten Matrosenaufstand vom 3. November 1918:
Wolfgang Röttgers: "Für uns in Kiel – und ich glaube, dass es da heute keinen Streit mehr drüber geben wird – ist es vielleicht auch das entscheidende Datum, das entscheidende geschichtliche Datum."
Sagt Wolfgang Röttgers, Kulturdezernent der Stadt Kiel:
"Ohne das, was in Kiel passiert ist, hätte es vieles andere, was dem nachfolgte, nicht geben können."
Zunächst hatten sich in Wilhelmshaven Ende Oktober 1918 mehrere Besatzungen der Kaiserlichen Marine geweigert, noch einmal mit ihren Schiffen auszulaufen. Denn, dass der Erste Weltkrieg verloren war, war längst klar. "Ehrenvoll untergehen" – wie es die Marineführung vorsah – wollten die Seeleute nicht. Prompt wurde das III. Geschwader der Hochseeflotte nach Kiel verlegt – und mit ihr 5000 Mann Besatzung.

Große Welle der Solidarisierung

Und dann ging Anfang November 1918 alles ganz schnell: In Kiel solidarisierten sich Marine-Mannschaften, Werft-Arbeiter, Gewerkschafter und Sozialdemokraten mit den Matrosen. Aus der Fördestadt breitete sich die sogenannte Novemberrevolution rasch über das damalige Deutsche Reich aus. Das Ende des Ersten Weltkriegs, das Ende der Monarchie und die Gründung der Weimarer Republik und mit ihr der parlamentarischen Demokratie – für all das war der Kieler Matrosenaufstand eine wichtige Triebfeder.
Nun nähert der der 100. Jahrestag und das Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseum plant eine umfangreiche Ausstellung. Leiterin Doris Tillmann macht deutlich:
"Die Quellenlage zum ganzen Thema ist ungeheuer schwierig. Das hat auch mit der langen Rezeptionsgeschichte zu tun. Das ganze Thema Matrosenaufstand und früher hieß es Meuterei und ich weiß nicht was – ist überlagert von einer Rezeptionsgeschichte zwischen Ost und West."
Rasch nach Kriegsende wurde der Matrosenaufstand Teil der sogenannten Dolchstoßlegende. Die DDR-Geschichtsschreibung stellte den Matrosenaufstand und die Novemberrevolution als eine wichtige Etappe zu einem sozialistischen Staat dar. Auch in der westlichen BRD wurde lange gestritten über die Deutung.

Fokus auf Perspektive der Seeleute

Die Kieler Ausstellung will ihren Fokus auf die Perspektive der Seeleute legen. Und ist dabei auf die Hilfe der Bevölkerung angewiesen:
"Wir haben eine Lücke dort, wo es immer heißt: Die Revolution ist von Kiel ins ganze Reich getragen worden, Kiel war der Katalysator und dann ging es weiter. Und genau diese Aussage, die können wir überhaupt nicht füllen, die können wir überhaupt nicht fassen. Wir wissen ganz wenig darüber, wie ist das weitergetragen worden. Was wir allerdings wissen, ist, dass eine ganz große Anzahl der Matrosen nicht Kieler waren."
... sondern aus allen Teilen des damaligen Deutschen Reiches kamen.

Mithilfe der Bevölkerung gefragt

Und genau hier will das Museum ansetzen – mit einem Aufruf, der hinausgehen soll nach Norddeutschland, aber ebenso nach Bayern, Baden-Württemberg oder in andere Regionen. Mal ganz genau nachzuschauen auf Dachböden oder in Kellern, ob da nicht noch etwas rumliegt, das die Vorfahren aus Kiel mitgebracht haben.
Doris Tillmann: "Mag es Briefe sein, mag es ein Foto sein, mag es einfach eine Familienerinnerung sein, die kolportiert wurde ... "
Denn was genau die Seeleute damals bewegte, wie sich fühlten, aber auch, wie sie ihre Entscheidungen trafen – darüber sei bisher nur wenig bekannt.
Das Material soll auch einfließen in ein 90-minütiges Dokudrama zum Matrosenaufstand, das der NDR zusammen mit Arte produziert und 2018 ausstrahlen will. Rund zwei Drittel des Films sollen Spielfilmszenen werden, sagt Regisseur Jens Becker und verweist auf die dünne Quellenlage. Natürlich sei das ein Spagat:
"Ich glaube, jetzt ist so der frühestmögliche Zeitpunkt – dieses hundertjährige Jubiläum, wo man sich vielleicht doch einigen kann: Es war `ne Revolution und es war etwas, worauf man stolz sein kann. Und ich glaube, sowohl die Ausstellung als auch der Film können da wichtige Akzente setzen, um das im Bewusstsein der Bevölkerung auch zu verankern."
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