Australischer Röhrenwurm in der Ostsee

Mit Schiffen übers Meer eingeschleppt

07:38 Minuten
Röhrenwurm, Eudistylia polymorpha (Eudistylia polymorpha), vor den niederländischen Antillen.
Der australische Röhrenwurm breitet sich aus, auch in der Ostsse. © picture alliance / blickwinkel / AGAMI / R. Riemer
Von Silke Hasselmann · 06.01.2021
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Der Australische Röhrenwurm breitet sich rasant in der Ostsee aus. Er befällt Segel- und Sportboote, Hafenanlagen und Buhnen. Bootseigentümer befürchten Schäden und hohe Kosten. Biologen rechnen mit einem Verdrängungswettbewerb mit heimischen Arten.
Sonnig-trockenes Dezemberwetter herrscht in der Hansestadt Rostock, als Stefan Königstein einen Anruf von einer kleinen Bootswerft erhält. Sie befindet sich am Ufer der Warnow, die wenige Kilometer weiter in die Ostsee mündet.
Er könne vorbeikommen und sein Sportboot abholen, solle sich aber auf einen ungewöhnlichen Anblick gefasst machen, hört Königstein. Er macht sich sofort auf den Weg und kurz darauf versteht er.
"Ich habe halt die Würmer entdeckt hinten am Motor, als ich das Boot herausholen wollte."
Reporterin: "Haben Sie so etwas schon mal gehabt, schon mal gesehen?"
"Nein, noch gar nicht."
Reporterin: "Dass Bootseigner sagen 'Ich habe Bewuchs', das ist nicht ungewöhnlich. Was ist an diesem so ungewöhnlich?"
"Na, die Pocken. Das ist schon gewöhnlich hier im Wasser. Aber die Würmer? Die habe ich noch nie vorher gesehen. Das ist sehr ungewöhnlich."

Wie ein flauschiger Flokati-Teppich

Stefan Königstein hat sein Boot auf den Anhänger gehievt, bereit zur Fahrt nach Hause. Das meiste habe er schon abgekratzt, sagt er und weist auf den unteren Teil des Rumpfes, der bei der Werft im Warnowwasser gelegen hatte.
Doch vor allem Motorschraube und Ruder sind noch immer dicht an dicht von dünnen, zentimeterlang abstehenden Röhren eingehüllt.
Die Schiffsschraube eines Sportbootes ist übersäht mit verkrusteten Spuren des Australischen Röhrenwurms.
Sportbootbesitzer fürchten den Australischen Röhrenwurm, der sich auch in der Ostsee rasant und massiv ausbreitet. © Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Was jetzt so starr und leblos wirkt, hatte sich eben im Wasser noch wie ein flauschiger Flokati-Langhaarteppich präsentiert. Dass es sich dabei um den Australischen Röhrenwurm handelt, habe er erst vorhin von einem Bootsmechaniker erfahren.
"Und der hat das dann auch gemeldet."

Die Tiere lieben flaches Brackwasser

Die Meldung samt Foto ging an das Institut für Ostseeforschung Warnemünde. Dort freut sich Michael Zettler sehr über diese Art von Zuarbeit. Der Meeresbiologe ist spezialisiert auf die Erforschung benthischen Lebens. Das heißt, ihn interessiert alles, was im und auf dem Sediment bzw. den Felsböden von Gewässern siedelt.
In der Ostsee sei der Australische Röhrenwurm zum ersten Mal 2016 gesichtet worden, aber nur sehr vereinzelt. Die Tiere, die flaches Brack- und Hafenwasser lieben, waren zwei Jahre weg, nur um 2020 umso stärker wieder aufzutauchen.
Allein innerhalb von acht Wochen zwischen September und November habe man in der Warnow zwischen Rostock und Warnemünde, aber auch in Stralsund einen extrem rasch wachsenden Bewuchs beobachtet, sagt Michael Zettler.
"Ein so massiver Befall - also nicht nur, dass die Tiere da waren, sondern dass sie eine so enorme Dichte, eine so enorme Biomasse erreicht haben – das hätte ich nicht für möglich gehalten in dieser kurzen Zeit. Das ist eine enorme Stoffwechselleistung dieser Organismen, solche starken Biomassezuwächse zu erreichen."

Durch Schiffe eingeschleppt

Die Australischen Röhrenwürmer sind vieles: Sie zählen zu den Kalkröhrenwürmern, zu den Vielborstern und zu den sogenannten Filtrierern, welche zwecks Nahrungsaufnahme mit ihren Tentakeln Kleinstlebewesen aus der Wassersäule herausfiltern.
Die Art stammt aus dem indo-pazifischen Raum und wurde durch Schiffe eingeschleppt. Gut möglich, dass sie sich nun dauerhaft als invasive Art im Ostseeraum breitmachen wird, sagt Michael Zettler.
Jedenfalls findet der Australische Röhrenwurm an der Küste von Mecklenburg-Vorpommern genügend Hartsubstrate als Lebensraum: Buhnen, Pier-Anlagen, Schiffskörper, bereits besiedelte Steine. Die Folgen:
"Wir haben auf der einen Seite natürlich eine Art, die hier nicht zu Hause ist, die sich jetzt hier irgendwie eine Nische gesucht hat oder Nischen suchen wird, in der sie leben kann. Und diese Nische ist entweder schon besetzt oder frei. Oft sind diese Nischen nicht mehr frei, und da wird natürlich eine Konkurrenz entstehen, und diese Raumkonkurrenz wird nicht unbemerkt vonstattengehen. Da werden Arten zurückgedrängt werden, und andere Arten werden wieder davon profitieren."

Der Röhrenwurm kann Riffe bilden

Denn der Australische Röhrenwurm zählt zu sogenannten "strukturbildenden Arten". In diesem Fall produziert er Kalkröhren in einer auffallenden Dichte. Mit deren Hilfe halten sich die Würmer aneinander oder an Hartsubstraten fest. Sie können sogar Riffe bilden, sagt Michael Zettler.
"Wenn man sich dieses Geflecht dieser Röhren ansieht, sieht man, dass auch immer Hohlräume entstehen, die wiederum als Siedlungssubstrat für kleine Krebse und andere Würmer eine Rolle spielen können. Also für die ist es dann schon sehr spannend. Das ist ja ein großer Schutz, in solchen Behausungen wohnen zu können."

Bootseigentümern entstehen hohe Kosten

Für hiesige Schiffs- und Bootseigentümer hingegen wäre eine dauerhafte Ansiedlung dieser eingeschleppten Meeresbewohner nicht unbedingt ein Grund zur Freude. Stefan Königstein jedenfalls blickt skeptisch auf den innerhalb weniger Wochen so stark bewachsenen Motor- und Ruderbereich seines Sportbootes.
"Dadurch, dass das jetzt alles so zugewachsen ist hinten und dadurch, dass es kein Kühlwasser mehr ziehen kann, könnte man damit derzeit nicht fahren. Ich müsste das jetzt einmal reinigen. Einmal abkärchern und neues Antifouling streichen für den Winter."
Wie die meisten Eigentümer kleinerer Boote hat auch der Rostocker bislang auf die teuren Antifoulingmittel verzichtet, die Algen-, Muschel-, Schnecken- und Wurmbewuchs verhindern, aber auch Giftspuren ins Wasser bringen können.
Doch auch den Meeresbiologen Michael Zettler würde es nicht wundern, wenn der Gebrauch zunimmt - so schnell und dicht, wie der Australische Röhrenwurm auch in hiesigen Gewässern Bootsrümpfe besiedeln kann, egal ob aus Aluminium oder aus Glasfaserkunststoff.
Ein Motorboot steht im Hafen auf einem Anhänger. Die Schiffsschraube ist mit verkrusteten Rückständen des Australischen Röhrenwurms übersäht.
Um sich vor dem Befall mit dem Australischen Röhrenwurm zu schützen, greifen viele Sportbootbesitzer zu chemischen Lösungen.© Deutschlandradio / Silke Hasselmann
"Ein direkter Schaden an dem Boot oder an den Schiffsrümpfen wird nicht verursacht. Also sie werden jetzt nicht irgendwie diese Bootsrümpfe durchdringen oder zerstören. Auf der anderen Seite werden aber erhebliche ökonomische Kosten dadurch entstehen, dass diese Boote durch diesen starken Bewuchs eine höhere Reibungen, ein höheres Gewicht aufweisen und damit eine höheren Spritverbrauch.
Oder dass sie eben auch bis hin zur Manövrierunfähigkeit besiedelt werden, wenn zum Beispiel Steueranlagen, Ruderanlagen und so weiter in Mitleidenschaft gezogen werden. Also das heißt, man hat jetzt hier einen erhöhten Aufwand der Reinigung, des Abkärcherns, wenn man die Boote rausholt, ins Trockendock gelegt oder so. Das haben wir ja deutlich gesehen."

Forscher bitten um Mithilfe

Übrigens: Die Warnemünder Ostseeforscher wollen die langfristige Entwicklung dieser wie auch anderer bislang hier nicht bekannter Arten beobachten. Dafür, so Michael Zetter, bitten sie um Mithilfe.
"Wenn Seglern oder anderen interessierten Zuhörern da etwas auffällt, dass an den Häfen oder auch am Boden etwas wächst, dann wäre es immer gut, Fotos zu haben. Noch besser wäre es, auch mal ein Glas mit diesem Material eingeweckt oder eben frisch von hier vor Ort zu bekommen, so dass wir hier in Warnemünde uns das Material ansehen können. Also das wäre ganz toll. Wir wollen auch wissen: Ist die Art nur hier im Warnow-Einzugsgebiet vorhanden oder wie verbreitet sie sich entlang der Küste?"
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