Auswahl für das Theatertreffen

Ultrakomisch, subtil und bilderberauscht

Das Haus der Berliner Festspiele ist der Spielort des Theatertreffens (hier mit dem Plakat von 2016)
Das Haus der Berliner Festspiele ist der Spielort des Theatertreffens (hier mit dem Plakat von 2016) © dpa / picture alliance / Soeren Stache
Von Susanne Burkhardt · 07.02.2017
Diesmal kein Jury-Bashing! Denn die Vorfreude ist gerechtfertigt auf ein ästhetisch breites wie inhaltlich tiefes Theatertreffen im Mai 2017. Unsere Kritikerin Susanne Burkhardt ist mit der Auswahl der zehn nach Berlin eingeladenen Produktionen sehr zufrieden.
Der Marthaler fehlt. Finde ich. Er hätte, und damit stehe ich nicht allein, mit "Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter" unbedingt hingehört in dieses Theatertreffen. Tröstlich immerhin: Stattdessen vertritt Festival-Stammgast Herbert Fritsch die Berliner Volksbühne. Zum siebten Mal kommt er, diesmal mit "Pfusch", einem ultrakomischen Abschiedsreigen zwischen Farbenrausch, großartigem Klamauk, Artistik und Musikperformance − mit kleinen Seitenhieben auch auf eine verpfuschte Kulturpolitik und das Ende der Castorf-Ära.
Neu beim Theatertreffen: Ulrich Rasche. Er hat im Residenztheater München Schillers "Räuber" zum Selbstzerstören auf riesige Förderbänder geschickt. Der Mensch als Maschine – gesprochen wird im Chor. Auch Kay Voges, Intendant des Schauspiel Dortmund und bekannt für seine Versuche, digitale Welt und Theater zu verbinden, ist erstmals dabei. Seine "Borderline Prozession", die es schon gleich zweimal auf die Top-Ten-Liste der Deutschlandradio-Kritiker geschafft hat, lädt das Publikum in einen ehemaligen Megastore zum Totaltheater: in eine gigantischen Installation, die keine Genre-Grenzen kennt. Überforderung ist Programm. Und Wiederholung. Eine Idee durchspielen – wieder und wieder, um zu neuen Blicken zu gelangen.
Dieses Prinzip findet man auch in Ersan Mondtags bilderberauschten Endzeitfantasie "Die Vernichtung", die den Überdruss einer gelangweilten hedonistischen Jugend verhandelt.

Eine Jugend in Dresden "89/90"

Einzige Frau unter den zehn trotz hoher Frauenquote in der Jury: Claudia Bauer. Sie hat für das Schauspiel Leipzig Peter Richters Wende-Roman "89/90" nach Erklärungen für Populismus und Engstirnigkeit befragt. Richter beschreibt darin seine Jugend in Dresden – Claudia Bauer findet in diesem Stoff Ursachen für Pegida-Begeisterung und Fremdenfeindlichkeit.
Unter den zwei geladenen freien Produktionen besonders spannend: Milo Rau lässt in "Five Easy Pieces" Kinder zwischen acht und vierzehn Jahren die Geschichte des Kinderschänders Marc Dutroux reflektieren. Eine kluge Arbeit, die die Kinder nicht ausstellt, aber dennoch einigen Medienwirbel auslöste.
Es darf sich also vorgefreut werden auf ein ästhetisch breites wie inhaltlich tiefes Theatertreffen 2017 mit vielen Stückentwicklungen, mit frischpolierten Klassikern wie Simons Stones Version der Tschechow-"Schwestern" aus Basel und mit Produktionen, die Themen wie Flüchtlinge, Ängste, Populismus oder totalitäre Ideen nicht vordergründig, sondern in subtilen Zwischentönen verhandeln.
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