Autor Moritz Rinke

"Wie lange werden wir noch ganze Bücher lesen?"

35:33 Minuten
Moritz Rinke steht auf einem Weg und wird aus leicht erhöhter Position fotografiert
In seinem neuen Buch setzt Moritz Rinke den Postboten auf Lanzarote ein Denkmal. © Peter Sickert
Moderation: Tim Wiese · 25.10.2021
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Mit seinen Theaterstücken ist Moritz Rinke bekannt geworden. Jetzt hat der amtierende Autoren-Fußball-Weltmeister seinen zweiten Roman geschrieben. Spielort: seine Lieblingsinsel Lanzarote. Thema: Praktisch alles, was die Welt aktuell bewegt.
Pedro, ein Postbote auf Lanzarote, das ist der Protagonist in Moritz Rinkes jüngstem Roman: "Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García".
Eines der Themen im Buch sind die Folgen der Digitalisierung. Für Pedro hat das ganz konkrete Auswirkungen. Da kaum noch Briefe verteilt werden müssen, Pakete von privaten Anbietern zugestellt werden, sitzt er die meiste Zeit in Cafés herum.
Pedro, so Rinke, stehe für so viele ehemals stolze Postboten, die er in den letzten Jahren kennengelernt hat. Lanzarote entdeckte der Autor einst für das Schreiben. Über die Jahre hat ihm die Insel auch Stoff für neue Geschichten geliefert.
"Ich habe mich immer gewundert, dass in jedem Café so einen Mann neben mir saß, mit einer blauen Uniform und einer spanischen Krone drauf. Und ich fragte mich: `Was machen sie eigentlich den ganzen Tag?‘"

Von der Digitalisierung aus der Welt geworfen

Wenig später wusste Rinke nicht nur bestens über deren Arbeitsalltag Bescheid, sondern hatte auch von der früheren Bedeutung der Postboten erfahren.
"Die werden quasi durch die Digitalisierung aus der Welt geworfen. Ein Postbote, den ich kennenlernte, der organisierte ganze Postbotenfamilien für mich." Die Briefträger, so lernte Rinke bei diesen Treffen, brachten nicht nur die Briefe, sondern lasen daraus vor und halfen bei der Beantwortung. Denn viele Inselbewohner konnten weder lesen noch schreiben. "Sie waren quasi das Kommunikationsmittel für die Menschen dort. Sie haben deshalb einen ganz besonderen Stolz."
Sein neues Buch, das ist Moritz Rinke wichtig zu erwähnen, "ist kein kulturpessimistischer Roman". Neben dem Postboten spielt ein Geflüchteter eine große Rolle, nicht zu vergessen der Weltfußballer Lionel Messi. Und ganz wichtig, auch der Literaturnobelpreisträger José Saramago ist eine zentrale Figur im Buch. Ein Zufall, aber für Rinke ein schöner, der portugiesische Autor lebte bis zu seinem Tod 2010 ebenfalls auf Lanzarote.
Für Rinke stehe der Postbote auch als Metapher für die Veränderungen in der Buchbranche. Die Art und Weise wie auch dort kommuniziert werde, in welcher Geschwindigkeit, das führe für ihn zur Frage: "Wie lange werden wir noch den Atem haben, ganze Bücher zu lesen?"

"Die ganze Branche starrt nur aufs Handy"

Wie sehr der Büchermarkt in Bewegung sei, das habe er gerade in Frankfurt erlebt. "Wenn ich mir anschaue, ich war auf der Buchmesse, wie mehr oder weniger die ganze Branche eigentlich nur in ihr Handy starrt, sich die Buchmesse auch scheinbar in diese Accounts verschoben zu haben scheint, weil die wirklichen sogenannten Erregungen bei Instagram stattfinden. Ob es nun die Absage einer Autorin ist, Bücher, über die wir reden, die wir teilweise gar nicht gelesen haben. Also diese Pauschalisierungswelle, das hat viel mit den sozialen Medien zu tun."
Geboren wurde Moritz Rinke 1967 in Worpswede. In dem kleinen Ort bei Bremen, den Maler wie Paula Modersohn-Becker oder Otto Modersohn berühmt machten, habe es eigentlich "nur Bauern und Künstler" gegeben. Die Mutter war Schauspielerin, der Vater Goldschmied. "Alle sollten natürlich Maler werden, ich auch."

Lieber Fußballer statt Maler

Um gerade nicht den Wünschen der Eltern zu entsprechen, hätten viele der Freunde einen ganz anderen Beruf ergriffen, Automechaniker oder Banker, erzählt Rinke. Auch er habe lieber Fußballer werden wollen.
"Statt Bücher lagen immer Fußbälle im Regal. Meine Mutter hat dann wieder Lessing, Faust und Schiller in die Buchregale geschoben, ich habe die dann wieder leer geräumt, Tennis- und Fußbälle hineingelegt."
Zur großen Sportkarriere hat es beim studierten Theaterwissenschaftler nicht gereicht, aber immerhin zum Weltmeister in der Autoren-Nationalmannschaft. Wer hier spielen will, der muss ein Probetraining überstehen und zwei Werke vorlegen, so Rinke. Einige Nationen würden hier auch schummeln und Profispieler ins Team holen.
Moritz Rinke, das ist amtlich, hat mehr als zwei Werke geschrieben. Neben Büchern verfasste der 54-Jährige auch zahlreiche Theaterstücke, Kolumnen und Reportagen, wurde mehrfach ausgezeichnet.
All diese Tätigkeiten seien auch der Grund dafür, warum es zehn Jahre brauchte, um seinen zweiten Roman vorzulegen. Ach ja, auch das kam in den letzten Jahren noch hinzu: "Ich wurde Vater. Und ich finde, es gibt nichts Schöneres als Kinder."
(ful)

Moritz Rinke: "Der längste Tag im Leben des Pedro Fernandez Garcia"
Kiepenheuer und Witsch, Köln 2021
448 Seiten, 24 Euro

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