Auszeichnung für Kiefer

Von Rainer B. Schossig · 04.06.2008
Er ist ein weltweit anerkannter Künstler, der seine Zeit mit der störenden moralischen Botschaft vom Ruinösen und Vergänglichen konfrontiert. Weil die Jury es so sieht, hat Anselm Kiefer heute den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zugesprochen bekommen.
Die Nachricht, dass der deutsche Maler und Bildhauer Anselm Kiefer den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2008 erhält, könnte für Diskussionen sorgen, doch eigentlich kann sie nur auf den ersten Blick verwundern. Es erstaunt daran weniger die Jury-Begründung, dass Anselm Kiefer eine Bildsprache entwickelt habe, die "aus dem Betrachter auch einen Leser" mache. Dies träfe auch auf viele andere Künstler – von Georg Baselitz bis Neo Rauch zu. Auch dass Kiefer das Buch selbst, die Form des Buches, zu einem "entscheidenden Ausdrucksträger" gemacht habe, kann nicht den Ausschlag gegeben haben. Entscheidend ist der Hinweis der Jury auf die "störende moralische Botschaft vom Ruinösen und Vergänglichen", mit der Kiefer die Nachkriegsgesellschaft konfrontiert habe.

Genau! – Gehört doch der 1945 in Donaueschingen geborene Künstler der sogenannten "Kriegsgeneration" an. Und wie kein anderer machte er das Trauma von Krieg und Tod, Blut und Tränen zum Inhalt seiner Bilder. Als Beuys-Schüler wählte Kiefer dafür nicht nur schwerstes, aufgewühltes Farbmaterial, sondern auch emotional aufgeladene Stoffe wie Blei, Heu oder Myriaden von Sonnenblumenkernen. Damit garnierte er nicht nur seine düsteren Nibelungen-Welten, seine germanischen Mythologien, sondern gab ihnen eigens Inhalt, Form und Profil, gleichviel ob Wagners Nebelwelt oder Hitlers Reichskanzlei, ob Todesfuge oder Kabbala, Hermannschlacht, Heldentod oder Holocaust. Mit seinen verstörenden Amalgamen aus Kunst, Politik und Geschichte hat dieser Künstler die den Scheinfrieden der bundesdeutschen Erinnerungs-Funktionäre und auch der Kunstgemeinde mit ihrer unverbindlichen Ungegenständlichkeit zweifellos früh und nachhaltig gestört.

Wenn Anselm Kiefer nun – ein Jahr nach dem jüdischen Historiker Saul Friedländer – den Friedenspreis erhält, folgt dies durchaus eine gewissen inneren Logik. Denn Kiefers Engführung künstlerischer und politischer Aussagen löst heute kaum noch kontroverse Diskussionen aus. Diese Preisverleihung zeigt, dass heute – siehe die ausführlichen Diskussionen um Schuld und Vertreibung, Bombenkrieg und Heimatverlust – die Historisierung des Dritten Reichs, das heißt die Friedensfähigkeit der Zivilgesellschaft auf der Tagesordnung steht.

Die provozierende Logik seiner Kunst kann heute viel einvernehmlicher als früher als Teil der Verarbeitung deutscher Geschichte akzeptiert werden als noch vor zehn Jahren. Was lange als Überschreitung normativer Grenzen, als unangemessene Thematisierung tabuisierter Bereiche missverstanden wurde, kann inzwischen überhaupt erst als friedensstiftend wahrgenommen werden. So erscheint Anselm Kiefers Kunst plötzlich als ein Stück Vorwegnahme. Vorwegnahme nicht jener von manchen erwarteten "Bewältigung" oder "Schlussstrichziehung", sondern als Beitrag gegen verstocktes Schweigen, zur Öffnung historisch verschlossener Denkräume, als bohrende Fragestellung und nicht zuletzt als künstlerische Bearbeitung von Schuld - im Wortsinn: Trauerarbeit.