Autor der Gegensätze

03.05.2013
Der verwitwete Professor Amalfitano merkt mit 50, dass er schwul ist, er hat eine Liaison mit einem Studenten und fliegt von der Uni. Der Roman "Die Nöte des wahren Polizisten" stammt aus dem Nachlass des chilenischen Autors Roberto Bolaño und ist ein großes Buch.
Knapp zehn Jahre ist dieser Autor schon tot, doch noch immer erscheinen neue Bücher des Exil-Chilenen Roberto Bolaño, Prosastücke, die faszinieren und schockieren. Etwa das monströse "2666", die so verspielte wie bösartige Fingerübung "Das Dritte Reich" und nun "Die Nöte des wahren Polizisten".

Die Story: Professor Amalfitano - Chilene, Philologe, verwitwet - lebt mit Tochter Rosa in Barcelona. Mit 50 merkt er, daß er schwul ist, er hat eine Liaison mit einem Studenten namens Padilla, er fliegt von der Uni. Vater und Tochter ziehen nach Mexiko, in die Wüstenstadt Santa Teresa. Hier kann Amalfitano wieder lehren, hier verliebt er sich erneut in einen Mann, einen Kunstfälscher, hier liest er die Romane seines Idols, des (fiktiven) Erzählers Arcimboldi.

Fast wäre es ein beschauliches Leben. Aber Santa Teresa ist ein gruseliger Ort. Die zwei Immigranten werden obendrein von der Polizei beschattet, und man weiß nicht recht, ob die Polizisten die Guten oder die Bösen sind. Hingebungsvoll korrespondiert Amalfitano mit Padilla, dem Liebhaber aus Barcelona. Dieser Padilla ist nun ein hoffnungsvoller Schriftsteller, er arbeitet an einem monströsen Roman, doch er hat eine unheilbare Krankheit – Aids.

Das alles ist wenig Handlung für ein dickeres Werk; weitere Bücher des Chilenen sind in der Hinsicht ähnlich spartanisch. Der Erzähler hat andere Stärken, sie haben ihn nach seinem frühen Tod berühmt gemacht. Bolaño ist ein Autor der Gegensätze. Er versetzt blutvolle Gestalten in Ödnis und Wüste. Er zeigt die Gestalten stark, resolut – und lässt sie scheitern.

Er erzählt mal kühl, mal warmherzig, schnodderig und zärtlich, rauh und poetisch, mit Bitterkeit und Humor. Glück und Gewalt liegen dicht beieinander. Dieser Autor zieht den Leser in seinen Bann, in eine rätselhafte, nur schwach ausgeleuchtete Tiefe.

Im "neuen" Text überzeugt Bolaño abermals mit überbordender Fabulierlust. Doch das Werk wirkt unvollendet. Fäden und Stränge fügen sich nicht zum Roman. Wir finden Stoffe und Ideen, denen wir schon in "2666" begegnet sind. Auch etliche Figuren treffen wir wieder, mit veränderter Biographie.

Selbst die Kulisse ist identisch – Santa Teresa. Der erfundene Name steht für Ciudad Juárez, jene Grenzstadt, die durch den Massenmord an Frauen zu einem bösen Symbol der Globalisierung geworden ist.

Der passionierte Bolaño-Leser wird sich über die Doppelungen nicht wundern. Denn solche Dopplungen sind die Regel im Gesamtwerk - Figuren und Geschichten wachsen aus einem Buch hinüber in ein anderes.

Ein Vorwort und ein Nachwort verraten: Der neue Text, von Bolaños Witwe publiziert, ist ein Fragment. Vielleicht aber auch nur eine Materialsammlung, ein Steinbruch? Der Autor hat über zwanzig Jahre an dem Konvolut gearbeitet. Was er damit vorhatte, läßt sich nicht ergründen. Und wenn schon: Dies ist ein großes Buch, ein Buch von erschreckender Wucht. Es ist – das sagt Professor Amalfitano über jedes gute Buch - "ein Labyrinth und eine Wüste". Typisch Bolañoa also.

Besprochen von Uwe Stolzmann

Roberto Bolaño: Die Nöte des wahren Polizisten. Roman
Aus dem Spanischen von Christian Hansen
Hanser Verlag, München 2013
272 Seiten, 21,90 Euro
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