Autor, Krieger, Offizier, Chronist

Rezensiert von Florian Felix Weyh · 20.01.2008
Während des Ersten Weltkrieges wurde Ernst Jünger mit seinen Kriegsbüchern berühmt, war später glühender Nationalist und Antidemokrat, aber beteiligte sich am Widerstand gegen Adolf Hitler. Geboren im Kaiserreich und gestorben nach der Wiedervereinigung galt der Schriftsteller als Jahrhundertgestalt. Zehn Jahre nach seinem Tod erscheinen zwei Biografien des Rechtsintellektuellen.
"Der Tag in Wilflingen begann - wie seit Jahrzehnten - mit einem kalten Wannenbad, das auch dann nicht ausgesetzt wurde, wenn die Wassertemperatur im Winter auf zehn und schließlich auf vier Grad Celsius sank. Dem folgten Seilspringen und ein ausgiebiges Frühstück, dann Arbeit im Haus, dann ein ’kleiner Waldgang’ von etwa zwei Stunden Dauer."

So kannte man ihn, den zähen Hundertjährigen, der kein Jota von seinen Gewohnheiten abwich. Ernst Jünger, ein Phänomen des Gleichmuts und der Abhärtung, unempfindlich gegen die Widrigkeiten des Lebens und des Todes:

"Gleichgültigkeit ist eine meiner Haupteigenschaften, ich glaube, wenn ich hingerichtet werden sollte, würde ich noch eine Stunde vorher über die Unsterblichkeit der Maikäferseele oder verwandte Probleme nachdenken."

Der Autor Ernst Jünger wurde zeitlebens mehr bestaunt als seine Texte. Über die Texte stritt man - leidenschaftlich, heftig, mit größerer moralischer Emphase als bei jedem anderen deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Der Mensch aber, Autor und Krieger, Offizier und Chronist, blieb dem zivilen Leser stets ein Rätsel.

Seine psychologische Verfassung, die intellektuelle Motivlage seines Schreibens schienen aus einer Welt zu kommen, in der es nicht eben viele Wesensverwandte gab, vielleicht waren sie alle in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs geblieben. Und Jünger tat nicht viel, um diese Kluft zwischen ihm und seinen zivilen Zeitgenossen zu überwinden. Erst ein Jahrzehnt nach seinem Tode ist nun das Terrain für Biografen freigeworden, die hinters Werk blicken und die literarische Lizenz zur Indiskretion, ja, zum Schlafzimmereinblick nutzen mögen.

"Die Verbindungstür vom Schlaf- zum Badezimmer hat der Hundertjährige in kindlicher Sammelleidenschaft mit zahlreichen Aufklebern bepflastert. In der Mitte ’Ich bin Energiesparer’, darüber ein vierblättriges Kleeblatt, ’Ocupado’, ’Do not disturb’, ’Je suis un tendre!’, ’Türe ab 21 Uhr abschließen’, ’Reserviert’, ’Zimmer kann gereinigt werden’, ’No molestar’, ’Moi j'aime’, ’Bitte nicht stören’, ’Besetzt’."

Das ist auf zusammengenommen 1300 Seiten beider vorliegenden Bücher von Heimo Schwilk und Helmut Kiesel aber auch schon alles an Schlüssellochperspektive. 103 Jahre Lebenszeit in Kontakt zu den Großen, auch zu den großen Unheilstiftern, der Epoche bedürfen solcher sonst üblichen Aufpeppungen nicht: Jüngers Biografie und deren Verzahnung mit einem Werk, das sich wiederum im ersten Lebensdrittel mit der Politik seiner Zeit enger verzahnte, als es dem späteren Greis lieb war, werfen genügend Stoff ab, um dem erzählerisch orientierten Heimo Schwilk wie auch dem akademisch nüchternen Helmut Kiesel Ausflüge ins dokumentenlose Ungefähr des Privatlebens zu ersparen.

Als Mangel teilt sich das in keinem der Bücher mit, sie ergänzen sich passabel. Selbst bei einer Lektüre in kurzem Zeitabstand hintereinander hat man nie das Gefühl einer Dopplung, sondern stets das der anregenden Perspektiverweiterung. Während Heimo Schwilk im Duktus des Dabeiseins schreibt, nämlich im Präsens, und die Stimmungslagen des Ersten Weltkriegs glaubhaft nachempfindet - fast das gesamte erste Drittel seines Buches beschäftigt sich mit der Urkatastrophe des Zwanzigsten Jahrhunderts - bettet der Germanist Kiesel die Jüngerschen Erlebnisse, Aufzeichnungen und Bearbeitungen in einen historisch-akademischen Zusammenhang ein. Beide arbeiten quellenkritisch, nehmen das gedruckte Wort nicht als bare Münze, sondern versuchen sich dem "wahren Jünger" - so es ihn gibt - über handschriftliche Äußerungen in Briefen und Kladden zu nähern.

Heimo Schwilks Biografie hat dabei eindeutige Vorzüge in der Schul- und Jugendzeit. Sie bedeutete eine prägende Erfahrung der Entwurzelung für Ernst Jünger, ein Leben mit zigfachen Orts- und Schulwechseln, das die Flucht in die Literatur zu Lasten sozialer Bindungen beförderte; Freundschaft konnte für Ernst Jünger nie ein großes Wort werden. Helmut Kiesel erwirbt größere Meriten bei der Analyse der kruden nationalrevolutionären Publizistik Jüngers in der Weimarer Republik, doch blinde Stellen können sich beide Biografie-Konkurrenten kaum gegenseitig vorwerfen. Manchmal greifen ihre Schilderungen sogar Hand in Hand, etwa wenn Schwilk aus den Erinnerungen eines Zeitgenossen jene Szene zitiert, in der Ernst Jünger auf anarchisch-wilde Art Möbel verheizt. Er rief:

"’Wir sind doch Feinde der bürgerlichen Ordnung, nicht wahr?’ und trat, ehe sich Zustimmung oder Widerspruch erheben konnte, das Vertiko ein, dessen Holz in den Ofen gesteckt wurde. Gretha sah uns freundlich zu: ’Na, das passt Euch alten Feuerfritzen wohl?’, und Ernst Jünger sprach über das Verhältnis der Anarchie zum Chaos, das in den Zerstörungen der Flamme, in der Fruchtbarkeit der Asche des im Herbste verbrannten Holzes und in den Gedichten und Feuersprüchen der Entflammten zu beobachten sei."

Auch Helmut Kiesel lässt sich diesen plakativen Auftritt nicht entgehen, merkt dann jedoch an:

"Freilich vergaß Friedrich Hielscher hinzuzufügen, dass es sich dabei, wie aus Gretha Jüngers Silhouetten zu ersehen ist, um einen einmaligen Vorgang aus dem kalten Winter 1929 handelte, in dem ganz Berlin unter Brennstoffmangel litt, und dass es sich bei den Möbeln um alte Stühle und Kisten handelte, die im Keller abgestellt waren."

Ironischerweise tragen beide Stellen beinahe identische Seitenzahlen, was den Schluss nahelegen könnte, die Bücher seien gleich aufgebaut. Tatsächlich loten sie jedoch das weite Terrain der Biografie auf jeweils eigene Art aus. Heimo Schwilk erzählt das Leben Jüngers weitgehend chronologisch nach, immer auf der Suche nach handlungsleitenden Mustern, wobei er angenehmerweise keinen psychoanalytischen Klischees anheimfällt. Helmut Kiesel, der Germanist, ist davor nicht immer gefeit, liefert andererseits aber erhellende Analysen der Metaphorik Jüngers und arbeitet das aktionistische Lebensmotiv heraus, "dass aller Erfolg der Tat des Einzelnen entspringt", so bemerkte Jünger einst selbst. Zudem befördert Kiesel verblüffende Nachbarschaften antiparlamentarischer Radikalität ans Licht, was freilich auch daran liegt, dass der Stoff beiden Biografen eine Haltung abnötigt: Man kann diesem Leben nicht neutral gegenübertreten. Helmut Kiesel erweist sich dabei als der energischere Verteidiger Jüngers, er denkt die Vorbehalte seiner Leser stets mit, um sie dann im nächsten Atemzug zu entkräften:

"Die Weimarer Republik ist nicht an Ernst Jünger zugrunde gegangen, und der Anteil, den er als Repräsentant der antiparlamentarischen Rechten an ihrem Untergang gehabt haben mag, wird nicht größer sein als der Anteil, den die zahlreichen prominenten Vertreter der antiparlamentarischen Linken gehabt haben dürften. Man sollte Jüngers Einfluss auf den Gang der deutschen Geschichte nicht überschätzen; es gab andere Wirkungspotenzen","

heißt es schon in der Einleitung und später wird Kiesel noch deutlicher, denn die unappetitlichen Kampfschriften Jüngers von 1923 bis 1933 lassen sich nicht schweigend übergehen.

""Die ökonomischen und sozialen Verhältnisse in Deutschland waren so beschaffen, dass man die Tauglichkeit des Parlamentarismus durchaus in Zweifel ziehen konnte, zumal wenn man nicht überzeugter Demokrat war, sondern auch andere Herrschaftsformen für legitim hielt. Unter diesen Umständen war die Faszination, die von Hitler und seiner ’Bewegung’ ausging, beträchtlich; sie sprach gerade diejenigen an, die eine grundlegende politische, soziale und moralische Erneuerung Deutschlands für nötig hielten. Wohin, wenn nicht zu den Kommunisten, sollten sie sonst gehen? War doch die ’Hitlerjugend’, wie Bloch 1924 auch schrieb, zu dieser Zeit ’die einzige revolutionäre Bewegung in Deutschland’!"

An solchen Sätzen, einmal nicht von Jünger, sondern von einem seiner Biografen ausgesprochen, werden sich erneut die Geister scheiden. Eines bleibt nach der Lektüre beider Bücher jedoch gewiss: Auch wenn es dem Kulturbetrieb über Jahrzehnte sauer aufstieß, besaß die deutsche Literatur mit Ernst Jünger einen hochkarätigen Rechtsintellektuellen, der nicht deswegen abzuqualifizieren war, weil sein Denken nicht im Mainstream mitmarschierte. Da haben es sich viele seiner Gegner zu leicht gemacht, die sich an Äußerlichkeiten beim Pour-le-Merite-Träger festbissen. Zugegeben: Seine Apercus provozieren bis heute in ihrer blasierten Arroganz.

"Wenige sind es wert, dass man ihnen widerspricht","

sagt Jünger, aber das ist ja auch das Schöne, nachgerade Erholsame an seinen Büchern. Sie verweigerten sich zeitlebens jeglicher Anpassung und blieben nach 1968 Solitäre in einem Zeitgeistmilieu, das der konservative Literaturkritiker Hans-Egon Holthusen spitz, aber nicht untreffend so charakterisierte:

""Wer es gewohnt ist, sich tagtäglich unter Zornigen und Entrüsteten, unter Weltanklägern und Sozialhypochondern zu bewegen, der wird die starke, unbeugsame, männliche Serenität der Jüngerschen Sprache als ein Labsal empfinden."

Helmut Kiesel: Ernst Jünger. Die Biographie
Siedler Verlag, München 2007

Heimo Schwilk: Ernst Jünger. Ein Jahrhundertleben
Piper Verlag, München 2007
Heimo Schwilk: Ernst Jünger - Ein Jahrhundertleben (Coverausschnitt)
Heimo Schwilk: Ernst Jünger - Ein Jahrhundertleben (Coverausschnitt)© Piper Verlag