Auswege aus dem sakralen Horror

22.10.2013
Einschüchternde Gebäude, ein hochtrabender Pressetext, eine Schar von Besuchern, die vor einer mittelmäßigen Ausstellung Andacht halten. Jeder Kunstfreund hat schon einmal solche Szenen im Museum erlebt. Aber muss man deswegen gleich die "Kunst hassen"?
Nicht nur der effekthascherische Titel von Nicole Zepters Buch verstimmt. Ist der polemische Essay ein Sturmlauf gegen die Konzeptkunst? So wie die Ex-Chefredakteurin des Zeitgeist-Magazins "The Germans" über Installationen mit Strumpfhosen herzieht? Ist es einer gegen die Kunstinstitutionen? So wie sie dem Museum bescheinigt, "hinter die Kunst zurückgefallen” zu sein. Oder will sie am Ende die Kunst an sich verabschieden? Weil die so selten "grenzüberschreitend” und "ästhetisch eindrucksvoll” ist? Es bleibt unklar, worauf die verärgerte Kunstfreundin eigentlich zielt.

Die Attacke der 1976 geborenen Journalistin kommt nicht aus dem hohlen Bauch oder der antimodernen Ecke. So wie Walter Sedlmayrs berühmtes Buch "Verlust der Mitte” von 1948 oder Ephraim Kishons satirische Streitschrift gegen die Abstraktion "Picasso war kein Scharlatan” von 1983. Auch wenn manche von Zepters Argumenten so ähnlich klingen. Ihr Buch, so schreibt Zepter, entspringe "enttäuschter Liebe”. Und ihre Recherchen in Museen und bei Ausstellungsmachern weist sie als scharfe Beobachterin des Betriebs und seiner Riten aus.

Gut beschreibt sie den Habitus der gängigen Kunstrezeption: Die Ehrfurchtheischende vieler Museen, der Kuratoren Geklingel mit den Superlativen. Und der "falsche Respekt” vieler Besucher: Sie lassen sich nicht gern anmerken, wenn sie etwas nicht verstehen. Den Drang zum passiven Kunstkonsum via Audioguide.

Wenig originell dagegen ist Zepters tausendmal gehörte Kritik an der Eventisierung und Kommerzialisierung der Kunst. Pauschal ist ihre Kritik, dass Kritik an der Kunst "selten geworden” ist. Und richtig widersprüchlich wird es, wenn sie die "Reflexion über Geschichte, Kunst, Gesellschaft und Politik” vermisst, die Udo Kittelmann, der Chef der Berliner Nationalgalerie, den Besuchern seines Hauses verspricht. Zuviel Diskurs ihr dann aber auch gegen den Strich geht. Und sie das "Gefühl zur Kunst” wiederbeleben will.

Die große Resonanz auf Zepters Buch spricht dafür, dass sie den wunden Punkt eines Kunstsystems getroffen hat, das sich in den letzten Jahrzehnten immens ausgeweitet und – differenziert hat. Auswege aus dessen "sakralen Horror” sucht man bei der Autorin freilich vergebens. Mehr Besucherbücher in den Museen öffnen nicht den Königsweg vermutlich, dürften den kritischen Dialog mit der Kunst wohl kaum anregen. Und wer die von der "Herrschaftssprache” einer "Günstlingsgesellschaft” ohnmächtig gehaltenen Kunstfreunde befreien will, sollte der ihnen statt Hass nicht das Kant’sche Hausmittel der Aufklärung empfehlen – Kritik?

Etwas Ähnliches scheint Zepter vorzuschweben. Wenn sie Kunsthass als etwas definiert, das "direkt an die Wurzel des Übels” geht und das "Gegenteil des Laberns” ist. Ganz ohne Nebenwirkungen ist auch dieses starke Gefühl nicht. Der amerikanische Kunstkritiker Leo Steinberg hat sie einmal so beschrieben: "Wenn ein neuer Stil mich stört, dann spricht das für die hohe Qualität des Stils. Wenn ich aber etwas regelrecht hasse, dann muss es ein Meisterwerk sein”.

Besprochen von Ingo Arend

Nicole Zepter: Kunst hassen
Tropen bei Klett-Cotta, Stuttgart 2013
139 Seiten, 12 Euro
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