Autor Fuchs: NSU-Mitglieder haben Unterstützer kaum eingeweiht

Christian Fuchs im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 15.06.2012
Für Christian Fuchs, einen der beiden Autoren eines neuen Buchs über die Ermittlungen gegen die Zwickauer Neonazi-Zelle, haben nicht nur die Ermittler versagt, sondern die gesamte Öffentlichkeit. Die Gesellschaft sei auf dem rechten Auge blind gewesen, sagte der Journalist und Autor von "Die Zelle. Rechter Terror in Deutschland" im Interview.
Liane von Billerbeck: Sie hatten geglaubt, dass ihre Taten für sich sprechen würden und kein Bekennerschreiben benötigen. Doch genau das Fehlen eines solchen Bekennerschreibens diente den deutschen Behörden als Erklärung dafür, dass sie zehn Morde an Migranten und einer Polizistin nicht als das erkannt haben, was sie waren: Mordterror aus der rechten Szene. Verübt von zwei Männern und einer Frau, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, sagte im vorigen Jahr: Wir haben die jetzt bekannt gewordenen Täter nicht wirklich verstanden, wir haben die Dimension ihres Hasses ebenso unterschätzt wie ihren Willen zur Tat. Dabei hätte man es besser wissen können. Zwei investigativ arbeitende Journalisten, John Götz und Christian Fuchs, haben jetzt ein Buch vorgelegt, in dem sie akribisch die Taten, die Täter und das Versagen des deutschen Staates beschreiben. Es heißt "Die Zelle. Rechter Terror in Deutschland". John Götz arbeitet für den NDR und die "Süddeutsche Zeitung", er hat sich einen Namen gemacht mit der Aufdeckung der CDU-Spendenaffäre und dem Skandal um die CIA-Geheimgefängnisse. Christian Fuchs recherchiert seit Jahren über die Neonaziszene, schreibt unter anderem für die "Zeit" und "Spiegel Online". Mit Christian Fuchs habe ich vor unserer Sendung in Leipzig gesprochen. Ich grüße Sie!

Christian Fuchs: Schönen guten Tag, Frau von Billerbeck!

von Billerbeck: Wir kennen ja verschiedene Spielarten von Terror. Der NSU, der "Nationalsozialistische Untergrund", also diese drei Personen als rechte Terrorzelle, das war ein neues Phänomen in Deutschland. Was ist das besondere an diesem rechten Terror?

Fuchs: Also einen wichtigen Punkt haben Sie selbst eben schon genannt: Dass es kein Bekennerschreiben gab. Und das geht darauf zurück, dass sich da die Zelle wohl an der Idee des "Blood and Honour"-Netzwerkes orientiert hat, die in einem Field Manual schon in den 90er Jahren beschrieben haben, wie terroristischer Kampf von rechts aussehen kann. Nämlich kleine Zellen bilden, sich nie dazu bekennen und auch keinen Kontakt zu dem politischen Arm, also in den Parlamenten, pflegen.

von Billerbeck: Also zur NPD in dem Fall.

Fuchs: Zum Beispiel, ja. Oder auch zu den Kameradschaften, die ja nicht so parteimäßig organisiert sind, aber schon öffentlich auftreten. Und das war auch ein Grund, warum die Zelle so lange nicht aufgeflogen ist. Warum sie so lange im Geheimen arbeiten konnten.

von Billerbeck: Trotzdem gab es doch auch unter den Polizisten, ich glaube, das war ein Profiler, mal jemanden, der auf einen möglichen rassistischen Hintergrund verwiesen hat, und es gab doch durchaus Parallelen zwischen den Morden, die da passiert sind. Man hat Zeugen beobachtet - warum hat die Polizei da nicht in diese Richtung ermittelt?

Fuchs: Also nicht nur das. Nicht nur die Profiler, sondern auch Angehörige der Opfer haben teilweise darauf hingewiesen, dass sie keinen Zusammenhang ihrer Väter oder Ehemänner zum Drogenmilieu sehen, sondern: "Das könnten doch auch Neonazis gewesen sein, die sie umgebracht haben." Und das wurde immer missachtet, weil man sich so festgefahren hat in eine Richtung. Man hatte so ein paar Hinweise, also ein paar der Opfer, gab es vage Kontakte zu Menschen, die auch mal mit dem Drogenhandel zu tun hatten. Und das waren halt die einzigen irgendwie fassbaren Spuren, die es gab. Und da hat man sich festgeklammert. Und wenn man halt einmal einen Hammer hat, dann sieht man halt überall Nägel und hat dieses andere ausgeblendet. Weil es auch keine Indizien auf rechte Gewalt gab.

von Billerbeck: Hat die Polizei da möglicherweise auch eigene Vorurteile, die sie daran gehindert haben, diesen rechten Hintergrund zu sehen?

Fuchs: Ja. Das spielt sicherlich auch eine Rolle, aber nicht nur die Polizei, sondern alle. Also auch die Politiker, wir Journalisten haben da genauso versagt, ja, es gab ganz wenige Berichte, die diese These, dass es auch Neonazis gewesen sein können, die hinter der Ceska-Serie stehen, überhaupt aufgegriffen haben. Otto Schily hat nach dem Bombenanschlag in Köln, der auch der NSU zugerechnet wird, auch gleich am nächsten Tag sich hingestellt und gesagt, also ein rechter Anschlag, eine rechtsextreme Tat kann ausgeschlossen werden. Also die gesamte Gesellschaft war da auf dem rechten Auge blind.

von Billerbeck: Christian Fuchs ist mein Gesprächspartner. Er hat zusammen mit John Götz ein Buch über den rechten Terror in Deutschland geschrieben, "Die Zelle" heißt es. Wenn wir uns ansehen, Herr Fuchs, woher diese drei rechten Mörder kamen - das sind ja Kinder aus durchaus geordneten Verhältnissen, die dann irgendwann zu Mördern an insgesamt zehn Menschen werden. Wie war diese Entwicklung?

Fuchs: Dazu muss man sich vergegenwärtigen, wie die Situation in Deutschland in den 90er-Jahren aussah. Also in dieser Zeit, wo sich die drei radikalisiert haben oder überhaupt erst mal politisiert haben. Das war ihre Pubertätszeit, so mit 16 bis 18, 19, und die DDR war gerade untergegangen, rechte Strömungen bekamen wieder Zulauf, im Osten wie im Westen. Die Wahlergebnisse in Berlin und Bremen sprechen da auch ein deutliches Zeichen, 1990, 1989. Und das war die Zeit, wo sie quasi, auf der Suche nach irgendeiner Gemeinschaft, den rechten Rattenfängern anheimgefallen sind. Und dieses Gedankengut hat sich bei ihnen immer mehr verstärkt. In anderen Bereichen, also familiär wie beruflich waren sie nicht so erfolgreich wie vielleicht andere ihrer Altersgenossen, und dann haben sie halt Erfolg in der rechten Szene gehabt. Sie sind schnell aufgestiegen. Im "Thüringer Heimatschutz", "Kameradschaft Jena", waren anerkannt dort, und dann mussten sie untertauchen, weil sie entdeckt wurden, ihre Bombenwerkstatt. Und diese, quasi, Politisierung, die sie in sich getragen haben in den 90er Jahren, haben sie im Untergrund konserviert und weitergetragen. Das Land hat sich verändert, aber sie sind, haben sich noch mehr in die andere Richtung entwickelt.

von Billerbeck: Nun kann ja dieses Gruppengefühl, dieses "Ich möchte irgendwo dazugehören", das hätte ja in eine andere Richtung auch führen können. Wieso wählt man da ausgerechnet den Weg, rechtsextremer Terrorist zu werden, der dann also am Ende zehn Menschen umgebracht hat?

Fuchs: Dazu muss man wissen, dass Uwe Mundlos, der ja der ideologische Kopf dieses Trios war, schon zu DDR-Zeiten, also 1988, Bücher über den Zweiten Weltkrieg zum Beispiel gelesen hat und sich dafür interessiert hat. Und er hat das damals benutzt aus Provokation. Das war die größte Provokation, die man im Sozialismus tun konnte, ist, den antifaschistischen Konsens infrage zu stellen. Und das hat er getan und hatte damit auch Erfolg. Er hat sich mit allen angelegt, mit der Schulleitung, dem FDJ-Sekretär und das hat er weiter getrieben, die anderen beiden mit angefixt, und sie haben sich auch in Jena, in Winzerla, wo die dominante Jugendkultur eben Skinheadtum und Neonazis waren, in dem Jugendklub getroffen, der damals dem Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit unterworfen war. Also das war die Idee, und da hat ihnen nie jemand Einhalt geboten. Das heißt, die konnten ihre Springerstiefel anziehen, ihre Bomberjacken, ihre rechten Sprüche klopfen, Neonazi-, Skinhead-Bands einladen, die da aufgetreten sind, und niemand hat sie daran gehindert.

von Billerbeck: Nun ist dieses Trio ja irgendwann in den Untergrund gegangen, hat sich also völlig abgekapselt. Trotzdem kann man ja so ein Leben im Untergrund nicht ohne Unterstützer führen. Wie war denn ihr Kontakt zur rechten Szene? Wer hat ihnen geholfen?

Fuchs: Das ist noch eine sehr wichtige Frage. Also, da sind unsere Recherchen sicherlich auch nicht das Ende von allem Wissen. Aber was wir sehen, ist, dass schon das Bild der Zelle sehr gut ist, auch dafür. Also die drei waren die einzigen wohl, die über alles, das Ausmaß der Taten Bescheid wussten. Und darum hatten sie gruppiert zehn, fünfzehn Leute in ganz Deutschland, die ihnen partiell immer wieder geholfen haben: mal eine Bahncard zu organisieren, einen neuen Ausweis, mal Mietwagen anzumieten. Und diese Unterstützer wussten wenig vom gesamten Ausmaß oder gar nichts. Und auch nichts von den anderen Unterstützern. Und darum kann man also einen engen Bezug zu irgendwelchen Kameradschaften oder dem Neonazinetzwerk haben wir nicht herausgefunden.

von Billerbeck: Nun ist dieser Fall ein Fall, den die deutschen, der kein Ruhmesblatt für die deutschen Behörden ist, Hans Leyendecker hat ein Vorwort zu Ihrem Buch geschrieben und spricht da also vom Staatsversagen. Wenn man liest, was Sie recherchiert haben, dann erfährt man noch mal detailliert, wie die deutschen Behörden miteinander Katz und Maus gespielt haben. Die Polizei bekam die Informationen nicht vom Verfassungsschutz, V-Leute erhielten Geld vom Verfassungsschutz, und mit dem Geld konnte unter anderem dieses Mordtrio sich finanzieren. Warum wurde all das nicht erkannt? Warum haben die Behörden da so überhaupt nicht zusammengearbeitet, um diese Morde aufzuklären und diese Zelle auszuheben.

Fuchs: Das ist eine sehr gute Frage, die sich genau diese Behörden jetzt gefallen lassen müssen, alle. Es hatte sehr viele Gründe. Also, zum einen ist sicherlich der Föderalismus, war da sehr hinderlich in der Aufklärung, weil das Trio schon früh erkannt hat, dass Behörden nicht besonders eng zusammenarbeiten, wenn die Bundeslandgrenze überschritten ist. Und das sieht man ja auch in den Taten. Also die Morde sind hauptsächlich in den alten Bundesländern, haben sie die vollzogen, und die Banküberfälle hauptsächlich in den neuen Bundesländern, weil sie halt wussten, dass da der Austausch sehr, sehr marginal nur ist, und die Gefahr, aufzufallen, geringer. Und dann kommt dazu, dass bestimmte Personen in einem Bundesland mit anderen Personen nicht gern zusammenarbeiten in dem anderen Bundesland, und schon aus solchen, ja, privaten Konflikten, eben Informationen nicht geflossen sind.

von Billerbeck: Wenn man so schlecht gearbeitet hat, um es ganz nüchtern zu sagen, dann möchte man sich da ja ungern den Spiegel vorhalten. Wie war das denn bei Ihren Recherchen? Wie war denn die Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz? Wie sind Sie an Ihre Informationen gekommen?

Fuchs: Also von aktiven Verfassungsschützern und Polizei hat keiner mit uns gesprochen, auch den offiziellen Weg haben wir natürlich versucht. Da halten sich alle sehr bedeckt. Wir hatten Glück, dass einige pensioniert sind, die damals dabei waren und eng in die Fälle verstrickt waren, und deren Informationen waren schon sehr aufschlussreich für uns.

von Billerbeck: Wie sind Sie denn nun vorgegangen und haben Ihre Informationen überprüft. Es sind da ja beispielsweise Informationen drin, dass einer der Täter Internetspiele gemacht hat, und wie haben Sie nachgeprüft, dass es tatsächlich einer der rechten Mörder war, der da am anderen Ende des Computers saß?

Fuchs: Ja, also wir haben neben der Möglichkeit, in 25.000 Seiten geheimer Ermittlungsakten hineinschauen zu dürfen, auch mit sehr vielen Zeitzeugen gesprochen, die das Trio kannten, auch in der Untergrundzeit. Und in diesem einen Fall, was Sie ansprechen, haben wir jemanden gefunden, der über ein Jahr lang jeden Abend mit Uwe Mundlos LAN-Spiele heißt das, also über Internet, gezockt hat, also meistens so Kriegssimulationsspiele gespielt hat. Und die haben sich in der Zeit, wo sie sich über das Internet angefreundet haben, halt auch Bilder hin- und hergeschickt. Und der hat Uwe Mundlos, ein Foto von Uwe Mundlos, zugeschickt bekommen, was dann später auch in allen Zeitungen war. Und so kann man das halt in ganz vielen Fällen rekonstruieren.

von Billerbeck: Christian Fuchs war das, der gemeinsam mit John Götz das Buch "Die Zelle. Rechter Terror in Deutschland" geschrieben hat, mit einem Vorwort von Hans Leyendecker ist es bei Rowohlt erschienen. Herr Fuchs, herzlichen Dank!

Fuchs: Vielen Dank nach Berlin!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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